Mittwoch, 10. Dezember 2008

Monatsfavoriten Dezember / Januar

The Whip - Trash

Ich wehre mich dagegen. Eigentlich schon seit Anfang Dezember. Es ist so kalkuliert, so durchschaubar, so altbekannt, so schon 1000mal da gewesen. Aber es geht ab wie Sau.




Indochine - Little Dolls

Never change a winning concept. Vielversprechende Vorboten für 2009.




Sven van Thom - Jacqueline (Ich hab Berlin gekauft)

Den jungen Mann sollte man wohl nicht unterschätzen...




Arne Zank - Acteure + Actricen

Der Jahreszeit angepasst.

Samstag, 8. November 2008

DJ Zoulwags (i.N.) - Monatsfavoriten

Es fehlt einfach die Zeit, etwas zu schreiben.
Dabei gäbe es einiges zu berichten. Wunderbare Konzerte von Peterlicht und Elbow, ein wohlwollender Blick auf Alexandre Ajas kollektiv gedissten Film "Mirrors" und der grenzwertige Humor von "Heinzer" Strunk - meine Sicht auf all dies bleibt dem kollektiven Web-Gedächtnis vorenthalten, weil ich hier über den Klausuren von SCHEISSDEBILENVOLLIDIOTENDIENICHTMALDIELEKTÜREHILFE
...äh... hoppla... war nicht so gemeint... die haben auch ihre Qualitäten... naja...
Immerhin hier mal die Musiklieblinge des Monats:

Cold War Kids - Relief

Eines von mehreren Highlights des neuen Albums




Caribou - A Final Warning (live)

Laut-Leise-Dramatik vom Feinsten und zwei ohrenbetäubende Schlagzeug zum Preis von einem.




Elbow - Some Riot

Damit es nicht allzu hysterisch wird. Immerhin haben wir's November. Leider bleibt die Albumversion hinter der Version auf dem Konzert mit den drei Streicher-Mädels zurück.




Fall Out Boy - I Don't Care

Zum Mitgröhlen nach dem zweiten Pint. Aber ein saulustiges Video.




Tricky - Tricky Kid
und Christian Sands

Wer Konzerte mit dem Rücken zum Publikum bestreitet, deaktiviert natürlich auch das Einbetten von You-Tube-Clips. Müsst ihr halt den Link klicken.
Jahrelang verachtet, kann ich inzwischen zumindest diesen beiden Songs von "Pre-Millenium Tension" etwas abgewinnen.

Freitag, 17. Oktober 2008

The Master of Muttering

Tricky in der Alten Feuerwache in Mannheim

Genie oder Blender? Diese Frage stellt sich zwangsläufig, wenn man sich mit dem Godfather of Triphop Tricky beschäftigt. Oh nein, ich habe das böse T-Wort geschrieben, das man im Zusammenhang mit Tricky auf keinen Fall mehr äußern darf.
Aber der Reihe nach. Adrian Thaws alias Tricky hat in 1994 an Massive Attacks Album “Protection” mitgewirkt und im Jahr darauf mit “Maxinquaye” einen absoluten Geniestreich hingelegt, den der nicht gerade unkritische NME in der Hochphase des Britpop zum Album des Jahres kürte. Es folgten Größenwahn und Orientierungslosigkeit, die in den überwiegend unhörbaren Werken “Nearly God”, “Pre-Millenium Tension” und “Angels With Dirty Faces” ihren Ausdruck fanden. Danach begann das, was ich den Frank-Black-Teil seiner Karriere nennen möchte. Alben, die nicht mehr an den Glanz vergangener Jahre anknüpfen konnten, in denen aber zumindest ab und an das Genie durchschimmerte und für die sich der Meister nicht schämen muss. Genannt seien vor allem “Juxtapose” und “Blowback”. Nach fünf Jahren Pause passt auch “Knowle West Boy” in die letztgenannte Kategorie, und entsprechend ist meine Erwartungshaltung vor dem Konzert in der Feuerwache: entweder genial oder Schrott, Mittelmaß ist kaum zu erwarten.
Nicht erwartet hatte ich dann gleich mehrere Dinge. Dass ich direkt gegenüber der Feuerwache einen Parkplatz finde. Dass Mr. Thaws ohne Vorgruppe um viertel nach neun pünktlich wie ein C4-Professor sein Konzert bgeginnt. Oder dass seine Band zu den Klängen von Phil Collins “In The Air Tonight” auf die Bühne kommen wird. Aha. Eklektizismus ist angesagt. Folgerichtig wärmt der Meister dann in den ersten zwanzig Minuten gleich zwei 80er-Jahre-Fetenhits auf: The Cure’s “Lovecats” und Eurythmics “Sweet Dreams”, letzteres allerdings in seiner verfremdeten Version “You Don’t Wanna” vom “Blowback“-Album. Und eigentlich wärmt auch weniger der Meister als seine Band da auf.
Als die klassische Bandbesetzung Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier im Hapbdunkel erscheint, glaube ich noch an eine Vorband. Drei unauffällige Mates aus dem Pub gegenüber und eine sympathische, aber unglamoröse Dame. Erst als “You Don’t Wanna” losgeht, wird klar, dass die vier wohl zum Meister gehören. Der bemüht sich dann während des Liedes zusammen mit Sängerin Veronica Coassolo auch vor‘s Publikum und bietet erst mal das, was er im ersten Teil des Konzertes des öfteren bietet. Die Ansicht seines Rückens. „Black Steel“ nutzt er beispielsweise dazu in Ruhe eine zu rauchen und das Haarstyling mit etwa einem Liter Wasser zu überarbeiten. Die Präsenz des Meisters reicht, ab einem gewissen Stadium kann man andere für sich arbeiten lassen.
Aber wenn Tricky am Geschehen teilnimmt, hat er die volle Aufmerksamkeit. Wie bei einem ADH-Kind scheint die Energie aus ihm raus zu wollen. Es zuckt in ihm, doch er muss sich beherrschen. Murmelt Worte, stößt einzelne Sätze hervor, erzählt unverständliche Geschichten. Manchmal bricht es aus ihm heraus, die Musik wird laut und die Energie kann sich ihren Weg bahnen. Der Laut-Leise-Kontrast funktioniert hervorragend, und gerade der Einsatz von Gitarre und Schlagzeug sind mehr der Rockmusik verpflichtet, als dem bösen Pfui-Trip-Hop, den Tricky ja tatsächlich schon früh auf dessen Weg zum Chillout-Produkt für Kaffeehäuser und Wellness-Buden verlassen hat.
Noch besser wird es, wenn Tricky und Veronica Coassolo gemeinsam Songs performen. Veronica Coassolo beherrscht ihr Handwerk, kommt sympathisch rüber und könnte bestimmt jede Fernsehjury von sich überzeugen. Die Kombination der straighten Sängerin mit dem exzentrischen Performer ist reizvoll, und folgerichtig stellt „Pumpkin“ für mich den eindeutigen Höhepunkt des Abends dar. Ich traue mich kaum, es zu sagen, weil es inzwischen so abgedroschen klingt - aber es war Gänsehaut am ganzen Körper. Sehr wohlig. Hier kommt der Genius des Meisters am stärksten zum Ausdruck, dafür kann man ihm alles vergeben. Auch die lieblos hingeschluderte Version von „Overcome“. Oder war‘s „Karma Coma“?
Jedenfalls war danach erst mal Schluss. Nach etwa 50 Minuten. So sind sie halt die coolen Briten. Keine Zweieinhalb-Stunden-Exzesse, sondern Feierabend, wenn das Publikum gerade warm gelaufen ist. Dachte ich zumindest, doch ein weiteres Mal wurde meine Erwartungshaltung unterlaufen. Die folgenden drei Songs dauerten noch mal 30 Minuten. Mindestens. Und plötzlich schien auch der Meister warm gelaufen. Keine Kippchen mehr, keine Rückenansicht, sondern ein Mann der die komplette Bühne braucht. Der seinen Körper biegt, mit dem Mikrophon zu einer Einheit verschmilzt, die Bassdrum umstürzt. Die geballte Körperlichkeit ist in der Feuerwache plötzlich entfesselt und performt. „Past Mistake“, einer der besten Songs des neuen Albums, sprengt die Songgrenzen und wird zu einer einzigartigen Livererfahrung. Und die Frage nach Genie oder Blender kann nun endlich abschließend beantwortet werden: Tricky ist einfach der Meister. Wovon auch immer.

Wenn man das idiotische Intro überstanden hat, gibt dieser Livermitschnitt einen ganz guten Eindruck vom Zugabenteil des Konzerts.



Etwas bessere Qualität und eine andere Sängerin, zeigt aber schön, wie das mit den Duetten funktioniert.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Comeback of the Year

Eskobar im "Nachtleben" in Frankfurt

Das Wohnzimmer ist gut gefüllt. Das ist schon mal ein gutes Zeichen, denn ich habe im, euphemistisch ausgedrückt, überschaubaren Frankfurter “Nachtleben” auch schon Konzerte vor gefühlten 10 Zuschauern erlebt. Die inzwischen in Vergessenheit geratenen The Crash fallen mir ein, ebenso wie Eskobar Skandinavier und auch musikalisch, mit ihren eingängigen Songs, durchaus vergleichbar. Aber offenbar haben die Schweden Eskobar den Finnen The Crash zwei Dinge voraus. Den noch nicht vergessenen Semi-Hit “Soemone New” und den Boyband-Faktor, für den wohl vor allem Sänger Daniel Bellqvist (weckt Mutterinstinkte) und Gittarist Frederik Zäll (weckt Abenteuerlust) stehen. Und so ist die erste Reihe an diesem Abend von mehr oder weniger jungen Damen bevölkert, die eifrig Fotos schießen und auf ihren digitalen Kompaktkameras Lieder mitschneiden. Überhaupt ist das Männer-Frauen-Verhältnis im Vergleich zu sonstigen Indie-Konzerten eher umgedreht.
Na gut, ist es eben Mädchenmusik, die Eskobar anderthalb Stunden lang spielen. Vor allem ist es Popmusik. Nicht die Art von Popmusik, die Wiglaf Droste bezogen auf Phil Collins so treffend als “Mc Donald’s für die Ohren” beschreibt und die die deutsche Radiolandschaft dominiert. Auch nicht die Art von Pop, über die abgebrochene Soziologie- und Germanistik-Studenten allmonatlich in Intro und Spex Diskurse führen. Es ist Popmusik im besten Sinne, für die Eskobar stehen. Songs, die nicht weh tun, nicht weh tun wollen, sondern im Gegenteil harmonisch, geschlossen und einfach schön sind. Ein Sänger, der sich nicht als Hochleistungssportler begreift, sondern sein handwerkliches Können unaufdringlich und selbstverständlich einsetzt. Musiker, die als Band auftreten und ihre Songs perfekt darbieten - was für ein cooler Schlagzeuger Robert Birming ist und wie ausgefeilt seine Beats manchmal die Harmonie von Gitarre und Stimme konterkarieren, wurde mir gestern zum ersten Mal so richtig bewusst. Pefektionismus und Glätte könnte man Eskobar natürlich vorwerfen, doch an diesem Abend gibt es genug Rückkopplungen und Einsätze eines leicht gestresst wirkenden Roadies, so dass dieser Kritikpunkt nicht zieht.
Auch am Set gibt es nichts zu meckern. Dass im Zuge des neuen Albums “Death in Athens” Uptempo-Stücke dominieren, kommt mir entgegen. Mit der letzten Platte hatte ich so meine Schwierigkeiten, da sie selbst für Eskobar-Verhältnisse sehr, sehr, also wirklich sehr ruhig war. Jetzt aber mischen sich neue, treibende Songs wie “Flat Earth” oder “Hallelujah New World” mit den eher zurückhaltenden Stücken. Nur zweimal im ganzen Set nimmt Gittarist Daniel mit der Akustischen Platz - wobei er etwas sehr unmännlich sitzt, was aber in sympathischen Kontrast zu seinen Oberarm-Tatoos und den Totenköpfen auf Krawatte und Schuhen steht - ansonsten geht es so zur Sache, dass Sänger Daniel gleich mehrfach mit Eskobars neuer Nähe zum Heavy Metal kokettiert.
Dass ich ein alter Sack bin, wurde mir daran klar, dass mir vor allem bei den Songs der ersten beiden Alben das Herz aufging. Mit emotionalen Wallungen bei “Someone New” hatte ich schon gerechnet, aber auch “Why London?”, “Tumbling Down”, “Good Day For Dying” und vor allem “She’s Not Here” gingen mir nah. Eskobar haben einfach schon viele richtig gute Songs geschrieben. Umso mehr hätte ich auf das Abba-Cover “Knowing Me, Knowing You” in der Zugabe verzichten können. Das war etwas zu arg auf einen wie auch immer gearteten Kultfaktor geschielt. Zwar war der Song mehr Eskobar als Abba, aber dennoch: “Why Abba?”. Bloß weil’s Schweden sind? Da hätten sie doch lieber mal ein The-Crash-Stück wieder zum Leben erwecken können. Auch wenn die Finnen sind.
Achso, und ganz vergessen habe ich jetzt die exzellenten Outfits der Band. Rot und schwarz hieß das Motto, wobei Gitarrist Frederiks bereits erwähnten Totenkopfschuhe einen Höhepunkt darstellten, aber auch das rot-weiß gestreifte Longsleeve-Schlafanzug-Oberteil von Schlagzeuger Robert gefiel mir, da es in seiner Schluffigkeit einen schönen Kontrast zur gediegenen Eleganz von Sänger Daniel und zum Rote-Fliege-auf-schwarzen-Hemd-Arrangement des mir unbekannten, an einen Jungpfarrer erinnernden Keyboarders stand. Kein Wunder also, dass nicht nur ich, sondern auch die Groupies aus der ersten Reihe voll auf ihre Kosten kamen. Diese standen dann auch folgerichtig nach Ende desKonzertes immer noch vor der Bühne, als der männliche Teil des Publikums schon Richtung Treppe ging.

Viele Stücke des Konzertes finden sich bereits auf You-Tube - leider eben in der üblichen You-Tube-Qualität. Hier z. B. "She's Not Here". Man beachte den Entzückensschrei zu Beginn. Groupies halt...



Eine offensichtlich von Manu Chao inspirierte Version von "Tumbling Down" von Eskobars sympathischen Live-Bassisten Patricio Cabeza gibt es hier.

Montag, 13. Oktober 2008

DJ Zoulwags (a.D.) Monatsfavoriten

Eskobar: Flat Earth
Beängstigendes Tempo für Eskobar. Und mal wieder sehr, sehr poppig. Aber ich freue mich, dass diese Sympathieträger mal wieder von sich hören lassen und sehe erwartungsvoll dem Konzert heute abend entgegen (Prognose: 20 zahlende Zuschauer).




Chikinki: You Said
Wo wir gerade bei poppig waren...




Cousteau: Last Good Day of the Year
Wie jedes Jahr, wenn es Herbst wird.




Cold War Kids: Something Is Not Right With Me
Wenn's etwas sperriger sein darf.




Lykke Li: Little Bit
Aus der Reihe peinliche Lieblingslieder. Aber die Stimme ist der Hammer.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Mein Ausflug ins Reich der Schmöker

Carla Banks: Der Wald der toten Seelen

Ich wollte es wissen. Was schreibt da eine mir unbekannte Autorin auf 450 Seiten? Auf dem Cover drei Holzkreuze, etwas sehr grell ausgeleuchtet, in einem düsteren Wald. Und ein Thriller soll es sein. So was schmökern also Leseratten weg. Von so was reden Lehrer, Feuilletonisten und Elke Heidenreich, wenn sie ihr „Hauptsache lesen“ postulieren und damit meinen, dass wenn‘s der Pöbel schon nicht schafft einen Thomas Mann oder J. W. v. Goethe zu lesen, er doch lieber noch Bücher einer Frau Banks lesen sollte als "Frauentausch" zu schauen.
Jetzt habe ich das Buch hinter mir, und eigentlich war es gar nicht so schlimm. Auch wenn man von den 450 Seiten gut und gerne mal 150-200 komplett hätte weglassen können. Auch wenn die beiden Hauptfiguren Faith (Geisteswissenschaftlerin, gutes Herz, leicht naiv und eigentlich einsam) und Jake (Journalist, Draufgänger, so wie sich eine frustrierte 40jährige den Mann ihrer Träume vorstellt) auf diesen 450 Seiten nichtssagend und farblos bleiben. Auch wenn die eigentliche Krimihandlung (Aufklärung eines Mordfalls) das Niveau eines durchschnittlichen Tatorts nicht übersteigt.
Carol Banks ist Dozentin für Creative Writing, und genau das ist ihr Problem. Plot, Situationen, Aufbau und die Mehrzahl der Figuren folgen klaren Regeln. Jedes größere Risiko wird vermieden, und man kann der Handlung auch dann immer noch mühelos folgen, wenn nebenher im Fernsehen eine Kochsendung läuft oder sich kleine Kinder im Sandkasten im Hof lautstark gegenseitig die Plastikschäufelchen über den Schädel ziehen. So schreibt jemand, der sein Handwerk beherrscht, dem aber jeder Anflug von Genius fehlt. Das meinte wohl auch der Rohwolt-Verlag und hat dem Buch eine entsprechende Übersetzung besorgt, in der beispielsweise aus „Her heart sank“ Wort für Wort „Ihr Herz sank“ wird.
Gelungen sind allerdings die kurzen Passagen am Ende mancher Kapitel, die im Stil eines Märchens die Lebensgeschichte einer Randfigur erzählen. Diese Passagen ragen stilistisch über die Konfektionsware, die das Buch ansonsten bietet, hinaus und zeigen, dass ein bisschen mehr Mut zum Experiment dem Roman ganz gut getan hätte.
Dass mich das Buch dennoch bei der Stange gehalten hat, lag vor allem am historischen Hintergrund der Geschichte, der bei der Suche nach Mörder und Motiv zunehmend an Gewicht gewinnt. Die Spur führt hier ins Weißrussland der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts, eine Zeit, in der in diesem Land zunächst unter stalinistischer später unter nationalsozialistischer Diktatur ein Viertel der Bevölkerung ermordet wurden und die viele Menschen vor die Wahl nach Überleben oder Bewahrung der eignen moralischen Integrität gestellt hat. Hier gelingt Banks eine solide Auseinandersetzung mit dem Thema, in der sich Gut und Böse, Schwarz und Weiß im Verlauf der Geschichte wohltuend zu Grautönen vermischen.
Und insofern stimmt es natürlich völlig: besser dieses Buch lesen als "Frauentausch" schauen.

Da natürlich - natürlich! - keiner, der das liest, jemals "Frauentausch" gesehen hat, hier mal ein Eindruck:

Die Handhabung der Untoten

John Ajvide Lindqvist: So ruhet in Frieden

Auch wenn mich der Fantasy-Filmfest-Hit „Let The Right One In“ nicht uneingeschränkt entzückt hat, so hat mich die Story immerhin neugierig auf den Autor der Romanvorlage gemacht. Dem FFF sei dank, denn sonst hätte ich John Ajvide Lindqvists 2005 in Schweden erschienenen und jetzt auf in deutscher Übersetzung vorliegenden Roman „So ruhet in Frieden“ vermutlich nie gelesen. Der Bastei-Verlag vermarktet das Buch in Optik und Beschreibung hilflos als Schweden-Krimi bzw. „Thriller“, obwohl bereits innerhalb der ersten 50 Seiten klar wird, dass man es hier mit einer weitaus bedrohlicheren und schwerer goutierbaren Geschichte zu tun hat.
Lindqvists Buch ist ein Zombie-Roman, der allerdings Filmen wie dem französischen Les Revenants vom Fantasy Filmfest 2005 näher steht als Romero oder Resident Evil, selbst wenn ironische Verweise auf letztere bemüht werden. Die regionale und zeitliche Begrenzung der Rückkehr der Untoten (nur in Stockholm und nur Tote, die in den vergangenen zwei Monaten gestorben sind, erwachen wieder zum Leben) verhindern ein allzu ausuferndes apokalyptisches Szenario. Stattdessen bleibt genügend Raum für die Frage, wie die Hinterbliebenen damit umgehen, wenn die betrauerten Toten plötzlich wieder leben - allerdings körperlich, geistig und emotional extrem eingeschränkt. Dabei stehen drei Fälle im Vordergrund, wobei in einem Fall der Untote schnell keine Rolle mehr spielt und eher die generelle Bedeutung der Ereignisse für dessen Hinterbliebene (Enkelin und Ehefrau) ins Zentrum des Interesses rücken. Dabei werden auf 450 Seiten en passant Fragen nach dem Umgang mit Verlust und Trauer, nach Schuldgefühlen von Eltern und Kindern, nach Religion und Rationalität, nach Sterblichkeit, Seele und Leben nach dem Tod behandelt, und das alles bei - weitgehend - durchgehaltener Spannung, in grandios düsterer Atmosphäre und mit bisweilen zünftigen Effekten. Keine Sorge also, der Roman ist kein intellektueller Diskurs, sondern macht Spaß und unterhält, bei entsprechender Affinität zum Genre, großartig.
Eher als Henning Mankell und Konsorten drängt sich also der Vergleich zu Stephen King auf. Lindqvist hält diesem Vergleich mühelos stand, da er ein intellektuell größeres Kaliber darstellt, auf Fäkalhumor verzichtet und nicht im letzten Drittel seines Buches die Lust am eigenen Roman verliert und ein hanebüchenes Ende zusammenschustert (ich sage nur „Es“). Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Roman aus dem Horror-Genre noch mal so packt, wie dieses Buch. Eine glatte Empfehlung also!

Samstag, 20. September 2008

Das Wort aus Stein

Stephan Porombka & Hilmar Schmundt (Hg.): Böse Orte. Stätten nationalsozialistischer Selbstdarstellung - heute

Der Titel ist Programm, der Ansatz kein historischer. In zehn Texten nähern sich zehn Autoren, die allesamt keine Historiker sind, den baulichen Überresten des Dritten Reiches. Die Frage, die dabei im Vordergrund steht, ist die nach der Wirkung der Monumente, des „Wortes aus Stein“, das in der Absicht nationalsozialistischer Propaganda das tausendjährige Reich überdauern und auch nach seinem Untergang von dessen Größe zeugen sollte
Dieser Ansatz hat Vor- und Nachteile. Positiv ist die Lesbarkeit aller Texte. Die meisten liest man gern, sie sind spannend geschrieben und präsentieren den Blick des Nicht-Fachmanns auf das Dritte Reich. Doch damit geht auch das größte Problem des Buches einher. Oft fehlt es den Autoren an Distanz zum Objekt und sie erliegen genau jener Faszination der Orte, die sie - zumindest laut Einleitung - ja eigentlich demystifizieren wollen. Wenn Stefan Porombka in seinem Text über Hitlers Autobahn nicht müde wird zu betonen, dass es sich bei den gängigen Aussagen zum Thema Reichsautobahn (sie haben Arbeitsplätze geschaffen und dienten zur Vorbereitung des Krieges) um Mythen handelt, sollte er dies auch belegen. Stattdessen legt er seinen Focus aber lieber auf die Beschreibung des Ambientes eines im Wald vor sich hin verwitternden Abschnittes Reichsautobahn und trägt damit nicht zur Versachlichung des Themas bei.
Entsprechend fand ich den Text am besten, der sich neben aller atmosphärischer Schilderung auch um eine angemessene Einbettung der Fakten bemüht. Jürgen Trimborn stellt diese in seinem Text zum Berliner Olympiastadion zunächst zusammen und nähert sich dem Bauwerk dann in zehn „Ortsbegehungen“ zu unterschiedlichen Zeiten. So entsteht im Laufe des Lesens ein Eindruck von der Ambivalenz der Wirkung des Stadions und des Umgangs mit ihm.
Am anderen Ende der Skala beweget sich ein Text von Zeit-Autorin Jana Simon, die weniger Interesse am „Musterdorf Alt Rehse“ als an der sich dort in der Gegenwart abspielenden Provinzposse hat. Der geschichtsferne Jung-Bürgermeister und der verbitterter Ex-Bürgermeister liefern sich hier einen Kleinkrieg um den Umgang mit der Vergangenheit. Was Simon daraus macht, ist routinierter Journalismus ohne Erkenntniswert.
Richtig unerträglich ist der Text von Berufs-Querdenker Henryk M. Broder, der seine paar Seiten zum Führerbunker zum Aufwärmen der Debatte um das Holocaust-Mahnmal nutzt und hierzu, wie man es von ihm kennt und erwartet, auch mit einer ganz eigenen und gegen den Konsens gerichteten Meinung aufwarten kann. Gähn.
Die größten Probleme und das größte Vergnügen hatte ich mit Hilmar Schmundts Aufsatz zum Obersalzberg. Denn Schmundt bietet hier Einblicke in den Gruseltourismus zu Führers Urlaubsdomizil, die einen schaudern lassen. Nur leider erliege ich so einem Schauder gerne. Es ist diese Mischung aus Faszination und Ekel, die mich bisweilen auch motiviert "Frauentausch" oder die "Super-Nanny" zu schauen. Die Lust an Dummheit und Stumpfsinn der Anderen. Nur dass es eben etwas anderes ist, dem Prekariat mit leicht sadistischem Genuss bei der Selbstentblößung zuzuschauen, als sich angesichts des unbefangenen bis steindummen Umgangs seiner Landsleute mit der eigenen Geschichte wohlig zu gruseln. Hier hat mir die Distanz zur Materie gefehlt, aber ich wälze jede Verantwortung auf Herrn Schmundt ab und gehe sogar so weit zu sagen, dass es genau dieser Mangel an Distanz auch ist, der das Buch insgesamt zur kurzweiligen Lektüre, aber nicht wirklich zu einem seriösen Unternehmen macht.

Und wer so weit gelesen hat, darf sich jetzt mal überlegen, wie witzig er das findet:

DJ Zoulwags (i.R.) Monatsfavoriten

The Metros: Talk About It
Jawoll! 1/10 beim NME - aber ich habe ein Herz für Außenseiter. Außerdem klingt's frisch und wirkt präventiv gegen Herbstdepressionen.




Peter Fox: Alles neu
Genialer Text, brachialer Beat und sehr hübsches Video




Frank Spilker: Es sieht gut aus
Und hört sich gut an. Entspannter geht's kaum & der gute Frank zeigt uns, dass man bei entsprechendem Charisma auch mit knapp 5 Euro Budget noch ein effektives Video hinzaubern kann.




Elbow: Audience With The Pope
Mercury-Prize! Jawoll!! Ich fühle mich, als hätte ich ihn bekommen.




Indochine: 3eme Sexe
Aus rein ästhetischen Gründen und weil ich nicht erkannt habe, dass der Song für die neue Gaultier-Werbung verwurstet wurde.

Samstag, 13. September 2008

Hundt, Künast, Hitler

Ein Text aus dem Sommer 2002. Irgendwie noch immer aktuell.

Besonders wild schlägt momentan BDA-Präsident Hundt um sich.

Seitdem man in Deutschland überall rote Laternen wedeln sieht, hat ihn offensichtlich eine Mischung aus Wut, Patriotismus und beruflicher Verpflichtung gepackt. So torpediert Hundt seit Wochen die Medien mit einer Mischung aus Anklagen und Pauschallösungen, wobei er auch vor Themen, von denen er keine Ahnung hat, nicht zurückschreckt. Beispiel Bildung.

Dass Hundt seit der eigenen Primanerzeit keine Schule mehr von innen gesehen hat, macht all das ungewaschene Zeug deutlich, das er zu diesem Thema vernehmen lässt. Irgendwann in den Siebzigern muss er außerdem mal in Gerhard Löwenthals "ZDF-Magazin" einen Bericht über links-schwule antiautoritäre Erziehung gesehen haben, und seitdem hat sich die Schublade "Pädagogik" in seinem Schädel geschlossen. Das wäre ja nicht weiter schlimm. Auch ich habe von vielen Dingen keine Ahnung und pflege liebevoll meine Feindbilder und Vorurteile. Nur dass ich mich mit meiner Unkenntnis nicht zum Messias für alle Belange aufschwinge.

So konnte man von Hundt schon vor einigen Wochen die Forderung nach dem Ende der Kuschelpädagogik lesen. Gestern dann las ich, dass Hundt das Ende der Softpädagogik will. Softpädagogik? Ich kenne nur Softeis, und das soll wegen der Salmonellen schädlich sein. Und Kuschelpädagogik? Dass Menschen wie Hundt nichts für´s Kuscheln übrig haben, kann man sich denken, nur was hat das mit Pädagogik zu tun? Was um Gottes Willen meint Hundt mit seinen Kampfbegriffen? Und was wäre denn deren Gegenteil? Zurück zum Rohrstock und zur Ohrfeige, die Hundt ja auch nicht geschadet haben? Zum Fünfziger-Jahre-Nürnberger-Trichter? Den will Hundt offensichtlich auch nicht, denn der Lehrplan soll ja entschlackt werden. Welche Inhalte da rausfallen, wenn es nach Hundt geht, kann man sich denken. Ausbildung statt Bildung heißt die Devise. Schaffung von Humankapital für seine Klientel.

Die Vermutung, dass ein Blick über den Tellerrand, ein breiter Horizont und womöglich die Weckung von Interessen, die über die Lern- und Lebensziele "Spaß und wirtschaftlicher Erfolg" hinausgehen, nicht nur überflüssig, sondern sogar unerwünscht sind, liegt nahe. Und dass Hundt, wenn er von Bildung spricht, nicht in erster Linie an Kinder, Jugendliche oder Menschen denkt, sondern an Statistiken, Effektivität und Profit, macht seine Forderung deutlich, es solle ein "Bildungspass für jedes Kind, in dem Talente und Defizite vermerkt sind", eingeführt werden. Die brave new world des Dieter Hundt. Kinder möglichst früh katalogisieren, stigmatisieren und insgesamt hart anfassen, damit sie wissen, was ihnen bevorsteht, wenn ihnen der raue Wind der Wirtschaft ins Gesicht bläst. Spinnt man den Gedanken weiter, könnte man wieder verpflichtende Jugendorganisationen einführen, in denen man allerdings nicht wie früher in der "schweren Zeit" den Leib wehrtüchtig, sondern den ganzen Kerl wirtschaftstüchtig macht. Börsenspiele statt Räuber- und Gendarm.

Doch ich muss mich zügeln, denn schon schießt mein Adrenalin so wild, dass ich ins Terrain der NS-Zeit-Vergleiche abzurutschen beginne. Und damit stellt man sich auf eine Stufe mit Helmut "Staatsmann" Kohl und Walter Schmierer.

An Kohls Gorbatschow-Göbbels-Gleichsetzung erinnern sich vermutlich nur noch die Älteren unter uns. Der Aufschrei, der durch die Presse ging, als der Ehrenvorsitzende des Bauernverbands Enzkreis Walter Schmierer beim Kreisbauerntag in Mühlacker sagte: "Wenn ich Frau Künast reden höre, fällt mir Adolf Hitler ein", ist einem noch frischer in Erinnerung. Halten wir einen Moment lang inne.

Ab und zu gibt es Situationen und Sätze, die man sich schöner nicht hätte ausdenken können. Hier stimmt einfach alles: Setting (Mühlacker), Name (Schmierer), Profession (Ehrenvorsitzender eines regionalen Bauernverbandes) und die steindumme Äußerung. In einem sozialkritischen Fernsehspiel über die beklemmende Atmosphäre auf dem schwäbischen Land hätte die Szene nicht besser gewählt sein können.

Dass die Nennung Hitler/Künast in einem Atemzug, von der Medienmaschinerie nicht unbemerkt bleiben würde, hätte selbst Bauer Schmierer klar sein müssen. Was veranlasste ihn also dazu, mit dem Stammtischspruch an die Öffentlichkeit zu treten? Schmierer selbst sagte dazu lt. Badischen Neusten Nachrichten (BNN): "Wir haben in den vergangenen Monaten so viele verbale Prügel von Frau Künast bekommen, jetzt habe ich vielleicht überreagiert." Wenn Weihnachten wäre, würde ich Frau Künast einen ordentlich großen Knüppel schenken, damit sie es nicht beim verbalen belassen muss.

Jedenfalls ist Schmierers Rechtfertigung ein ebensolcher Stuss ist wie sein Originalsatz.

Inwiefern überreagiert? Worauf denn genau? Muss ich mir das so vorstellen, dass Frau Künast mit falschem Schnauz, Seitenscheitel und Reiterstiefeln monatelang vor Schmierer und anderen Landsern auf und ab getanzt ist und sie mit rollenden Rs bombardiert hat, bis dem Oberlandwirt der Kragen geplatzt ist?

Was Bauer Schmierer vermutlich tatsächlich zu seiner Äußerung veranlasst hat, war, dass er Frau Künast nicht leiden kann und sich über sie schon ziemlich lange aufregt. Und weil Schmierer kein 15-jähriger Hauptschüler ist, der vor lauter Kuscheln kotzen könnte und seinen Lehrer daher als "Arschloch" oder noch schlimmeres bezeichnet, sondern in der guten alten Zeit Halbbildung a la Hundt oder zu viel Guido Knopp auf dem zweiten Bildungsweg - man verzeihe mir die kabarettistische Doppeldeutigkeit - genossen hat, weiß er: Hitler=sehr böse. Daher hat er den Hitler zum Schimpfwort gemacht. Er ist nicht der erste. Hitlers sind sie alle, die Milosevics, Saddams und Bin Ladens, und im privaten vielleicht auch mal der Vermieter, der Chef oder die lahmarschige Kassiererin im Supermarkt. Für Schmierer ist es Renate Künast, für Dieter Hundt sind es vielleicht alle Lehrer, die mit ihm schmusen wollen. Das Schlimme ist nicht die Gleichsetzung Hitler/Künast durch einen unbedarften Provinzler. Auf solche Äußerungen stürzen sich die Medien ohnehin reflexartig. Bedenklich ist eher die Banalisierung der Person Hitlers, die damit einhergeht.

Muss denn ausgerechnet "Adolf Hitler" zum Schimpfwort werden? Sobald irgendwo auf der Welt ein böser Politiker oder Diktator auftaucht, wird er als Balkan- oder Russenhitler tituliert. Schwarz-weiß-Denken ist einfach, aber eben nicht unbedingt sinnvoll. Deshalb sollte Herr Schmierer nicht für seine Künast/Hitler-Gleichsetzung (natürlich nur verbal) geprügelt werden, sondern für seinen unbeschwerten Umgang mit dem Namen Hitler. Dass es auch anders geht macht BNN-Mitarbeiter Edmund Gruber deutlich, der in einem Artikel über den Besuch Jörg Haiders bei Saddam Hussein letzteren eben nicht als den "Hitler von Bagdad", sondern als "Terrorpaten", "Kurdenschlächter" und "Blutherrscher vom Tigris" bezeichnet. Es geht also auch anders.

Die Unmöglichkeit zu trauern

7 Jahre später - ein Text vom 18.09.2001

Als am Nachmittag des 11.9.2001 sämtliche Fernsehstationen begannen, über die Terroranschläge von New York und Washington zu berichten, konnte man etwas erleben, das man nur noch selten im Fernsehen erlebt. Die ansonsten geölt laufenden Maschinerie geriet angesichts der erschütternden Ereignisse und der unfassbaren Bilder ins Stocken. Auf der ARD, dem was Fernsehnachrichten betrifft immer noch "ersten deutschen Fernsehen", konnte man einen erschöpft wirkenden und neben sich stehenden Ulli Wickert erleben, der in seinen Moderationen immer wieder ins Stocken geriet. Oft wirkte er angesichts der immer neuen auf Zetteln herein gereichten Nachrichten verwirrt, bisweilen schlichtweg überfordert, und im Gespräch mit einem "Islamexperten" fragte er eine Spur zu emotional: "Warum machen Menschen das?".
Was manche Wickert als Unprofessionalität auslegen mögen, kann man angesichts dessen, was in den Folgetagen in der Behandlung der Terroranschläge im Fernsehen immer wieder zu beobachten war, aber auch grundsympathisch finden. Wickert war ehrlich erschüttert, das merkte man ihm an. Und er war nicht der einzige. Die sich in New York befindenden USA-Korrespondenten und Journalisten unterschiedlichster Fernsehsender hatten häufig ebenso Mühe, die Fassung zu bewahren. Man kann es ihnen nicht verdenken. Zu unglaublich war schon der Vorfall allein: ein Terroranschlag von einem Ausmaß, das man bisher nicht einmal in fiktionalisierter Form in einem einschlägigen Hollywood-Film erwartet hätte. Die dazugehörigen Bilder taten ein übriges. Der Aufprall des zweiten Flugzeuges in das World Trade Center, Menschen, die aus dem brennenden Gebäude springen, die einstürzenden Türme, die New Yorker Silhouette noch Stunden später im Qualm erstickt. Kalt konnte das kaum jemanden lassen.
Im Laufe der letzten Tage hat der erste Schock jedoch nachgelassen - zumindest im Fernsehen, wo man die Dinge jetzt wieder im Griff hat. Das merkt man vor allem an den sich einschleifenden Phrasen. Besonders wild treibt man es hier im ZDF, z.B. in dem am Sonntag ausgestrahlten Rückblick auf die "Woche des Terrors". Offenbar hat man bei diesem Sender inzwischen einen ganz eigenen Reportagestil verbindlich gemacht: den Stil der kurzen und prägnanten Sätze. Man versucht nicht mehr Zusammenhänge in zusammenhängenden Sätzen zu präsentieren. Man versucht sich an knalligen Phrasen und griffigen Aphorismen. "Freissler, der Bluthund." bzw. "Die zwanziger Jahre. Berlin. In einer Stadt pulsiert das Leben. Doch dann. Hitler. Diktatur, Terror, Unglück.". Diese Sprachverstümmelungen kannte man bisher vor allem aus den einschlägigen Guido-Knopp-Filmchen. Jetzt halten sie auch in der heute-Redaktion Einzug. "Ästhetik des Grauens" salbadert ein Sprecher zu den Bildern der am Tag nach den Anschlägen über den Ruinen Manhattans aufgehenden Sonne. Mit "Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit" untermalt man Bilder von Geretteten; "Erschütterung, Wut, Trauer" heißt es zu Bildern weinender Menschen; und schließlich das obligate "Nichts wird mehr so sein wie zuvor" am Ende jedes zweiten Beitrags. Von Verunsicherung und Bestürzung ist hier nichts mehr zu spüren. Man hat sich auf die Situation eingestellt und fährt ein routiniertes Programm.
Dazu kommt ein anderes Problem für die Sender, das umso größer wird, je länger die Terroranschläge vom 11.9. zurück liegen. Während Präsident Bush seinen "Kreuzzug" vorbereitet und immer wieder martialisch, aber noch rein verbal die Faust zum Gegenschlag ballt, fehlen dem Fernsehen die Neuigkeiten. Was nun passiert, ist das, was immer passiert. Die alte Suppe wird wieder und wieder aufgekocht. Denn die Ereignisse wühlen die Menschen auch weiterhin auf. Das bedeutet, dass sie den Fernseher anschalten, um neues über die Folgen des Anschlages zu erfahren, und das wiederum bedeutet aus der Sicht der Fernsehsender Quote. Deswegen bedient man uns auch weiterhin mit der Thematik.
Bei ARD und ZDF stand dabei die Analyse der Ereignisse im Vordergrund. Experten über Experten kamen plötzlich aus ihren Löchern: Islam-, Nahost- und Terrorexperten; zu ihnen gesellten sich Flughafensicherheitsleute, Piloten und Feuerwehrmänner. Dass viele ihr Expertentum dazu nutzen, auch das an den Mann resp. ans verunsicherte Fernsehvolk zu bringen, was sie schon seit Jahren umzutreiben scheint, ist wohl unvermeidlich. Beispiel Peter Scholl-Latour, ein Mann, der sich nicht zu Unrecht Nahostexperte nennt und auch sicherlich einiges sehr Treffendes und Wahres zu sagen hat. Angst und bange konnte es einem jedoch werden, als Scholl-Latour zu Gast bei Michel Friedman mehrmals voller Verbitterung das Ende der Spaßgesellschaft ausrief und mehrere Verbalschläge gegen die verweichlichten 68er und die momentane Regierung incl. Opposition unternahm. Immerhin, lieber ein Scholl-Latour, der abgesehen von solchen wohl altersbedingten Abschweifungen doch eine fundierte und aufschlussreiche Analyse der Hintergründe bot, als irgendein Politiker egal welcher Partei. Denn von diesen gab es wortreich immer dasselbe, das sich in einige wenige Schlagworte zusammenfassen lässt: Betroffenheit, Erschütterung, unbedingte Treue zum Amerikaner und, nachdem es der Kanzler vorgemacht hatte, den Satz "Das ist eine Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt". Überraschen konnte keiner von ihnen.
Bei den privaten Sendern wählte man einen anderen Weg, als Nachrichten im Sinne von Neuigkeiten allmählich ausgingen. Man wählte den Weg, den man besser beherrscht, als den des ernsthaften Journalismus: den des Infotainment nämlich. Hier behauptete sich besonders der Kölner Sender RTL erneut als Marktführer. Während SAT1 bereits am Mittwoch wieder zu Kommissar Rex überging, schlug man bei RTL breitmöglichst Kapital aus den Ereignissen. Man hatte exklusive Bilder vom Aufprall der zweiten Maschine, aus Einstellungen, die man sonst nirgends zu sehen bekam. Man hatte sofort aufwendige Computersimulationen erstellt, in denen man den Aufprall der zweiten Maschine noch einmal schematisch nachzeichnete. Und man hatte Unmengen von Augenzeugen.
So war es in den letzten Tagen sehr wahrscheinlich beim Einschalten von RTL gerade eine schluchzende Augenzeugin oder einen verdreckten Feuerwehrmann zu sehen. Oder einen deutschen Geschäftsmann, der mal im WTC zu Mittag gegessen hat, und den man auf RTL-Kosten nach New York geflogen hat, um ihn vor der Skyline bzw. vor Polizei-Absperrungen postiert "Wahnsinn", "Das nimmt mich mit" und "Nichts wird mehr so sein wie es mal war" sagen zu lassen.
Nicht entgehen konnte man, besonders auf RTL, auch der Thematik "der Anschlag und die Sportler". Dass die Ereignisse vom 11.9. einen hilflos zurücklassen, ist unbestreitbar; dass man etwas tun will, nachvollziehbar. Wenn Menschen auf die Straße gehen, Kerzen anzünden oder Blumen vor amerikanischen Einrichtungen ablegen, haben sie meinen ehrlichen Respekt. Wenn jedoch Michael Schumacher vorschlägt, als Zeichen der Betroffenheit, Solidarität oder warum auch immer in den ersten beiden Runden eines Formel1-Rennens nicht zu überholen, dann frage ich mich, ob ihm der Benzindampf jetzt das Hirn vollends zersetzt hat. Ebenso könnte ich von nun an immer einbeinig über die Neckarbrücke hüpfen, wenn ich von meiner Wohnung ins Heidelberger Zentrum gehe. Der Effekt wäre derselbe.
Dagegen war die unbeholfene Reaktion so mancher Fußballtrainer fast schon rührend. Dass sie ihre Mannschaften gerne hätten spielen lassen und der Anschlag ihnen jetzt gerade gar nicht so recht ins Konzept gepasst hat, konnten sie zumeist so schlecht verbergen, dass man sich ob solch vertrottelter Arglosigkeit fast schon Sympathie für sie abringen konnte.
Keinerlei Sympathie kann ich jedoch Menschen entgegenbringen, die zu allem und jedem ihren ahnungslosen, unqualifizierten Senf abgeben, obwohl ihre einzige Rechtfertigung dafür darin besteht, dass sie obszön, skrupellos oder aufdringlich genug sind, um sich vor jede Kamera zu drängeln. "Prominente" nennt RTL diese Menschen, und es sind die üblichen hohlköpfigen, nutzlosen Existenzen, die der Sender immer dann auffährt, wenn es darum geht, Sendeminuten mit besonders verbildendem Müll zu füllen. Daher entblödete man sich nicht, am 17.9. im Mittagsmagazin "Punkt 12" in Ermangelung neuer Bilder des aufprallenden Flugzeuges bzw. neuer ergreifender Abschiedsbotschaften von amerikanischen Anrufbeantwortern die Damen Feldbusch und Elvers sowie die Herren Moshammer und Ottfried Fischer ihren nachgeplapperten "Erschütterungaberlebengehtweiter.mussja"-Müll absondern zu lassen.
Bin ich zynisch oder ist es RTL? Ich weiß es nicht, man sage es mir. Ich finde es zynisch, den Medien einen Abschiedsgruß und eine Liebeserklärung zuzuspielen, die eine Ehefrau kurz vor ihrem Tod auf dem heimischen Anrufbeantworter hinterlassen hat. Ich finde es zynisch, sich von RTL nach New York fliegen zu lassen, und dort vor Trümmern zu posieren und betroffene Phrasen abzuspulen. Ich finde es zynisch, ein solches Ereignis medial auszuschlachten, weil es Quote bringt. Quote, weil die Menschen verunsichert sind und Angst haben. Angst vor einem Vergeltungsschlag, vor neuen Terrorakten und vor einem Krieg, dessen Ausmaß momentan noch völlig unklar ist. Sender wie RTL bedienen ihre Zuschauer in einer solchen Situation nicht mit Hintergründen und Informationen. Sie liefern Emotionen; weinende Menschen und austauschbare Betroffenheitsstatements. Die Folge ist Abstumpfung. Für RTL ist der Anschlag fanatischer Terroristen gegen Amerika ebenso ein Medienereignis und Quotenbringer wie Big Brother es war. Und wie man Big Brother durch alle Sendung (oder wie es im Medienjargon heißt: "Formate") gezerrt hat, bis es den Zuschauern zu den Ohren rauskam und keiner mehr die Container-Schwachköpfe sehen wollte, so wird man es auch mit den Terroranschlägen machen. Wir werden Melissa Hughes´ "Sean, it´s me.." noch so lange hören, bis ihre Quote sinkt. Dann wird sie verschwinden, allenfalls werden wir Sean noch im Jahresrückblick bei stern-tv bewundern dürfen. Es steht allerdings zu befürchten, dass es zuvor genügend neue schreckliche Bilder geben wird, die die momentane Zurschaustellung der Emotionen ablösen werden. Und bei dem Gedanken wünscht man sich dann doch noch möglichst lange den halbgaren Senf der Elvers und Moshammers dieser Welt.

Trauerarbeit 6 Jahre später:

Was macht eigentlich... Nick Hornby?

Nick Hornby: How To Be Good

Was war eigentlich nach “About a Boy”? Der Name Nick Hornby ist nach wie vor präsent, aber was hat der knuffige Vorzeigeengländer mit dem ironischen, aber doch menschlichen Humor, eigentlich in den letzten 10 Jahren geschrieben? Hornby hat uns immerhin das äußerst amüsante „High Fidelity“ bescherte, das dann erst John Cusack & Konsorten mit ihrem absoluten Unverständnis des Musik-Nerdtums zu einer belanglosen Romatic Comedy weichgespült haben. Aber wenn man mal ehrlich ist, sind 50% von High Fidelty ja auch Romantic Comedy, und diese 50% haben Hornby sicherlich mehr Leserschaft beschert, als seine Exkurse ins Thema gute und böse Musik.
Eigentlich also nur konsequent, dass „How to be Good“ eher den Beziehungsfaden von Hornbys Büchern weiterspinnt. Allerdings sind Themen wie gerade scheiternde Ehen, die Entfremdung von den eigenen Kindern und die Reize einer Affäre schon an sich nur bedingt interessant. Daily Soap ick hör dir trapsen. Ironie & Humor wurden bereitwillig geopfert. Stattdessen macht Hornby als Frauenversteher ernst und schreibt aus der Perspektive einer weiblichen Ich-Erzählerin. Das wirkt bisweilen arg anbiedernd an das Brigitte-Klientel, das aber natürlich zugegebenermaßen seine Bücher in erster Linie auch kauft.
Nach einer Qual bis S. 67 habe ich die Hoffnung auf Besserung aufgegeben & wende mich dem Buch vielleicht in 10 Jahren noch mal zu, falls es meiner Lebenssituation dann eher entspricht.

The Pursuit of Happiness

Alex Capus - Mein Studium ferner Welten

Ein Roman in 14 Geschichten klang erst mal abschreckend. 14 Kurzgeschichten, die über die Klammer wieder erscheinender Figuren und Orte zusammengehalten werden, waren zu befürchten. Doch etwa ab der Hälfte des Buches kristallisiert sich ein Oberthema des Buches heraus. Die Suche nach dem persönlichen Glück und das Scheitern auf dieser Suche. Dabei gibt es zwei nicht gleich berechtigte Hauptfiguren, Max Mohn und Johnny Türler, und Max ist am Ende, nach zahllosen Rückschlägen sogar so etwas wie ein unaufdringliches Happy End beschert. Es ist das Verdienst des Autors, dass aber auch das Scheitern zuvor leichtfüßig, amüsant & lakonisch daherkommt.
Zentral war für mich das Kapitel, in der Max Mohn den Teufel in Gestalt seines Chefs trifft, der ihm jeden Wunsch erfüllt (Reichtum, Popularität, Frauen, die Möglichkeit gutes zu tun) und in dem klar wird, dass Max nicht an den Umständen, sondern an sich selbst scheitert. Der mutlose Mitläufer, der nur weiß, dass er es gerne anders hätte, aber nicht weiß wie.
Die Gestalt der Kontrastfigur Johnny, der aus der spießbürgerlichen Enge, anders als Max, ausbricht & gescheitert zurückkehrt, funktioniert gut, denn sie verhindert, dass der Leser Verachtung oder Überheblichkeit für Max entwickelt.
Doch abgesehen von seinem Überthema ist die große Stärke von Capus in diesem Buch das Geschichtenerzählen. Und so fand ich eigentlich die Geschichte von Madame Alice, der unehelichen Bauerntochter, die sich bis ins hohe Alter von den Männern umgarnen lässt und irgendwie auch nicht glücklich wird, am schönsten. Capus arbeitet hier mit skurrilen Kontrasten, die oft den Humor seines Buches ausmachen: das filigrane, schwarzhaarige Mädchen und die grobschlächtigen rothaarigen Bauern. An anderer Stelle verpackt der tätowierte Ex-Matrose Johnny mit seinen Riesenpranken Champagner-Trüffes in der elterlichen Konditorei.
Und schließlich war es wie schon in „Eine Frage der Zeit“ die Kunstfertigkeit dieses Autors im Erzeugen von Stimmungen, Bildern, Situationen mit ganz wenigen Worten und Mitteln. Ein großer Erzähler, ganz ohne Krawall & Budenzauber, dieser Alex Capus.

I Hear You Knocking

The Strangers - Fantasy Filmfest 2008 (5/5)

Zunächst einmal: der Film funktioniert. Ich bin einige Male ziemlich erschrocken, und das passiert mir bei dieser Art Film nicht mehr so wahnsinnig häufig. Nur wird dieser sicherlich gewünschte Effekt nicht durch, wie im Programmheftchen versprochen, „abgründig leisen Horror“ erreicht. Wenn The Strangers eines nicht ist, dann leise. Es geht zwar beschaulich los, doch sobald die Bedrohung beginnt, sind es vor allem laute, aufdringliche Soundeffekte, die einen im Kinositz zusammenzucken lassen. Wenn eine einminütige Stille von einem übertrieben Lauten Klopfen unterbrochen wird, dann hat das bei mir denselben Effekt, wie wenn jemand eine Papiertüte neben meinem Ohr unerwartet zum Platzen bringt. Eine große Kunst ist das nicht.
Und genau das ist der größte Schwachpunkt des Films: er ist ein bis ins Letzte kalkuliertes Produkt. Bekannte Versatzstücke der einschlägigen Vorbilder von Halloween bis Scream, wie Maske, Wandschrank und Personen, die aus dem Nichts auftauchen, werden ausgiebig verwurstet. Gleichzeitig verhält sich das bedrohte Pärchen – auch das ein Klischee des Genres – komplett irrational, ja fast schon idiotisch.
So konnte ich The Strangers durchaus etwas abgewinnen, aber bereits kurz nach dem Abspann beschlich mich das Gefühl, hier einer harmlosen Geisterbahnfahrt aufgesessen zu sein, der die verstörende Nachhaltigkeit eines Films wie Ils (der Vergleich ist unvermeidlich) fehlt.



Aber wenn ich ehrlich bin, fand ich Liv Tyler hier besser:



Und für alle, die noch so weit kommen: die bessere Variante des Themas, der französsiche Film "Ils"

Das Highlight

Just Another Lovestory - Fantasy Filmfest (4/5)

Direkt nach dem Film schnappte ich im Frankfurter Kinosaal von drei Aficionados mit Dauerkarte den Satz “Na ja, jetzt kommt Evangelion, da gibt’s mehr Action“ auf. Gleichzeitig weiß ich jetzt schon, dass am anderen Ende der Skala die feuilletonistische Filmkritik, sollte der Film jemals den Weg ins deutsche Kino schaffen, bemängeln wird, dass Ole Borndeal in der zweiten Filmhälfte „die subtile Beziehungsgeschichte einer Thriller-Handlung opfert“.
Ich liebe solche Filme. „Just Another Lovestory“ sitzt genremäßig zwischen den Stühlen, und der Titel ist natürlich reine Koketterie. Wir haben es keinesfalls nur mit einer weiteren Liebesgeschichte zu tun, auch wenn Liebe das den Film dominierende Thema ist. Drama, Thriller, Romanze, Charakterstudie, Komödie – alles ist irgendwie dabei, und das Schöne ist, dass sich die scheinbar gegensätzlichsten Genreelemente zu einem harmonischen Ganzen verbinden. Denn Just Another Lovestory hat genau das, was ich bei vielen anderen Filmen des diesjährigen FFF bisher vermisst habe: eine richtig gute Geschichte, die mich über die gesamte Filmdauer gefesselt und überzeugt hat. Da werden endlich mal wieder nicht altbekannte Muster zum x-ten Mal leicht variiert durchgespielt (ich verweise mal von den Filmen, die ich gesehen habe, auf The Strangers, Shuttle oder – wenn auch auf ganz hohem Niveau – Transsiberian), sondern glaubwürdige und individuelle Charaktere in ein nachvollziehbares Setting gepackt.
Und als würde das nicht schon allein glücklich machen, stimmt auch der Rest. Eindrucksvolle Bilder, die im Gedächtnis bleiben; ein durchdachtes, außergewöhnliches und doch völlig unprätentiöses Sounddesign; Schauspieler, die bis in die Nebenrollen überzeugen; pointierte, geschliffene und witzige Dialoge. Wer auf dem FFF nicht nur Blutfontänen und Bruce Campbell sehen will, sollte diesen Film dringend anschauen.

Tristesse Royale (Extended Remix)

Let The Right One In - Fantasy Filmfest 2008 (3/5)

Eins vorne weg. Schlecht ist „Let The Right One In“ keinesfalls. Es sind einige Dinge die für den Film um den Außenseiter Oskar und seine Vampirfreundin Eli einnehmen.
Allen voran ist da die über knapp zwei Stunden durchgehaltene stimmige, düster-verwaschene Plattenbautristesse im skandinavischen Winter. Wer ein Faible für Farben und Formen der Spät-Siebziger und frühern 80er hat, kommt hier visuell voll auf seine Kosten. Ein zweites großes Plus sind die beiden jugendlichen Hauptdarsteller, denen es zu verdanken ist, dass man das Interesse an der Geschichte nie ganz verliert. Auch die skurrilen Nebenfiguren vom überforderten Lehrer Avila bis zu den stets mehr oder weniger angetrunkenen Nachbarn Jocke, Lacke und wie sie alle heißen sorgen für den nötigen Comic Relief in der ansonsten bedrückenden Atmosphäre. Und schließlich fand ich auch den Soundtrack des Films sehr geschmackvoll, auch wenn es mir, anders als z. B. Schöngeist-Rezensent George Kaplan der Song „A Flash In The Night“ der Band Secret Service angetan hat, den ich bestimmt schon so lange nicht mehr gehört hatte, wie meine in den 80ern selbst aufgenommenen Audiokassetten im Keller in einer Bananenkiste vor sich hin gammeln.
Nur: acht, neun oder gar zehn von zehn? Liebe Leute, wir wollen doch die Kirche mal im Dorf lassen! 115 Minuten sind schon eine lange Zeit für so ein bisschen Geschichte. Von Mitschülern geschundene und Eltern missverstandene Teenager gab es ja nun schon zur Genüge in Filmen, und das Hauptproblem von Let The Right One In besteht für mich daher auch darin, dass der Film in seinem Verlauf immer weniger weiß, wohin er mit seiner Außenseiter-Geschichte will. Die zarte Annäherung von Oskar und Eli passt weder zu den Momenten, in denen man sich in einem dieser skandinavischen Skurrile-Typen-Film wiederfindet, noch zum Splatter-Finale in der Schwimmhalle. Dazu kommt das Problem, dass alle Figuren außer Oskar nur angerissen werden. Natürlich muss man die Frage, wie Eli zur Vampirin wurde und ob Hakan tatsächlich ihr Vater ist, nicht beantworten. Hätte man aber zu Gunsten von etwas mehr Substanz in der Geschichte schon machen können.
Vor der Schwimmhallenszene ertappte ich mich dabei zu denken, „Wie, noch immer nicht fertig?“. Und das spricht entweder gegen meine Geduld oder gegen einen Film, der einige eindrucksvolle Bilder bietet und ein paar Szenen, die im Gedächtnis bleiben, der aber insgesamt unausgegoren und zu lang ist.

Families and how to survive them

Mum & Dad - Fantasy Filmfest 2008 (2/5)

Ich mag sie einfach, die Briten. Zu Weihnachten setzen sie sich lustige Papierkrönchen auf, ihre Daily-Terror-Yellow-Press-Postillen sind ihnen heilig und zum Frühstück gibt’s lecker Würstchen. Mum & Dad zeigt irgendwie schon die ganz normale englische Working Class Familie – nur eben in ihrer pervertierten Form.
Nun stimmt es natürlich, dass degenerierte und perverse Familien einem von The Hills Have Eyes über Mother’s Day bis zu The Devil’s Rejects in Horrorfilmen immer wieder begegnen. Den Reiz von Mum & Dad aber macht das Abartige in der Normalität aus. Da läuft während des Familienfrühstücks ein Porno und die Weihnachtsdekoration lebt noch. Da herrscht die klassische Rollenverteilung im Sinne von „Warte nur, bis dein Vater nach Hause kommt“ und „So kannst du mit deiner Mutter nicht reden“, nur dass die elterlichen Sanktionen über Fernsehverbot und Stubenarrest weit hinausgehen. Da ist die ältere Schwester eifersüchtig auf das „Neugeborene“, nur dass das neue Geschwisterchen die entführte Putzfrau Lena ist, die zwangsweise in die Familie aufgenommen wird, weil sich Mum doch so sehr noch ein weiteres kleines Mädchen gewünscht hat. Es ist dieses Zusammengehen von Vertrautem und Perversen, das in Mum & Dad hervorragend funktioniert und das den Film auf eine unangenehme Art faszinierend macht.
Dazu tragen vor allem auch die Schauspieler bei. Dad Perry Benson verstand es schon in This Is England die bedrohlich dumpfe Type zu geben, hier legt er noch mal einen drauf. Mum Dido Miles ist eine beunruhigende Mischung aus Mütterlichkeit und Altersperversion. Und absolut genial fand ich Ainsley Howard als Birdie, die ständig plappernde, hinterhältige „große Schwester“ der entführten Lena; eine Frau Anfang 20, die auf dem geistigen Level einer 13jährigen stehen geblieben ist, und in der sich Hang zur Intrige, Gefallsucht und Sadismus zu einem wahrlich miesen Charakter verbinden.
Bleibt die Frage: was will dieser Film? Gesellschaftskritik a la Funny Games? Wohl kaum, denn dafür macht der Film streckenweise – ich schäme mich fast es zu sagen – zuviel Spaß und verfolgt insgesamt keine erkennbare Botschaft, die er unter die Leute bringen will. Also eher Tabubruch, Aufreger und ein bisschen vom Torture-Porn-Boom profitieren? Würde ich auch nicht so sehen, denn dafür ist der Film dann wiederum zu intelligent gemacht und schöpft das in der Geschichte angelegte Folterpotential – zum Glück – nicht aus. Am ehesten ist Mum & Dad daher vermutlich ein Stück Psychohygiene für alle Familiengeschädigten; ein Film, an den man sich an einem Weihnachtsabend erinnert, an dem es mit der herbeigesehnten Familienharmonie mal wieder nicht so klappt, und der einem dann ein wissendes und gelassenes Lächeln auf die Lippen zaubert.

Solide

Fantasy Filmfest 2008 (1/5)

Wenn ich aus FFF gehe, hoffe ich auf zwei Arten von Filmen. Außergewöhnliche Filme, die mich überraschen und in keine Genreschublade passen, und gut gemachte Genrekost, die ich sonst vermutlich nicht im Kino sehen würde. Shiver gehört ganz klar in die zweite Kategorie und wird wohl kaum den Weg in die deutschen Kinos finden. Europäisch und kein Arthouse? - Da winken die Verleihe ab.
Schade eigentlich, denn Shiver ist ein schön gemachtes Grusel-Mystery-Coming-of-Age-Thriller-Drama, das mich wunderbar unterhalten hat. Zwar beginnt die Geschichte um den lichtallergischen Teenager Santi, der mit seiner Mutter in ein verregnetes Pyrenäen-Dorf umzieht, um die Anzahl der täglichen Sonnenstunden zu minimieren, etwas schleppend los, doch etwa ab der Hälfte kommt der Film dank der nötigen Prise Tempo und Humor in Fahrt. Logikfanatiker raufen sich zwar zunehmend die Haare, aber die Frage, wieso jemand auf die Idee kommt, in einer Gefahrensituation nachts im Wald die Gruppe zu verlassen, um sich allein durchzuschlagen, hat mich noch nie umgetrieben. Ein Horrorfilm braucht Kanonenfutter und wenn ich Logik will, schaue ich in eine Formelsammlung.
Shiver ist einfach ein sympathischer Film mit guten Darstellern, schönen und effektvollen Bildern und einem geschmackvollen Production Design. Dass hier das Rad nicht neu erfunden wird, war abzusehen. Wer aber solide Genrekost schätzt, wird hier gut bedient.

Weiter auf der Eins

Erdmöbel im Karlstorbahnhof in Heidelberg (ein Text vom Dezember 2007)


Eine der großen musikalischen Fragen des Jahres 2007 ist, ob das No.1-Hits-Album der Band Erdmöbel (im Weiteren „Erdis“ genannt) eine gute Idee war. Das letztjährige „Last Christmas“-Cover ließ Schlimmes befürchten. Als dann über den Newsletter “Was geht Muschikatz” zum Pre-Listening bei mir eintraf, schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. Allerdings war die Methode geschickt gewählt, alle zwei bis drei Tage den Newsletter-Abonennten Stück um Stück inklusive Interview-Erklärung, wie es dazu kommen konnte, zuzuschicken. Denn zunehmend gewöhnte ich mich an das Konzept und konnte somit schließlich nicht nur der offensichtlichen Songs wie Kylie Minogues „Out of my Head“ oder Nirvanas „Teen Spirit“ etwas abgewinnen, sondern auch obskureren Covers wie „Einer wie wir“ (Joan Osbournes „One of us“) oder „Weil du fortgehst“ (alias „Porque tu vas“). Die dann sofort bei Erscheinen gekaufte CD hat es allerdings nie in die Heavy Rotation geschafft, ebenso wie ich zwei mögliche Konzerttermine in Frankfurt und Karlsruhe habe verstreichen lassen – so sehr hat es dann doch nicht gedrängt.

Das gestrige Konzert in Heidelberg war eines der letzten der Tour. Im für einen Samstag schwach besuchten Karlstorbahnhof traf eine sichtlich gut gelaunte Band auf ein reserviertes, teilweise recht geriatrisch wirkendes Publikum. Zwei Tage vor dem eigenen 36ten fand ich es aber eher tröstlich vergleichsweise wie ein junger Wilder zu wirken.

Zwei Jahre sind seit den großartigen Konzerten im Frankfurter Dreikönigskeller und der Kölner Kulturkirche vergangen, und als erstes fällt auf, dass Ekimas es sich in dieser Zeit hat gut gehen lassen. Entsprechend schlecht sitzt sein Anzug, den der Kugelbuch mit jeder Bewegung zum Verrutschen bringt. Fiese Krawatte, der altbekannte Topfschnitt, der allerdings schon länger nicht mehr nachgebessert wurde, und ein grauer Dreitagebart geben dem Produktions-Mastermind der Band ein sympathisch-verlassiertes Aussehen, das seine Gesichtsakrobatik, mit der er die am Bass gezupften Töne visuell unterstützt, noch besser zur Geltung bringt. Auch die anderen Bandmitglieder tragen Anzug, wobei Texter & Sänger Markus Berges wirkt, als wäre er mit einem solchen auf die Welt gekommen. Lange habe ich überlegt, warum Berges auf mich am gestrigen Abend noch eine Spur cooler gewirkt hat als sonst, und in der Mitte des Sets fiel mir dann seine Brille auf, deren Gestell von der Form her an bevorzugte Modelle tschechoslowakischer Dissidenten der frühen 70er-Jahre erinnerte, auf der Nase des Erdmöbel-Sängers aber den gepflegten Bohemien-Look gekonnt abrundete. Eine gelungene Ergänzung stellte zudem der neue, aus Düsseldorf stammende Posaunist dar, der nicht nur ein schön verschrammtes Instrument spielte, sondern Spielpausen auch zu gekonntem Mitswingen nutzte.

Geht es hier eigentlich auch um Musik? Natürlich. Nur leider war der erste Teil des Konzertes ein bisschen wie erwartet. Meine im Vorfeld gehegten Bedenken waren leider nicht ganz unbegründet, ich zitiere aus einer E-Mail:

„Erdmöbel werden es schwer haben, denn deren aktuelles Album hat mich ja nicht so 100%ig gepackt (nette Idee, alle möglichen Songs zu covern und die Texte ins Deutsche zu übertragen, aber wenn man schon das Original doof findet bedarf es nicht auch noch eines Covers). Na ja, ich werde mich am Charisma der Jungs erfreuen & sehe es als Zwischenstopp auf dem Weg zur neuen Platte, die im kommenden Jahr aufgenommen werden soll.“

So nimmt man erneut bewundernd zur Kenntnis, wie gut Markus Berges’ Übertragungen der Originale ins Deutsche eigentlich sind, man erfreut sich an den auf den ersten Blick unmöglich erscheinenden Umsetzungen von „Smells Like Teenspirit“ oder des Vengaboys-Songs „Up and Down“, aber so richtig mitreißend war das bei allem Charisma nicht. Höhepunkt war eindeutig Ekimas’ Bassspiel im Kylie-Minogue-Cover „Kopf“, das den Song grooven ließ wie Sau.

Vielleicht lag es aber auch am Publikum, das bis auf ein paar Gute-Laune-Gröhler in den hinteren Reihen recht teilnahmslos wirkte und sich dem Dialog mit der Band entzog sowie deren Handlungsanweisungen nur widerwillig Folge leistete. Der Aufforderung zum Stehblues bei „Fahler noch als fahl“ kamen nur sehr wenige Menschen nach. Ein junges Pärchen neben mir, das die meiste Zeit ohnehin mit filmen und fotografieren verbrachte, nutzte den Song immerhin dazu, die elektronischen Gerätschaften wegzupacken und zusammen zu tanzten, verlaberten das Lied dann aber mit belanglosem Geschwätz (Ich war leider in Hörweite). Bindungsunfähigkeit? Übersättigung? Einfach nur Doofheit? Die Erfahrungen bei Jeans Team und den Türen haben gezeigt, dass sich diese Sorte Mensch inzwischen auf jedem Konzert findet und dass sie immer in der ersten Reihe stehen müssen.

Aber ich schweife ab. Interessant war die Reaktion der Erdis auf das zurückhaltende Publikum. Dass Ekimas gerne mal die eine oder andere Schote zum besten gibt, konnte man schon auf anderen Konzerten erleben. Beeindruckend war allerdings die Wirkung des Energy-Drinks „Pep“ auf Sänger Berges. Der Texter von „Tätowiert von innen“ und „Wette unter Models“ gab sich gelöst und angenehm aufgekratzt, gestand dem Publikum, dass er an sich zu hibbelig sei, um „Einer wie wir“ zu spielen, oder dass er „Genau wie ich mir es wünsche“ einmal als Liebeslied für eine Frau geschrieben habe, die er dann doch nicht geheiratet hat, wobei er über dieses Geständnis dann selbst verblüfft war, da er das Lied so wohl noch nie angekündigt hatte. Ob die gute Laune der Band ab einem gewissen Punkt eher Galgenhumor war, mit dem der reservierten Haltung des Publikums begegnet wurde, ist mir nicht klar. Eine echte Interaktion fand jedenfalls erst mit dem letzten Song des No.1-Hits-Sets „Nah bei dir“ statt, den Berges mit der Drohung einleitete, dass der weitere Verlauf des Abends von der Mitarbeit des Publikums bei diesem Song abhänge.

Dass „Nah bei mir“ funktionieren würde, lehrt die Erfahrung des Jahres 2005. Ein schöneres Liebeslied als dieses Carpenters-Stück in Berges’ deutscher Übertragung kann es eigentlich kaum geben, und so singt man am Ende gerne inbrünstig mit dem Gedanken an die Liebste das „Aaaahhh-ha-ha-haa-haa, nah bei dir“ mit und lässt es sich warm ums Herz werden.

Die erfolgreiche Interaktion belohnten die Erdis mit einem ausgedehnten Zugabenteil, den man fast schon als zweites Konzert ansehen konnte. Zwar spielte die Band nicht wie von Ekimas angekündig „alle Greatest Hits aus sieben Alben“, aber immerhin neun mit Bedacht ausgewählte Songs. Hier taute dann auch das Publikum auf, und ich vermute daher, dass ich mit meinen Bedenken den No.1-Hits gegenüber nicht alleine bin. Bereits „Audrey Hepburn“ wurde begeistert aufgenommen, und bei „Genau wie ich mir es wünsche“ (mit Ekimas’ enthusiastischem Lalala-Backgroundgesang) und „Die Devise der Sterne“ war das 2005er-Niveau wieder erreicht. Auch wenn die Interaktion bei „Dreierbahn“ (Stichwort „Yippieh“, von einem weniger textsicheren Fan mit „Juchee“ variiert) und „Lied über gar nichts“ nicht auf höchsten Niveau war, stellte sich doch das spezielle Gefühl des Glücklichseins ein, das mir Erdmöbel-Konzerte bisher immer beschert haben. Und so nahm ich glücklich lächelnd die aktuelle Gratis-Single „Der letzte deutsche Schnee“ zur Kenntnis und freute mich sehr über den ruhigen Ausklang mit „Au-Pair-Girl“.

Die No.1-Hits-Tour neigt sich ihrem Ende entgegen, nächstes Jahr soll an einer neuen Platte gearbeitet werden. Ob es tatsächlich die von Markus Berges angekündigte Porno-Platte wird oder doch etwas ganz anderes, wird sich zeigen. Schön jedenfalls, dass es diese Band gibt.



Und so ein Akkordeon hatte ich auch mal. Allerdings in schwarz.

Na endlich

Willkommen lieber Leser.
Das erste Post in meinem ersten Blog. Um meine Eitelkeit zu befriedigen, heute erst einmal ein paar mehr oder weniger alte Texte von der Festplatte.