Samstag, 13. September 2008

Die Unmöglichkeit zu trauern

7 Jahre später - ein Text vom 18.09.2001

Als am Nachmittag des 11.9.2001 sämtliche Fernsehstationen begannen, über die Terroranschläge von New York und Washington zu berichten, konnte man etwas erleben, das man nur noch selten im Fernsehen erlebt. Die ansonsten geölt laufenden Maschinerie geriet angesichts der erschütternden Ereignisse und der unfassbaren Bilder ins Stocken. Auf der ARD, dem was Fernsehnachrichten betrifft immer noch "ersten deutschen Fernsehen", konnte man einen erschöpft wirkenden und neben sich stehenden Ulli Wickert erleben, der in seinen Moderationen immer wieder ins Stocken geriet. Oft wirkte er angesichts der immer neuen auf Zetteln herein gereichten Nachrichten verwirrt, bisweilen schlichtweg überfordert, und im Gespräch mit einem "Islamexperten" fragte er eine Spur zu emotional: "Warum machen Menschen das?".
Was manche Wickert als Unprofessionalität auslegen mögen, kann man angesichts dessen, was in den Folgetagen in der Behandlung der Terroranschläge im Fernsehen immer wieder zu beobachten war, aber auch grundsympathisch finden. Wickert war ehrlich erschüttert, das merkte man ihm an. Und er war nicht der einzige. Die sich in New York befindenden USA-Korrespondenten und Journalisten unterschiedlichster Fernsehsender hatten häufig ebenso Mühe, die Fassung zu bewahren. Man kann es ihnen nicht verdenken. Zu unglaublich war schon der Vorfall allein: ein Terroranschlag von einem Ausmaß, das man bisher nicht einmal in fiktionalisierter Form in einem einschlägigen Hollywood-Film erwartet hätte. Die dazugehörigen Bilder taten ein übriges. Der Aufprall des zweiten Flugzeuges in das World Trade Center, Menschen, die aus dem brennenden Gebäude springen, die einstürzenden Türme, die New Yorker Silhouette noch Stunden später im Qualm erstickt. Kalt konnte das kaum jemanden lassen.
Im Laufe der letzten Tage hat der erste Schock jedoch nachgelassen - zumindest im Fernsehen, wo man die Dinge jetzt wieder im Griff hat. Das merkt man vor allem an den sich einschleifenden Phrasen. Besonders wild treibt man es hier im ZDF, z.B. in dem am Sonntag ausgestrahlten Rückblick auf die "Woche des Terrors". Offenbar hat man bei diesem Sender inzwischen einen ganz eigenen Reportagestil verbindlich gemacht: den Stil der kurzen und prägnanten Sätze. Man versucht nicht mehr Zusammenhänge in zusammenhängenden Sätzen zu präsentieren. Man versucht sich an knalligen Phrasen und griffigen Aphorismen. "Freissler, der Bluthund." bzw. "Die zwanziger Jahre. Berlin. In einer Stadt pulsiert das Leben. Doch dann. Hitler. Diktatur, Terror, Unglück.". Diese Sprachverstümmelungen kannte man bisher vor allem aus den einschlägigen Guido-Knopp-Filmchen. Jetzt halten sie auch in der heute-Redaktion Einzug. "Ästhetik des Grauens" salbadert ein Sprecher zu den Bildern der am Tag nach den Anschlägen über den Ruinen Manhattans aufgehenden Sonne. Mit "Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit" untermalt man Bilder von Geretteten; "Erschütterung, Wut, Trauer" heißt es zu Bildern weinender Menschen; und schließlich das obligate "Nichts wird mehr so sein wie zuvor" am Ende jedes zweiten Beitrags. Von Verunsicherung und Bestürzung ist hier nichts mehr zu spüren. Man hat sich auf die Situation eingestellt und fährt ein routiniertes Programm.
Dazu kommt ein anderes Problem für die Sender, das umso größer wird, je länger die Terroranschläge vom 11.9. zurück liegen. Während Präsident Bush seinen "Kreuzzug" vorbereitet und immer wieder martialisch, aber noch rein verbal die Faust zum Gegenschlag ballt, fehlen dem Fernsehen die Neuigkeiten. Was nun passiert, ist das, was immer passiert. Die alte Suppe wird wieder und wieder aufgekocht. Denn die Ereignisse wühlen die Menschen auch weiterhin auf. Das bedeutet, dass sie den Fernseher anschalten, um neues über die Folgen des Anschlages zu erfahren, und das wiederum bedeutet aus der Sicht der Fernsehsender Quote. Deswegen bedient man uns auch weiterhin mit der Thematik.
Bei ARD und ZDF stand dabei die Analyse der Ereignisse im Vordergrund. Experten über Experten kamen plötzlich aus ihren Löchern: Islam-, Nahost- und Terrorexperten; zu ihnen gesellten sich Flughafensicherheitsleute, Piloten und Feuerwehrmänner. Dass viele ihr Expertentum dazu nutzen, auch das an den Mann resp. ans verunsicherte Fernsehvolk zu bringen, was sie schon seit Jahren umzutreiben scheint, ist wohl unvermeidlich. Beispiel Peter Scholl-Latour, ein Mann, der sich nicht zu Unrecht Nahostexperte nennt und auch sicherlich einiges sehr Treffendes und Wahres zu sagen hat. Angst und bange konnte es einem jedoch werden, als Scholl-Latour zu Gast bei Michel Friedman mehrmals voller Verbitterung das Ende der Spaßgesellschaft ausrief und mehrere Verbalschläge gegen die verweichlichten 68er und die momentane Regierung incl. Opposition unternahm. Immerhin, lieber ein Scholl-Latour, der abgesehen von solchen wohl altersbedingten Abschweifungen doch eine fundierte und aufschlussreiche Analyse der Hintergründe bot, als irgendein Politiker egal welcher Partei. Denn von diesen gab es wortreich immer dasselbe, das sich in einige wenige Schlagworte zusammenfassen lässt: Betroffenheit, Erschütterung, unbedingte Treue zum Amerikaner und, nachdem es der Kanzler vorgemacht hatte, den Satz "Das ist eine Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt". Überraschen konnte keiner von ihnen.
Bei den privaten Sendern wählte man einen anderen Weg, als Nachrichten im Sinne von Neuigkeiten allmählich ausgingen. Man wählte den Weg, den man besser beherrscht, als den des ernsthaften Journalismus: den des Infotainment nämlich. Hier behauptete sich besonders der Kölner Sender RTL erneut als Marktführer. Während SAT1 bereits am Mittwoch wieder zu Kommissar Rex überging, schlug man bei RTL breitmöglichst Kapital aus den Ereignissen. Man hatte exklusive Bilder vom Aufprall der zweiten Maschine, aus Einstellungen, die man sonst nirgends zu sehen bekam. Man hatte sofort aufwendige Computersimulationen erstellt, in denen man den Aufprall der zweiten Maschine noch einmal schematisch nachzeichnete. Und man hatte Unmengen von Augenzeugen.
So war es in den letzten Tagen sehr wahrscheinlich beim Einschalten von RTL gerade eine schluchzende Augenzeugin oder einen verdreckten Feuerwehrmann zu sehen. Oder einen deutschen Geschäftsmann, der mal im WTC zu Mittag gegessen hat, und den man auf RTL-Kosten nach New York geflogen hat, um ihn vor der Skyline bzw. vor Polizei-Absperrungen postiert "Wahnsinn", "Das nimmt mich mit" und "Nichts wird mehr so sein wie es mal war" sagen zu lassen.
Nicht entgehen konnte man, besonders auf RTL, auch der Thematik "der Anschlag und die Sportler". Dass die Ereignisse vom 11.9. einen hilflos zurücklassen, ist unbestreitbar; dass man etwas tun will, nachvollziehbar. Wenn Menschen auf die Straße gehen, Kerzen anzünden oder Blumen vor amerikanischen Einrichtungen ablegen, haben sie meinen ehrlichen Respekt. Wenn jedoch Michael Schumacher vorschlägt, als Zeichen der Betroffenheit, Solidarität oder warum auch immer in den ersten beiden Runden eines Formel1-Rennens nicht zu überholen, dann frage ich mich, ob ihm der Benzindampf jetzt das Hirn vollends zersetzt hat. Ebenso könnte ich von nun an immer einbeinig über die Neckarbrücke hüpfen, wenn ich von meiner Wohnung ins Heidelberger Zentrum gehe. Der Effekt wäre derselbe.
Dagegen war die unbeholfene Reaktion so mancher Fußballtrainer fast schon rührend. Dass sie ihre Mannschaften gerne hätten spielen lassen und der Anschlag ihnen jetzt gerade gar nicht so recht ins Konzept gepasst hat, konnten sie zumeist so schlecht verbergen, dass man sich ob solch vertrottelter Arglosigkeit fast schon Sympathie für sie abringen konnte.
Keinerlei Sympathie kann ich jedoch Menschen entgegenbringen, die zu allem und jedem ihren ahnungslosen, unqualifizierten Senf abgeben, obwohl ihre einzige Rechtfertigung dafür darin besteht, dass sie obszön, skrupellos oder aufdringlich genug sind, um sich vor jede Kamera zu drängeln. "Prominente" nennt RTL diese Menschen, und es sind die üblichen hohlköpfigen, nutzlosen Existenzen, die der Sender immer dann auffährt, wenn es darum geht, Sendeminuten mit besonders verbildendem Müll zu füllen. Daher entblödete man sich nicht, am 17.9. im Mittagsmagazin "Punkt 12" in Ermangelung neuer Bilder des aufprallenden Flugzeuges bzw. neuer ergreifender Abschiedsbotschaften von amerikanischen Anrufbeantwortern die Damen Feldbusch und Elvers sowie die Herren Moshammer und Ottfried Fischer ihren nachgeplapperten "Erschütterungaberlebengehtweiter.mussja"-Müll absondern zu lassen.
Bin ich zynisch oder ist es RTL? Ich weiß es nicht, man sage es mir. Ich finde es zynisch, den Medien einen Abschiedsgruß und eine Liebeserklärung zuzuspielen, die eine Ehefrau kurz vor ihrem Tod auf dem heimischen Anrufbeantworter hinterlassen hat. Ich finde es zynisch, sich von RTL nach New York fliegen zu lassen, und dort vor Trümmern zu posieren und betroffene Phrasen abzuspulen. Ich finde es zynisch, ein solches Ereignis medial auszuschlachten, weil es Quote bringt. Quote, weil die Menschen verunsichert sind und Angst haben. Angst vor einem Vergeltungsschlag, vor neuen Terrorakten und vor einem Krieg, dessen Ausmaß momentan noch völlig unklar ist. Sender wie RTL bedienen ihre Zuschauer in einer solchen Situation nicht mit Hintergründen und Informationen. Sie liefern Emotionen; weinende Menschen und austauschbare Betroffenheitsstatements. Die Folge ist Abstumpfung. Für RTL ist der Anschlag fanatischer Terroristen gegen Amerika ebenso ein Medienereignis und Quotenbringer wie Big Brother es war. Und wie man Big Brother durch alle Sendung (oder wie es im Medienjargon heißt: "Formate") gezerrt hat, bis es den Zuschauern zu den Ohren rauskam und keiner mehr die Container-Schwachköpfe sehen wollte, so wird man es auch mit den Terroranschlägen machen. Wir werden Melissa Hughes´ "Sean, it´s me.." noch so lange hören, bis ihre Quote sinkt. Dann wird sie verschwinden, allenfalls werden wir Sean noch im Jahresrückblick bei stern-tv bewundern dürfen. Es steht allerdings zu befürchten, dass es zuvor genügend neue schreckliche Bilder geben wird, die die momentane Zurschaustellung der Emotionen ablösen werden. Und bei dem Gedanken wünscht man sich dann doch noch möglichst lange den halbgaren Senf der Elvers und Moshammers dieser Welt.

Trauerarbeit 6 Jahre später:

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