Sonntag, 22. März 2015

Das Filmjahr 2014

10/10 - die perfekten Filme

Viermal volle Punktzahl für vier sehr unterschiedliche Filme.

 An erster Stelle steht, der unisono geliebte Grand Budapest Hotel, über den ich nach dem Kinobesuch schrieb:
"Der erste Zehn-Punkte-Film des Jahres. Schon die Eröffnung mit der verschachtelten Erzählweise (Studentin liest Buch eines Autors, der als junger Mann einen Hotelbesitzer getroffen hat, der ihm die Geschichte eines Concierge erzählt hat, die dann die eigentliche Filmhandlung ist) macht Laune. Diese trägt zwar nichts zum eigentlichen Film bei, führt einen aber ganz wundervoll in den Kosmos des Wes Anderson ein, wo alles irgendwie bunter und comichafter ist, skurriler und der Realität leicht entrückt. Litt ich in Andersons andere Filme manchmal nach einiger Zeit an Ermüdung ob ihrer Skurrilität, die einem doch sehr nach einer Kunst um der Kunst willen vorkam, oder ob des Mangels einer interessanten Geschichte, funktioniert Grand Budapest Hotel über seine komplette Laufzeit, da er immer neue Wendungen und immer neue Charaktere auffährt, so dass Langeweile gar nicht aufkommen kann. Und auch die Fülle an Details ist dieses Mal in genau dem richtigen Maß, dass man nie das Gefühl bekommt, jetzt sei es aber auch mal gut mit dem Nonsens. Im Gegenteil: ich konnte mich gar nicht satt sehen an den Details im Hintergrund. Die Riege der Hollywood-Größen, die man in schrägen Moden und Makeup erst mal erkennen musste, trug auch zu dem nachhaltigen Spaß bei, ebenso wie schließlich die Tatsache, dass Andersons Film eigentlich eine Liebeserklärung an das alte, verlorene Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts ist, mit all seinen Absurditäten und Schwächen. Vielleicht ist es ja dieses Herzblut, das man hier spüren konnte, was den Film für mich zu dem gelungensten dieses Regisseurs macht." (17.3.2014)

Auch der zweite Konsensfilm des Jahres, Boyhood, erhält volle Punktzahl von mir. Allein das Konzept des Films, eine Kindheit und Jugend über mehr als ein Jahrzehnt zu begleiten und daraus einen Film von etwa drei Stunden Länge zu drehen, verdient Respekt. Dass der Film auch noch wunderbar funktioniert, liegt am guten Händchen, das die Macher beim Cast des Films hatten. Und allein Patricia Arquette im Zeitraffer altern zu sehen, ist faszinierend. Doch letztlich ist es wie bei jedem anderen sehr guten Film, es ist die Story, die funktioniert und in ihrer Umsetztung fasziniert, die (zumindest für die westliche Welt) universale Geschichte eines Heranwachsenden, der seine Höhen und Tiefen erlebt, unaufdringlich und mit viel Menschlichkeit erzählt.

Um menschliche Abgründe geht es in Gone Girl. Ich kenne die Buchvorlage nicht, insofern kann ich nicht sagen, ob es sich hier um eine gelungene Verfilmung handelt, ein gelungener Film ist Gone Girl aber allemal. Die Geschichte von der verschwundenen Ehefrau, deren Verschwinden ihrem Gatten angelastet wird, ist spannend, voller Wendungen und fährt ein hohes Tempo. Das funktioniert schon als Thrillergeschichte ziemlich gut, wird dann aber richtig interessant durch den stets unterschwellig vorhandenen gesellschaftlichen Kommentar zum Thema Geschlechterrollen und ihre mediale Darstellung. Dieser Kommentar ist bitter, wird aber so beiläufig und süffisant sarkastisch serviert, dass der Film vor allem Spaß macht, auch wenn man sich manchmal schon ein wenig für sein Amüsement schämt. Erwähnte ich schon die Darsteller? Dem allgemeinen Lobgesang auf Rosamund Pike schließe ich mich an, muss aber vor allem auch Mr All-Amercian-Guy Ben Affleck loben, der seine typische Klischeerolle spielt und dem man damit länger seine Unschuld glaubt, als man sie vermutlich einem ernsthafteren Charaktermimen abgenommen hätte.

Der vierte Film ohne Abstriche ist ein weniger offensichtlicher: Oktober, November erzählt die Geschichte der Rückkehr einer erfolgreichen Schauspielerin zu ihrem kranken Vater und ihrer Schwester, die in Österreich irgendwo auf dem Land einen Gasthof betreiben. Regisseur Götz Spielmann war mir von seinem vorherigen Film "Revanche" als versierter Beobachter von Zwischentönen im menschlichen Miteinander aufgefallen, und in "Oktober, November" gelingt ihm ein intensives Familienporträt, in dem emotionale Verbundenheiten und unüberwundene Kränkungen nebeneinander stehen und stets im Handeln der Figuren durchschimmern. Der bevorstehende Tod des Vaters verleiht der Konstellation Dynamik, treibt die Handlung voran und verleiht dem Film zudem eine weitere inhaltliche Facette. Ich war beeindruckt, fühlte mich als Zuschauer ernst genommen und ging mit vielen Gedanken im Kopf nach Hause. Mehr kann man vom sogenannten Arthouse.Kino kaum erwarten.    


9/10 - die sehr guten Filme

Und gleich noch ein Österreicher eröffnet die Riege der sehr guten Filme des Jahres 2014:
Das finstere Tal, an sich ein Western, über den ich nach dem Kinobesuch schrieb:
"Da ist er, mein erster Lieblingsfilm des Jahres 2014. Und ich wiederhole mich gerne und sage: die besten deutschsprachigen Filme kommen aus Österreich. Andreas Prochaskas „Das finstere Tal“ ist ein Italo-Western in den österreichischen Alpen, eine an sich simple, aber nachdrücklich erzählte und inszenierte Rachegeschichte. Ganz klar Style over Substance, aber was für ein Style! Eine Kamera, die in einer feindlichen, aber faszinierenden Landschaft schwelgt und lange auf ungewöhnlichen Gesichtern ruht. Viele nachhaltige Bilder, Einstellungen und Szenen; der ganze Film ist ein ästhetisches Fest, was allerdings auch ästhetisierte Hässlichkeit und Gewalt einschließt. Wer so was mag, wie ich, kommt voll auf seine Kosten, zumal der Film auch zahlreiche Referenzen an das erwähnte Genre des Italo-Western enthält. Allein vor deren teilweise extremer Gewalt und oft nihilistischer Weltsicht schreckt Regisseur Prochaska ein wenig zurück. Eigentlich gut so, denn im Jahr 2014 ist der Genrefilm raus aus der Schmuddelecke des Bahnhofskinos, und Tabubrüche haben nur noch die ganz Aufmerksamkeitsgeilen nötig (schöne Grüße an Lars von Trier).  Andreas Prochaska jedenfalls hat sie nicht nötig. Er hat einfach einen wunderbaren Film gemacht, dem ich viele, viele Zuschauer wünsche und den ich nur in höchsten Tönen loben kann." (11.2.2014)


Nun könnte ich natürlich zum Diss gegen den deutschen Film ausholen - Schweiger, Schweighöfer, Hallervorden - doch stattdessen lobe ich einen Film, von dem ich mir im Vorfeld nicht viel versprochen hatte. Der Trailer von Im Labyrinth des Schweigens sah nach einem dem Zeitgeist entsprechenden "Schlimm war's bei den Nazis"-Film aus, für den ein smarter Junganwalt als Figur geschaffen werden musste, damit die Geschichte um die verdrängte Nazischuld im Deutschland der 1950er-Jahre gefällig aufgepeppt und verdaulich erzählt werden kann. Mea culpa. Die Figur des von Alexander Fehling verkörperten Sympathieträgers dient naürlich der Dramatisierung des komplexen Themas, doch macht es sich der Film nicht leicht. Weder kann Fehling sich alleine behaupten, sondern ist auf Mitarbeiter angewiesen, noch kann er seine hochgesteckten Ziele (Ergreifung des KZ-Arztes Josef Mengele) erreichen. Immer wieder werden ihm Steine in den Weg gelegt, und am Ende muss er erkennen, dass er die wahren Schuldigen nicht ihrer gerechten Strafe zuführen kann, sondern in erster Linie einen Prozess gegen das Vergessen einer verdrängten Schuld führt. Insofern macht der Film im Kern schon Hintergründe, Probleme und Kontext der Auschwitzprozesse klar. Deren realer Protagonist Fritz Bauer taucht im Film überdies auch in der zurückhaltenden und nuancierten Darstellung durch Gert Voss auf. Spannend und doch nicht reißerisch, engagiert und doch differenziert; "Im Labyrinth des Schweigens" ist nach langer Zeit mal wieder ein intelligenter Film über deutsche Geschichte, dessen zentrale Botschaften nicht nur "Hitler war's" und "War schon schlimm" sind. 

Einen ganz anderen Blick auf den Zweiten Weltkrieg wirft Heinz Emigholz' The Airstrip – Aufbruch in die Moderne, augenscheinlich erst einmal ein Film über Architektur, bei dem vor allem Emigholz' ungewöhnlicher filmischer Stil auffällt, in dem Gebäude nie mit Kamerabewegung, sondern, ähnlich wie bei einer Diashow, in aufeinanderfolgenden, statischen Bildern festgehalten werden. Der Effekt ist beeindruckend, da die Bewegung in den einzelnen Bidlern stets nur durch die Umwelt des Gebäudes (vorbei laufende Menschen, durch das Bild fliegende Vögel, im Wind rauschende Bäume) entsteht. Doch auch wenn die Architektur im Vordergrund steht, geht es in Emigholz' Film eigentlich um das 20. Jahrhundert. "Gib einem lächerlichen Mann eine Armee und er ist nicht mehr lächerlich", sinniert die Offstimme zu Beginn, und der rote Faden des Films ist der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkrieges. Grenzenloses Selbstvertrauen und Fortschrittsglaube, irrsinnige Selbstüberschätzung und ungekannte Zerstörungen prägen dieses Jahrhundert und haben ihren Ausdruck in seiner Architektur gefunden. So spannt sich der Bogen vom leerstehenden, protzigen Jugendstilkaufhaus in Görlitz zum postmodernen Einkaufszentrum, dessen Verfall bereits wenige Jahre nach seiner Errichtung einsetzt und das außerhalb des Films auch im Musikvideo zum Kreidler-Track "Sun" bewundert werden kann. Auch wenn man nur im Film einen ganz konkreten Zusammenhang zum Zweiten Weltkrieg erfährt.

Eine ganz andere Herangehensweise an das Zhema findet sich in Hayao Miyazakis Wenn der Wind sich hebt, der die Geschichte des Konstrukteurs der kleinen japanischen Kamikazeflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Miyazakis Film ist vor allem eine (weitere) Liebeserklärung ans Fliegen und der Ausdruck seiner Bewunderung für einen von einer Idee entfachten Erfinder und Konstrukteur. Wie in seinen anderen Filmen findet er dafür wunderbare Bilder und erinnert den Zuschauer daran, dass Animationsfilm nicht zwangsläufig knallbunt, hektisch und voller sprechender Tiere sein müssen.
Ein weiterer japanischer Film, der mich im Jahr 2014 sehr beeindruckt hat, war Like Father, Like Son, die Geschichte zweier vertauschter Babys, deren Eltern von der Verwechslung erst erfahren, als die beiden Jungen sechs Jahre alt sind. Der Film schildert das Kennenlernen der beiden sehr unterschiedlichen Familien und ihr Umgehen mit der Situation, wobei vor allem der traditionsbewusste und erfolgreiche Geschäftsmann Ryoto, für den die Blutsverwandtschaft entscheidend ist, einen Erkenntnisprozess durchläuft. "Like Father, Like Son" ist ein Film, bei dem man nicht weiß, wie melodramatisch und rührselig er hätte werden können, wenn sich ein großes Hollywoodstudio des Themas angenommen hätte. Hirokazu Koreeda geht das Thema erfreulich unaufgeregt an. Er schildert den Alltag mit seinen Höhen und Tiefen, Momente der vorsichtigen Annäherung, aber auch der Enttäuschung,. Es ist ein Film der leisen Töne, dessen größte Stärke die Sympathie des Regisseurs für alle seine Figuren ist. Der erfolgreiche Geschäftsmann ist kein gefühlloses Monster, sein Gegenpart, der Elektrohändler Yudai ist zwar ein schluffiger Sympathieträger, der allerdings gerade seiner Ehefrau mit seinem Hang zu Chaos und Slackertum auch schon mal gehörig auf die Nerven geht. Nach "Boyhood" auf jedem Fall der schönste Film zum Thema Eltern und Kinder des Jahres 2014.    

Und schließlich noch zweimal Hollywood:
Christopher Nolans Interstellar ist ein optisches Kinovergnügen der schönesten Sorte. Eine Space-Opera, die keines 3Ds bedarf, um einen optisch umzuhauen. Dass es Nolan nicht bei Schauwerten belässt, sondern sich gerade zu Beginn des Films sehr viel Zeit für Charakterentwicklung nimmt, lässt den Zuschauer auch gebannt der Geschichte folgen. Die entwickelt sich ab einem gewissen Punkt zwar etwas in Richtung Physiker-Nerdtum, aber da heißt es für den Geisteswissenschaftler einfach mal das Hirn abschalten und die Bilder genießen. "Kino, dafür werden Filme gemacht" - dieser alte Werbespruch passt hier zu hundert Prozent.

Und schließlich die Abschiedsvorstellung von Philip Seymour Hoffman, Anton Corbijns A Most Wanted Man, ein Spionagethriller, in dem kein schillernder James Bond Superschurken besiegt und Häschen vernascht, sondern ein soziophobes menschliches Wrack Geheimdienstarbeit gegen die Mühlen der Bürokratie verrichtet. Die Spannung bezieht der Film nicht aus seiner Action, sondern aus der Handlung; Spannungskino für Erwachsene gewissermaßen, getragen von einem genialen Hauptdarsteller.

8/10 - die guten Filme

Ich beginne mal mit den Filmen, zu denen ich direkt nach dem Kinobesuch etwas geschrieben hatte:

The Secret Life of Walter Mitty
"Naiv, schlicht, oberflächlich - so urteilt die Kritik über "The Secret Life od Walter Mitty". Von mir aus. Ich fand Ben Stillers Film angenehm warmherzige Hollywood-Unterhaltung mit sympathischer Botschaft, guten Darstellern, fantastischen Landschaftsaufnahmen und exquisitem Soundtrack. Und mehr braucht es ja manchmal gar nicht.." (13.1.2014)

American Hustle
"Nominiert für zehn Oscars! Und doch fragt sich der erfahrene Gangster- und Gaunerfilmgucker in der ersten halben Stunde, ob er diese Art von Geschichte nicht schon ein paar Mal gesehen hat: ein Betrügerpärchen gerät in die Fänge eines ehrgeizigen FBI-Agenten, der mit ihrer Hilfe ein paar große Fische fangen will. Gut, das Ganze spielt im schönsten 70er-Jahre-Ambiente und beginnt mit Christian Bale, dem die Wampe über die Hose hängt und der sich kompliziert sein Toupet befestigt, aber wäre es bei solchen optischen Scherzen geblieben, hätte „Amercan Hustle“ auf über zwei Stunden Laufzeit eine zähe Nummer werden können. Zum Glück gewinnt die Geschichte irgendwann an Fahrt. Sie nimmt immer neue Wendungen und die Betrügereien werden immer vertrackter, wundervolle Nebenfiguren betreten den Schauplatz, allen voran Jennifer Lawrence als Ehefrau Christian Bales zwischen umwerfender Sexiness, trotteligem Auftreten und psychotischer Unberechenbarkeit (“She was the Picasso of passive-aggressive karate“). Regisseur David O. Russell gelingt es dabei gekonnt, das richtige Maß an Skurrilität und Ernsthaftigkeit zu wahren, eine Qualität die seinen auf die Dauer recht anstrengenden früheren Filmen wie “Flirting With Disaster“ und „I Heart Huckabees“ noch fehlte. So bleibt man als Zuschauer stets gefesselt von der Geschichte und kann sich doch immer mal wieder über kleinere Absurditäten und Überzeichnungen freuen. Und so wollte auch in der letzten halben Stunde das Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht weichen. Allerdings empfehle ich, den Film im Original zu sehen. Die deutsche Synchronisation ist zwar nicht schlecht, hinkt aber in Tempo und Treffsicherheit der Wortwahl dem Original mehrfach hinterher. 10 Oscars? Mal schauen, wie viele es am Ende werden. Ein sehenswerter Film ist „American Hustle“ für Freunde gehobener Hollywood-Unterhaltung allemal." (26.2.2014)

Satansbraten
"Ein Künstlerdrama über einen erfolglosen und von Geldsorgen geplagten Dichter; ein Ehedrama; eine Parabel über den Faschismus – das klingt nach deutschem Problemfilm, das klingt nach schwerer Kost. Doch „Satansbraten“ ist in erster Linie gepflegter Irrsinn. Zwar werden all die genannten Themen verhandelt – und mit der Faschismuswarnung meint es Autor und Regisseur Fassbinder wohl auch ganz ernst – doch werden sie dies mit den Mitteln der überdrehten Komödie, der Farce und der Satire. Das funktioniert über weite Strecken auch recht gut. Kurt Raab gibt den unsympathischen Dichter und Herrenmenschen Walter Kranz mit beeindruckender Hingabe und stets aufgedrehtem Lautstärkepegel. Kranz verachtet alles Profane und alle Kleinbürger in seiner Umwelt, ist aber stets darauf aus, an Geld zu kommen, wobei er auch nicht davor zurückschreckt, seinen Eltern den letzten Spargroschen abzuluchsen. Er schreibt nicht, sondern steigert sich in den Wahn, Stefan George zu sein und ganz für die Kunst zu leben. Sein Publikum bezahlt er, die erhabene Aura der Lesungen bei Kerzenschein wird jäh unterbrochen, wenn Mutti das Licht anschaltet und mit den Schnittchen kommt. Fassbinder holt hier zum Rundumschlag gegen ein bürgerliches Kunstverständnis aus, in dem die Kunst erhaben und der Lebensrealität entrückt ist. Die „L’art pour l’art“ wird der Lächerlichkeit preisgegeben, und der Zuschauer hat – bei entsprechender Neigung –  seinen Spaß. Wie viel von Fassbinder selbst in Walter Kranz steckt, ist mir dabei eigentlich egal. Der Film funktioniert auch dann ganz wunderbar, wenn man nichts über Fassbinders Persönlichkeit weiß. Zwar wird der Spaß auf zwei Stunden Laufzeit ausgedehnt bisweilen etwas anstrengend, doch ist der Film mit seinem Ideenreichtum und seiner Radikalität in Zeiten stromlinienförmigen Konsenskinos bis in den Arthouse-Bereich eine brachiale und anarchistische Wohltat.
Abschließend einmal mehr ein großes Lob an das Filmmuseum, das den Film in einer ordentlichen 35mm-Kopie zeigte, so dass man ihn in wohliger Kinoatmosphäre genießen konnte." (12.3.2014)

Love Steak
"Es ist schon eine Ironie, dass das Publikum in „Love Steaks“, den die Kinoillustrierte Cinema als „junges Kino“ und „mitreißende Romanze“, ja sogar als „die Zukunft des deutschen Films“ bezeichnet, bis auf vielleicht zwei Personen aus bildungsbürgerlichen Ü-40ern besteht.  Die örtlichen Studenten hatten sich wohl schon am Abend zuvor in dem sich inhaltlich eher an ein arriviertes Publikum richtenden „Her“ von Spike Jonze verausgabt. Da hätten die Kinogänger vermutlich im Schnitt mehr Spaß gehabt, wenn sie den jeweils anderen Film besucht hätten.
Regisseur Jakob Lass sieht seinen Film jedenfalls als ersten „Fogma“-Film, womit er durchaus ernsthaft auf die dänischen Dogma-Filme Bezug nimmt, deren Credo „kein künstliches Licht, kein Make-Up, authentische Schauplätze“ er übernimmt. Ein echtes Drehbuch gab es nach seiner Aussage wohl auch nicht, und die Nebenrollen sind allesamt mit Laiendarstellern besetzt; Hotelangestellte, die sich selbst spielen. Das „F“ steht laut Lass für Freiheit, Flow und Fuck. Na ja. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Fogma- wie schon der Dogma-Anspruch nicht zuletzt auch ein geschickter Marketing-Schachzug für Filme mit extrem kleinem Budget ist. Nur eben auf Deutsch, jung und very Berlin.
Das soll niemanden abschrecken, denn je länger der Film dauerte, desto mehr wurde ich in seinen Sog gezogen. Die Liebesgeschichte zwischen dem schüchternen Physiotherapeuten Clemens und der aufsässigen Kochazubine Lara funktioniert nicht nur als romantischen Komödie der besonderen Art, sondern ist zugleich auch realistisches Alkoholikerdrama und zwischen den Zeilen ein Blick auf  Kommunikations- und Hierarchiestrukturen der heutigen Arbeitswelt. Dies alles entfaltet sich nach und nach und erfordert, dass man sich auf Schnitte einlässt, die andernorts als Anschlussfehler gelten würden, dass man hinnimmt, dass einzelne Sätze der Darsteller auch mal vernuschelt werden und, was für mich am schwersten war, die Eitelkeiten des Jung-Regisseurs schluckt. Denn bei aller angeblichen Authentizität gibt es genug artifizielle Mätzchen, die den Gestaltungswillen einer Hand im Hintergrund erkennbar machen. Kurze Soundtrackeinspieler, die Emotionen erzeugen oder untermalen sollen; häufige Schnitte, die Szenen zum Zweck der Dramaturgie straffen - an sich alles Dinge, die der Authentizitätsidee des Films widersprechen. Andererseits ist die Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit, Ironie und Beklemmung so gelungen und Lana Cooper und Franz Rogowski als Lara und Clemens so glaubhaft und liebenswert, dass man das alles vergessen und den Film einfach nur lieb haben kann. Man muss ja nicht immer gleich Sensationen wittern und zum Superlativ greifen. Man kann den Film einfach nur gut finden und hoffen, dass Jakob Lass nicht zum neuen Lars von Trier wird. Und außerdem sollte man nie vergessen: der Fuchs schläft nicht, er schlummert nur." (1.4.2014)


Non-Stop
"Ein Film getreu dem Motto der Videofreunde: Video rein - Alltag raus. Nur eben im Kino. Liam Neeson spielt einen vom Leben gebeutelten Air-Marshall, der auf einem Transatlantikflug mysteriöse Textnachrichten erhält, in denen ein Unbekannter 150 Millionen Dollar fordert, da er ansonsten alle 20 Minuten eine Person im Flugzeug umbringen wird. Tatsächlich gibt es am Ende der ersten Frist einen Toten, und irgendwie sind alle verdächtig, inklusive Neeson selbst. „Non-Stop“ ist bestes Spannungskino. Das Tempo ist hoch, die klaustrophobische Enge des Raumes und die Anspannung von Air-Marshall und Bordpersonal übertragen sich auf den Zuschauer. Action gibt es auch, aber nicht in dem Maße, wie man in all den Berichten zu dem Film lesen kann, und das ist auch gut so, denn über einen langen Zeitraum bezieht der Film seine Spannung nicht aus Faustkampf und Ballerei, sondern in erster Linie aus der Story und dem exzellenten Spiel der Akteure, bei denen man nie weiß, ob ihnen zu trauen ist oder nicht. Julianne Moore als undurchsichtige Sitznachbarin des Marshalls ist einmal mehr fantastisch, Michelle Dockery (bekannt als Mary Crawley aus Downton Abbey) hat als Flugbegleiterin einen erfreulich großen Part und füllt ihn mit gewohnt nuanciertem Spiel, und Liam Neeson spielt eben die Rolle, die in „Taken“ und „Unknown Identity“ auch schon ganz wunderbar funktioniert hat. Dass die Auflösung letztlich nur enttäuschen kann, war anzunehmen. Je größer das Rätsel, desto größer die Erwartungen und desto schwieriger ein befriedigender Schluss. Egal, am Ende knallt es ordentlich und das kleine Mädchen stirbt nicht – das ist überraschungsfrei, aber auch nicht schlimm, denn zuvor wurde man 90 Minuten lang bestens unterhalten." (9.4.2014)

Die zwei Gesichter des Januar
"Gepflegtes Spannungskino bietet das Regie-Debüt des „Drive“-Autors Hossein Amini. Wer genauer hinschaut, bekommt zudem ein Charakterdrama um zwei nur scheinbar unterschiedliche Männer geboten. Dies deutet der Titel schon an, denn immerhin hat der Monat Januar seinen Namen vom zweigesichtigen Janus aus der griechischen Mythologie, und die von Oscar Isaac und Viggo Mortensen grandios verkörperten Figuren, deren Schicksal durch einen dummen Zufall und durch die Liebe zu derselben Frau aneinander gekettet wird, machen den Film erst so richtig interessant. Wem das zu anstrengend ist, der kann sich an den exzellenten Schauplätzen des Films, Griechenland, Kreta und Istanbul, und das alles auch noch im stimmigen Retrolook des Jahres 1962, erfreuen. Ein mit Sorgfalt gemachter, unaufgeregter Film mit einem intelligenten Drehbuch, der es zwar nicht, wie einem die Werbung weismachen will, mit dem ebenfalls auf Patricia Highsmith zurückgehenden „talentierten Mr. Ripley“ aufnehmen kann, der aus der momentanen Flut knalliger, aber sinnentleerter Hollywoodfilme jedoch angenehm heraussticht." (4.6.2014)

Sinnentleerte Hollywoodfilme? Irgendwie unfair, wenn ich jetzt so sehe, wie stark mein Filmjahr 2014 von US-Produktionen dominiert wurde. Und zwei kommen noch:
Nightcrawler, ein fieser Film, in dem ein gespenstischer Jake Gyllenhaal seinen American Dream verfolgt, erfolgreicher Sensationsreporter zu werden. Ein bittere Gesellschafts- und Mediensatire, in der Gyllenhaals emotionslose, ja fast schon autistisch wirkende Figur, die Verlogenheit einer auf Informationsfreiheit pochenden, aber nur Kohle und Karriere im Sinn habenden Journalistengattung entlarvt. Dass dies nicht mit erhobenen Zeigefinger, sondern mit Satire und Sarkasmus passiert, macht den Film umso nachhaltiger. 

Ich kann aber auch anders. Clint Eastwoods Musical-Verfilnung Jersey Boys gut finden zum Beispiel kann ich auch. Schnörkelloses Hollywoodkino zum Eintauchen und gut finden, an das ich völlig unvorbelastet von Story, Musik und Musicalvorlage geriet und das mir zwei Stunden unbeschwerte Kinounterhaltung bescherte. Punkt.

Unbeschwert lustig fand ich auch die deutsche Komödie Wir sind die Neuen und den französischen Erfolgsfilm M. Claude und seine Töchter. "Klischee", "vorhersehbar", "Probleme herunterspielend" - jaja, meinetwegen. Ich hatte meinen Spaß.

Wie übrigens auch in Die Zeit der Kannibalen, der nun wieder offensichtlicher meinem "Beuteschema" entsprach: neurotische Finazhaie, die in der Abgeschiedenheit ihrer Luxushotels plötzlich erleben müssen, wie die Einschläge näher kommen - das ist doch genau mein Ding. Erfreulich bösartig, erfreulich konsequent am Ende und in den beiden männlichen Hauptrollen wunderbar überzogen gespielt (endlich mal wieder eine schöne Rolle für den großen Devid Striesow). Ein zugegebenermaßen sehr deutscher Film, aber ich habe ja an sich nichts gegen deutsches Kino, solange ich von den Schweigers und Didi Hallervorden verschont bleibe.


Und wer die Kapitalismuskritik aus einem anderen Blickwinkel haben will, dem empfehle ich abschließend den Dokumentarfilm Frohes Schaffen, der fundiert, plausibel und unterhaltsam nachweist, dass sich harte Arbeit nicht unbedingt lohnt und der protestantische Arbeitsethos doch ein großer Mumpitz ist.
Wie wahr.
Und wie es eigentlich auf dem Fantasy Filmfest 2014 war, erzähle ich dann demnächst mal, wenn mich der Schaffensdrang wieder überkommt. Kann also dauern.