Samstag, 15. Februar 2014

Up, Up and Away


Balthazar gastieren im Heidelberger Karlstorbahnhof

Es beginnt mit einem Dejà Vu. Gab es nicht letztes Jahr im Frankfurter Nachtleben auch so einen elendig öden Support-Act? Für den Eindruck zitiere ich die Whats-App-Unterhaltung mit der daheimgebliebenen Dame:
Ich: Man bleibt sich insofern treu, als der Supportact auch dieses Mal wieder horrend schlecht ist.
Sie: (3 Frownies)
Ich: Ja, gehört dazu. Heißen ironischerweise auch noch Champs (Daumen hoch).
Sie: (Daumen hoch). Und machen was für Musik?
Ich: Musik für Herzinfarktpatienten. Folk für Grundschulpädagoginnen.
Sie: Also schööööön…
Ich: Nee, die wären selbst dir zu langweilig. Rue Royale mit angezogener Handbremse und Rücktritt.
Sie: Oh je (Edvard-Munch-Der-Schrei-Frownie).
Aber das scheint die Musik zu sein, die die gestresste junge Indie-Crowd braucht. Während des ausgiebigen Soundchecks höre ich wie ein wild zurecht frisierter junger Szenegänger ein Sitzkonzert in der kommenden Woche anpreist, wobei ihm das „Sitzen“ „unter der Woche“ die Veranstaltung besonders attraktiv macht. TGIF.

Gegen zehn sind Balthazar soweit. Die Rahmenbedingungen sind deutlich besser als im wohnzimmerartigen Nachtleben: eine breitere und höhere Bühne, auf der die drei Herren und eine Dame im Vordergrund sich unbeschwerter bewegen können als noch vor einem Dreivierteljahr. Dazu der Karlstorbahnhof-übliche gute Sound und eher kleine Menschen vor mir – alles perfekt. Und auch das Konzert macht Spaß. Dabei gibt es noch nicht mal, wie ich zunächst dachte, ein neues Album, sondern nur die Single „Leipzig“. Und so bringt die Band so ziemlich die kompletten ersten beiden Alben zu Gehör. „The Boatman“ oder „The Oldest of Sisters“ sind wie erwartet Höhepunkte. Ersteres ist in der Liverversion gefühlt doppelt so lange wie auf dem Album, was zeigt, dass die Band weiß, mit welchen Pfunden sie wuchern kann. Überhaupt ist die Setlist im Wechsel von offensichtlichen Hits und Stücken, in die man sich erst mal reinhören muss, perfekt. Genau wie das Zusammenspiel der Band. Ein weiteres Mal haben sich Balthazar weiterentwickelt, zu einer Band, in der alle Mitglieder unterschiedliche Rollen haben, aber gleichberechtigt wichtig sind. Dass sie dabei auch optisch und vom Auftreten her ganz unterschiedliche Typen sind, kommt dem zugute und ermöglicht es dem Zuschauer stets interessiert vom einen zum anderen zu schauen. Und auch wenn mich nicht jeder Song packt, so ist es jedoch stets der markante Bass und der mehrstimmige Gesang, der mich vollkommen für diese Band einnimmt. Dazu der Einsatz der Violine, der Wechsel zwischen rockiger Gitarre und sphärischen Synthesizern in den verschiedenen Songs – das alles führt dazu, dass es kaum Hänger gibt. Mit „15 Floors“ erreicht das Konzert auch dieses Mal wieder einen Höhepunkt, und einmal mehr klatscht das unwissende Publikum an der Stelle, als der Song kurz abebbt, nur um dann noch einmal massiv mit der Grundmelodie einzusetzen. Derart intensiv habe ich das noch nicht erlebt, und für die PH-Studentinnen neben mir wird es an dieser Stelle kurzzeitig zu heftig. Fantastisch.

Hätte das Konzert hier geendet, wäre ich vollkommen glücklich gewesen. Doch folgen noch ein paar Songs, zu denen sich zwei unangenehme Pärchen in die ersten Reihen drängen. Zwei Quarterback-Jungs mit den Schnallen, die sie verdienen, alle vier cocktailsaufend und ohne Blick für die umstehenden zarten Pflänzchen. Ihr Wochenende feiernd wollen sie unbedingt „Blood Like Wine“ hören, jenen Song, der in der acapella gesungenen Textzeile „Raise your glasses…“ endet. Die Band steckt diesen Indiepöbel besser weg als die umstehenden Feingeister. Während sich im Publikum eine Lücke um das angeschickerte Quartett bildet, werden die vier Tunichtgute von der Band geflissentlich ignoriert. Eine gewisse Distanz zum Publikum rechne ich Balthazar im Übrigen generell hoch an, denn neben Indie-Folk und Sitzkonzerten geht mir auch diese Ankumpelei der dazu passenden Musiker allmählich auf den Zeiger. Wer auf einer Bühne steht, darf ruhig auch mal ein wenig arrogant wirken und sich selbst als etwas Besseres fühlen.

Als als letzte Zugabe dann tatsächlich „Blood Like Wine“ gespielt wird, brauchen die vier Unsympathlinge etwa zwei Minuten, bis sie den Song erkennen. Dann aber werden die Plastikbecher eifrig in die Luft gehalten. Das ist der Preis des Ruhms. Balthazar sind auf dem Weg vom Geheimtipp zu Indiestars. Dazu passt auch „Leipzig“, das weitaus überraschungsfreier ist, als ältere Songs der Bands. Ähnlich wie Snow Patrol, die Shout Out Louds oder Phoenix werden Balthazar wohl in Zukunft eher größere Hallen wie die Frankfurter Batschkapp und die Alte Feuerwache in Mannheim bespielen. Für mich haben sie insofern ihren Zenit erreicht. Ich bin glücklich, dass ich sie noch einmal in einem überschaubaren Rahmen mit perfektem Sound und einem an der Musik interessierten Publikum erleben durfte, befürchte jedoch, dass sie in Zukunft von einer Klientel vereinnahmt werden, die mir ziemlich auf den Sack geht.