Balthazar gastieren im Heidelberger Karlstorbahnhof
Es beginnt mit einem Dejà Vu. Gab es nicht letztes Jahr im Frankfurter Nachtleben
auch so einen elendig öden Support-Act? Für den Eindruck zitiere ich die Whats-App-Unterhaltung mit der daheimgebliebenen Dame:
Ich: Man bleibt sich insofern treu, als der Supportact auch dieses
Mal wieder horrend schlecht ist.
Sie: (3 Frownies)
Ich: Ja, gehört dazu. Heißen ironischerweise auch noch
Champs (Daumen hoch).
Sie: (Daumen hoch). Und machen was für Musik?
Ich: Musik für Herzinfarktpatienten. Folk für
Grundschulpädagoginnen.
Sie: Also schööööön…
Ich: Nee, die wären selbst dir zu langweilig. Rue Royale mit
angezogener Handbremse und Rücktritt.
Sie: Oh je (Edvard-Munch-Der-Schrei-Frownie).
Aber das scheint die Musik zu sein, die die gestresste
junge Indie-Crowd braucht. Während des ausgiebigen Soundchecks höre ich wie ein
wild zurecht frisierter junger Szenegänger ein Sitzkonzert in der kommenden
Woche anpreist, wobei ihm das „Sitzen“ „unter der Woche“ die Veranstaltung besonders
attraktiv macht. TGIF.
Gegen zehn sind Balthazar soweit. Die
Rahmenbedingungen sind deutlich besser als im wohnzimmerartigen Nachtleben:
eine breitere und höhere Bühne, auf der die drei Herren und eine Dame im
Vordergrund sich unbeschwerter bewegen können als noch vor einem
Dreivierteljahr. Dazu der Karlstorbahnhof-übliche gute Sound und eher kleine Menschen
vor mir – alles perfekt. Und auch das Konzert macht Spaß. Dabei gibt es noch
nicht mal, wie ich zunächst dachte, ein neues Album, sondern nur die Single „Leipzig“.
Und so bringt die Band so ziemlich die kompletten ersten
beiden Alben zu Gehör. „The Boatman“ oder „The Oldest of Sisters“ sind wie
erwartet Höhepunkte. Ersteres ist in der Liverversion gefühlt doppelt so lange wie auf dem
Album, was zeigt, dass die Band weiß, mit welchen Pfunden sie wuchern kann.
Überhaupt ist die Setlist im Wechsel von offensichtlichen Hits und Stücken, in
die man sich erst mal reinhören muss, perfekt. Genau wie das Zusammenspiel der
Band. Ein weiteres Mal haben sich Balthazar weiterentwickelt, zu einer Band, in der alle Mitglieder unterschiedliche Rollen haben,
aber gleichberechtigt wichtig sind. Dass sie dabei auch optisch und vom
Auftreten her ganz unterschiedliche Typen sind, kommt dem zugute und ermöglicht
es dem Zuschauer stets interessiert vom einen zum anderen zu schauen. Und auch
wenn mich nicht jeder Song packt, so ist es jedoch stets der markante Bass und
der mehrstimmige Gesang, der mich vollkommen für diese Band einnimmt. Dazu der
Einsatz der Violine, der Wechsel zwischen rockiger Gitarre und sphärischen Synthesizern
in den verschiedenen Songs – das alles führt dazu, dass es kaum Hänger gibt.
Mit „15 Floors“ erreicht das Konzert auch dieses Mal wieder einen Höhepunkt,
und einmal mehr klatscht das unwissende Publikum an der Stelle, als der Song kurz
abebbt, nur um dann noch einmal massiv mit der Grundmelodie einzusetzen. Derart
intensiv habe ich das noch nicht erlebt, und für die PH-Studentinnen neben mir
wird es an dieser Stelle kurzzeitig zu heftig. Fantastisch.
Hätte das Konzert hier geendet, wäre ich vollkommen
glücklich gewesen. Doch folgen noch ein paar Songs, zu denen sich zwei
unangenehme Pärchen in die ersten Reihen drängen. Zwei Quarterback-Jungs mit
den Schnallen, die sie verdienen, alle vier cocktailsaufend und ohne Blick für
die umstehenden zarten Pflänzchen. Ihr Wochenende feiernd wollen sie unbedingt
„Blood Like Wine“ hören, jenen Song, der in der acapella gesungenen Textzeile „Raise
your glasses…“ endet. Die Band steckt diesen Indiepöbel besser weg als die
umstehenden Feingeister. Während sich im Publikum eine Lücke um das angeschickerte
Quartett bildet, werden die vier Tunichtgute von der Band geflissentlich
ignoriert. Eine gewisse Distanz zum Publikum rechne ich Balthazar im Übrigen
generell hoch an, denn neben Indie-Folk und Sitzkonzerten geht mir auch diese
Ankumpelei der dazu passenden Musiker allmählich auf den Zeiger. Wer auf einer
Bühne steht, darf ruhig auch mal ein wenig arrogant wirken und sich selbst als
etwas Besseres fühlen.
Als als letzte Zugabe dann tatsächlich „Blood Like Wine“
gespielt wird, brauchen die vier Unsympathlinge etwa zwei Minuten, bis sie
den Song erkennen. Dann aber werden die Plastikbecher eifrig in die Luft
gehalten. Das ist der Preis des Ruhms. Balthazar sind auf dem Weg vom
Geheimtipp zu Indiestars. Dazu passt auch „Leipzig“, das weitaus
überraschungsfreier ist, als ältere Songs der Bands. Ähnlich wie Snow Patrol,
die Shout Out Louds oder Phoenix werden Balthazar wohl in Zukunft eher größere
Hallen wie die Frankfurter Batschkapp und die Alte Feuerwache in Mannheim bespielen. Für mich haben sie
insofern ihren Zenit erreicht. Ich bin glücklich, dass ich sie noch einmal in
einem überschaubaren Rahmen mit perfektem Sound und einem an der Musik interessierten
Publikum erleben durfte, befürchte jedoch, dass sie in Zukunft von einer Klientel
vereinnahmt werden, die mir ziemlich auf den Sack geht.
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