01 Die Sonne – Neu erfunden
2014 – alles neu, alles anders?
Vermutlich nicht. Aber da Profilbildung und Optimierungswahn aller Orten
anzutreffen sind, trifft die aus dem Duo Wolke hervorgegangene Band Die Sonne
mit dem Song den Nagel auf den Kopf: „Du schaffst es“-Parolen mit verunsicherter
Stimme so wenig überzeugend vorzutragen schafft vermutlich nur Oliver Minck.
Ja, es ist die totgesagte Ironie, die auch im Video zum Song so wunderbar zum
Tragen kommt.
02
Future Islands – Seasons Change
Nicht wegen, sondern trotz des
Letterman-Auftritts. Ob dieser nur perfektes Kalkül war, um Future Islands vom
ewigen Geheimtipp zur Band der Stunde zu machen, ist mir eigentlich egal. Mir
ist die Band seit ihrem Auftritt auf dem Phonopop 2011 ans Herz gewachsen, bei dem
Samuel T. Herring schon ähnlich überzogen extrovertiert auftrat. Musikalisch
elektronisch-artifiziell und an sich leicht verdaulich, gesanglich immer eins
drüber und hart an der Grenze zum Pathos – an sich machen Future Islands
einfach gute Popmusik, und noch dazu einfach ihr Ding.
03
Motorama – To the South
Meine Entdeckung des Jahres. Joy
Division trifft die frühen Editors, aber ohne sich um Szenecodes zu scheren.
„Alps“ und „Calender“ sind zwei so wunderbare Alben, dass es fast unmöglich
ist, nur einen Song auszuwählen. „To the South“ ist fast schon unverschämt
eingängig und daher die passende Wahl für diese Hitparade.
04
Balthazar – Leipzig
Zweimal haben sie mich in diesem Jahr
live überzeugt, und einmal mehr erschließt sich mir ihre Musik so ganz erst
nach den Konzerten. Die Single „Leipzig“ hatte ich zunächst etwas abgetan, doch
mit jedem Hören ist mir der Song mehr ans Herz gewachsen,so dass er am Ende hier landen musste.
05
Die Sterne – Ihr wollt mich töten
Nach ihrem Disco-Ausflug rudern die
Sterne zurück in bekannteres Fahrwasser. Nicht immer überzeugend wie ich finde,
doch „Ihr wollt mich töten“, das Duett mit Axel Hacke, hat so einen wunderbaren
Italo-Western-Charme und einen so verständlich/unverständlichen Text, dass es
nicht nur wegen meiner Anhänglichkeit an diese Band auf dieser Zusammenstellung
landen musste.
06
Metronomy – Reservoir
Das Rosa-Wölkchen-Album Metronomys ist
nicht meine Platte des Jahres geworden. Zwar stand das Vinyl einige Monate
dekorativ auf dem Präsentierteller im heimischen Wohnzimmer, aber musikalisch
ist allein „Reservoir“ ein echtes Lieblingslied geworden.
07
Talking to Turtles – Passenger Seat
Hurra, die Sympathieträger können mich
zum ersten Mal auch musikalisch komplett überzeugen. „Split“ ist ein
wunderbares Album, das Qualitäten des Duos wie musikalische
Zurückhaltung und Intimität beibehält, ohne bei längerem Hören in Langeweile zu münden.
Wohldosierte Dynamik und Poppigkeit tragen das Album als Ganzes und machen es
zu meiner Lieblingsplatte der Band, und „Passenger Seat“ bringt die genannten
Eigenschaften in einem Song auf den Punkt.
08
Anna Aaron – Stellarling
Mein erstes Hörerlebnis mit Anna
Aarons zweitem Album “Neuro” kann man am ehesten als Befremden bezeichnen.
Sperriger, lauter, elektronischer ging es da zu. Entsprechend neugierig war ich
auf ihren Auftritt auf dem Maifeld Derby, der dann einer der wenigen richtig
guten war. Die Emanzipation von der mädchenhaften kleinen Schwester von Sophie
Hunger (als die sie mit ihrem ersten Album vor zwei Jahren noch kategorisiert
worden war) zur eigenständigen Künstlerin ist ihr hier auf beeindruckende Weise
gelungen. Nach dem Konzert hatte ich richtig Lust auf das Album, das dann zu
einem der meistgehörten des Jahres wurde. Auch hier fiel die Wahl wieder
schwer, doch „Stellaring“ bringt den Spagat zwischen Eingängig- und
Sperrigkeit, zwischen Pop und Bloß-kein-Pop!, auf den Punkt.
09
Indochine – Le fond de l’air est rouge
Bei Indochine bin ich ja immer ein
wenig hintendran. „Black City Parade“, das Album aus dem Jahr 2013, hatte ich
mir erst nach dem Konzertbesuch im Dezember 2013 zugelegt. Allerdings wurde es
dann nach und nach zu einem der meistgehörten des Jahres, denn es vereint die
Qualitäten der Band – große Geste im Arrangement, unverschämte Eingängigkeit in
der Melodie – ohne es wie der Vorgänger „La République des Météors“ auf die
Dauer zu übertreiben. „Le fond de l’air est rouge“ bringt diesen Eindruck auf
den Punkt.
10
WhoMadeWho – The Morning
WhoMadeWho werden wohl auf alle Zeiten
mit dem Partykracher „Satisfaction“ in Verbindung gebracht werden. Dieser ist
zweifelsohne auch jedes Mal ein Höhepunkt ihrer Konzerte, nur reduziert er die
Band auf eine Karnevalscombo, die sie nicht ist. Ihr 2014er-Album „Dreams“
zeigt jedenfalls weitaus größere musikalische Substanz, und „The Morning“ weist
eine wohlig melancholische Stimmung auf, deren Charme ich mich nicht entziehen
kann.
11 And the Golden Choir – My Brother’s Home
Der Mann mit dem Plattenspieler,
erstmals gesehen im Vorprogramm von Slut, überzeugte mich zunächst mit dem originellen
Ansatz, live seine Songs statt von einer Band von einer jeweils eigens
produzierten Schallplatte spielen zu lassen und dazu selbst ein ausgewähltes
Instrument zu spielen und zu singen. Tobias Siebert ist eben auch und
vielleicht vor allem Produzent. Dass seine Songs auch ohne den
Orginalitätsfaktor sehr gut funktionieren, wurde mir erst allmählich beim
heimischen Nachhören klar.
12
Kreidler – Alphabet
Die Elektronik-Avantgarde der 1990er
hat es im von Vollbartträgern mit Klampfe und authentischen Texten dominierten
Jahr 2014 nicht so leicht. Wohl dem, dem der Zeitgeist wurscht ist und der
Ohren hat zu hören. Wie schon auf „Tank“ und „Den“ entfalten auch die Tracks
auf „ABC“ eine sogartige Wirkung. „Da passiert ja nix“, ruft da der
songgewöhnte Radiohörer. „Wohl! Hör halt mal hin“, mag man erwidern. Da
wird verschoben, variiert, hinzugefügt und weggenommen. Tanzbar ist das
Ganze auch, und wenn man dann noch eines der Videos von Heinz Emigholz
dazu sieht, ist das Glück perfekt.
Nicht das Video zum Song "Alphabet", dafür aber ein Video zum Album im typischen Emigholz-Stil.
13
The Notwist – Run Run Run
Ein neues Album, ein neues Album! Da
kann ich The Notwist ja endlich mal wieder auf die eigentliche Jahrescharts-CD
packen und nicht nur auf die Live-Lieblinge. „Close to the Glass“ knüpft recht nahtlos
an „The Devil, You & Me“, und das ist auch gut so. Denn die wunderbare
Mischung aus Frickeleletronik und Gitarrenhärte, aus Anspruch und wohligster
Hörbarkeit ist auch hier wieder da. Wieder eine schwierige Wahl, die auf „Run
Run Run“ fiel, denn der Song bringt auf den Punkt, dass Notwist-Songs meist
nicht da enden, wo sie begonnen haben.
14
We Have Band – Modulate
Irgendwie mein Song des Jahres. Warum
kann ich gar nicht sagen. Ich mag die Band, auch wenn ich praktisch nie ihre
Alben höre; ich mag das Video, auch wenn es so gar nicht mein momentanes Leben
widerspiegelt; ich mag den Song, obwohl es objektiv gesehen dieses Jahr sicher
besser gegeben hat. Trotzdem.
15
Breton – Envy
Was für ein Hochgefühl, als ich
Bretons „War Room Stories“ erstmals gehört habe. Energiegeladen wie der
Vorgänger, spannende Songs, dazu ein großartiges Artwork. Allerdings ist das
Album dann einen Monat später im Regal verschwunden und blieb dort bis zur
Zusammenstellung dieses Jahresrückblicks. Hat ein bisschen was von Strohfeuer,
auch wenn „Envy“ mich im Dezember wieder daran erinnert hat, was ich im Februar
so toll fand.
16
Kreisky – Wir machen uns Sorgen um dich
Meine zweite Entdeckung des Jahres.
Laut, anstrengend, schlecht gelaunt – Kreisky sind ein wunderbarer Gegenpol zu
den Wohlfühlbands und –barden, die momentan unter dem Label Indie laufen.
Arrogant kommen sie rüber, besserwisserisch und so gar nicht gefällig. Ihr
Album „Blick auf die Alpen“ enthält teilweise unhörbare Stücke, und ich kann
nur sagen: gut so. „Wir machen uns Sorgen um dich“ betrifft mich zudem
persönlich, da ich davon ausgehe, das in dem Text dargestellte Gespräch zwischen
Eltern und Kind ungefähr so in 12 bis 14 Jahren zu führen.
17
Jens Friebe – Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus
Zwar kann ich nur mit der A-Seite
seines neuen Albums etwas anfangen, doch hat Jens Friebe einfach als Künstler,
der ganz und gar sein Ding macht, auf ewig einen Platz in meinem Herzen, und
daher mit dem Song mit diesem wunderbaren Titel auch einen Platz auf meinen
Jahrescharts
18
Christian Kjellvander – The Woods
Na gut, ganz frei von einer Vorliebe
für eher folkig angehauchte Vollbartträger konnte ich mich dann doch nicht
machen im Jahre 2014. Nur dass Christian Kjellvander auf seinem Album „The
Pitcher“ eben immer dieses unterschwellig düstere und neurotische Element in
seinen Songs hat, das sie für mich reizvoll und anziehend machen. Wer mag, kann
ja mal die allerseits gehypten Mighty Oaks zum Vergleich hören. Bei denen kann
ich nur an den bekannten Satz aus dem Film „Blues Brothers“ denken: „Wir haben
beides, Country und Western“, bei Kjellvander hingegen fließt Blut. Siehe hier:
19
Arthur Beatrice – Ornaments & Safeguard
Meine Entdeckung des Jahres 2013 hat
dann mit „Working Out“ 2014 tatsächlich ein Album herausgebracht – das in
Deutschland praktisch komplett unbemerkt geblieben ist. Mir egal. Man könnte
Arthur Beatrice einen übertriebenen Hang zum Perfektionismus vorwerfen, der das
Album manchen kalt oder gar klinisch erscheinen lässt. Ich tue das nicht. Ich
ziehe einfach nur meinen Hut vor den perfekten Popsongs, liebe diese Platte und
werde „Ornaments & Safeguards“ auf ewig mit einem Nordseeurlaub und meiner
kleinen Luise auf dem Arm verbinden.
Alle Videos sind nach rein subjektiven ästhetischen Kritierien ausgesucht, alle Live-Videos finden sich auf folgendem You-Tube-Kanal:
https://www.youtube.com/channel/UCkRi9gG0Wy68dRPsDQ4Pyng
und wurden von einem Herrn aufgenommen, den man auf Facebook als Kulturonkel findet.
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