Mittwoch, 25. April 2012

Am Puls der Zeit


So war's bei den Türen im Frankfurter Zoom

Die Türen verwirren das Spex lesende Publikum damit, dass es gleich zu Beginn mitmachen soll. Es soll an passender Stelle „Rentner und Studenten“ skandiert werden, doch so viel Lockerheit ohne Warm-Up schaffen nur wenige der anwesenden Experten für Deutungshoheit und Szenecodes, und entsprechend schleppend ist der Auftakt im neueröffneten Frankfurter Zoom-Club. 
Voll ist es auch nicht wirklich, aber nachdem der letzte Auftritt der Türchen noch im Dreikönigskeller stattfand, ist das natürlich ein echter Quantensprung. Fünf Jahre ist das her, und die Band hat sich verändert. Der Sound ist druckvoller, ja man möchte fast sagen rockiger geworden, was an zwei neuen Musikern liegt, die mir erst im Nachhinein als Indie-Prominenz bewusst werden. Es handelt sich um Andreas Spechtl, den Gitarristen der Band Ja, Panik, und Chris Imler, einen Schlagzeuger, der auch mit Jens Friebe unterwegs ist. Alte Hasen und Profis also, die den Sound der Band angenehm verändert haben. Ganz im Sinne der Textpassage „Pop ist tot … doch HipHop wird niemals sterben, genau wie Rock’n’Roll und der Geist von Ton Steine Scherben“. Denn was sich nicht verändert hat, ist dass Die Türen den Diskurs reflektieren und weitertreiben. Ihre Texte sind auch weiterhin voller Referenzen, seien sie popkulturell, feuilletonistisch oder tagespolitisch. Sie singen über Wutbürgertum („schwarz-gelbes Unterseeboot“), neue Protestkultur („Rentner und Studenten“) und mediale Selbstdarstellung („Don’t Google Yourself“). Die Verortung im Jahr 2012 führt natürlich dazu, dass auf dem Konzert fast ausschließlich neues Material gespielt wird. Vor den Zugaben haben es gerade mal das wunderbare Eier-Lied der Popo-Platte (leicht umarrangiert und damit der neuen Dynamik der Band angepasst) und der Minihit „Drinnen ist wie draußen“ in den Set geschafft. Im Zugabenteil gibt es dann die leider nach wie vor aktuellen Songs zum Thema Arbeit „Pause machen geht nicht“ und „Der Blues kommt zurück in die Stadt“. 
Und das Publikum? Das taut nach und nach etwas auf, was vor allem an einer Konstanten der Band liegt. Sänger Maurice Summen ist nach wie vor ein hyperaktives Duracell-Häschen, das die Songs mit eckigen Tanzbewegungen und stakkatoartigem Gesang vorträgt und dessen Bühnenpräsenz sich man nur bei totaler intellektueller Verkopfung entziehen kann. Bei allem Anspruch also immer noch vor allem ein Konzert, ein mittelgroße Party und keine Lesung oder- schluck – gar ein Liedermacherabend.  

Das Duracell-Häschen zur Anschauung:

Samstag, 21. April 2012

Die kleine gemeinsame Nennerin

So war's bei Selah Sue in der Frankfurter Batschkapp

Meine Güte, eine Französin schafft es, dass an einem Montagabend die Frankfurter Kapp ausverkauft ist? Moment. Französin? Belgierin natürlich! Und englisch singt sie auch! Dennoch ist es mir mal wieder ein Rätsel, wie die heutigen Marketingexperten arbeiten und warum ausgerechnet diese sympathische, quirlige Belgierin mit ihrer wilden Mähne mit Wiedererkennungswert in Deutschland eine mittelgroße Halle füllt. Na gut. Sympathisch, quirlig, Frisur mit Wiedererkennungswert. Das sind schon mal Ansatzpunkte. Eine fantastische Stimme hat sie auch und mit „Raggamuffin“ einen Pophit mit leichten Ecken und Kanten im Gepäck. Dieser Hit ist dann auch relativ symptomatisch für Selah Sues Musik. Da werden die unterschiedlichsten Genres vom Folkpop mit Akustikgitarre über hippen Soul-Funk bis zum HipHop bemüht. Das funktioniert ziemlich gut und kommt mir entgegen, der ich keinem dieser Genres einzeln über mehr als 30 Minuten am Stück gut folgen könnte. Der musikalische Eklektizismus spiegelt sich auch im Publikum. Von der flotten Französischlehrerin mit Kurzhaarschnitt und halber Brille über den Frankfurter Szenehipster im Kapuzensweater bis hin zu flippigen Teenagern. Der männliche Teil letzterer Spezies nervt naturgemäß in ruhigeren Passagen mit lustig gemeinten Zwischenrufen auf Rülpsniveau. Hoffen wir, dass Selah Sue „Ausziehen, ausziehen“ während einer gefühligen Solo-Nummer als Ausdruck der Rührung verstanden hat. Anmerken ließ sie sich jedenfalls nichts. Dafür ist sie zu sehr Profi. Ihre Bühnenqualitäten, die sie schon im letzten Juli bei einem Elsässer Mini-Open-Air als Vorprogramm der Veteranen Gaeton Roussel und Moby unter Beweis stellte, zeigt sie auch an diesem Abend: sympathische Erscheinung, mitreißender Auftritt, großartige Stimme, vielfältige Musik. Wenn schon Popmusik, dann bitte so. 

Dienstag, 17. April 2012

A million miles away


So war's bei den Tindersticks in Heidelberg

Wenn man eine gewisse Größe, ja Grandezza erreicht hat, muss man sich nicht mehr in einen Szeneclub auf eine viel zu kleine Bühne stellen, wo in Reihe drei ein sich selbst überschätzender Schwadroneur den magischen Fluss der Klänge von Stuart Staples’ Timbre mit quäkenden Tönen seiner von Gott weniger gesegneten Stimmbänder zerschneidet.

Das müssen sich die Tindersticks wohl dabei gedacht haben, als sie sich – zumindest in Heidelberg - für ein bestuhltes Hallenkonzert mit saftigen Eintrittspreisen entschieden haben. Reassuringly expensive. Qualität hat ihren Preis. Nach einer im besten Sinne interessanten Ein-Mann-Performance des sie unterstützenden Multiinstrumentalisten Thomas Belholm nimmt die Band einen mit auf eine knapp zweistündige Reise in ihren musikalischen Kosmos. Das Song-Repetoire ist dabei inzwischen so groß geworden, dass man es nicht nötig hat, auf alte Hits zurückzugreifen – zaghafte Forderungen des Publikums nach „Tiny Tears“ lösen bei Stuart Staples nur ein mildes väterliches Lächeln aus – und wenn man mal einen zu hören bekommt, dauert es eine Weile bis er sich aus dem ungewohnten Arrangement herausschält. Doch das macht nichts. Denn man wird, wie gesagt, von den Tindersticks mitgenommen und aus der eigenen profanen Alltagswelt in ihre in den besten Momenten fast schon transzendente Musik entführt. Hier spielen Hits, bekannte oder unbekannte Songs keine Rolle mehr; hier ist ein Smalltalk mit dem Publikum nicht notwendig, um ein Konzerterlebnis zu schaffen (konsequenterweise beschränkt Stuart Staples die Kommunikation mit dem Publikum auf ein höfliches „Thank You“ am Ende der Lieder). Es klingt natürlich klebrig und kitschig, wenn man sagt, dass einen diese Musik verzaubert und berührt, dass sie in einem noch lange nach dem Konzert nachhallt und dass Stuart Staples’ Stimme dem Zuhörer Gänsehaut bereitet. Aber es ist so. Tun wir einen Moment so, als hätten wir nie die verlogenen „Hammer“-Statements und Krokodilstränen der Rührung irgendwelcher Casting-Show-Juries gehört und gesehen. Diese Shows und ihre Talente, die Singen mit einem Hochleistungssport verwechseln, sind ohnehin der diametrale Gegensatz zu dem, was man an diesem Samstagabend in Heidelberg erleben durfte, und das war die pure Schönheit von Musik.

Drei Tage vorher in Hamburg. Und einer der Hits: