Samstag, 13. September 2008

Hundt, Künast, Hitler

Ein Text aus dem Sommer 2002. Irgendwie noch immer aktuell.

Besonders wild schlägt momentan BDA-Präsident Hundt um sich.

Seitdem man in Deutschland überall rote Laternen wedeln sieht, hat ihn offensichtlich eine Mischung aus Wut, Patriotismus und beruflicher Verpflichtung gepackt. So torpediert Hundt seit Wochen die Medien mit einer Mischung aus Anklagen und Pauschallösungen, wobei er auch vor Themen, von denen er keine Ahnung hat, nicht zurückschreckt. Beispiel Bildung.

Dass Hundt seit der eigenen Primanerzeit keine Schule mehr von innen gesehen hat, macht all das ungewaschene Zeug deutlich, das er zu diesem Thema vernehmen lässt. Irgendwann in den Siebzigern muss er außerdem mal in Gerhard Löwenthals "ZDF-Magazin" einen Bericht über links-schwule antiautoritäre Erziehung gesehen haben, und seitdem hat sich die Schublade "Pädagogik" in seinem Schädel geschlossen. Das wäre ja nicht weiter schlimm. Auch ich habe von vielen Dingen keine Ahnung und pflege liebevoll meine Feindbilder und Vorurteile. Nur dass ich mich mit meiner Unkenntnis nicht zum Messias für alle Belange aufschwinge.

So konnte man von Hundt schon vor einigen Wochen die Forderung nach dem Ende der Kuschelpädagogik lesen. Gestern dann las ich, dass Hundt das Ende der Softpädagogik will. Softpädagogik? Ich kenne nur Softeis, und das soll wegen der Salmonellen schädlich sein. Und Kuschelpädagogik? Dass Menschen wie Hundt nichts für´s Kuscheln übrig haben, kann man sich denken, nur was hat das mit Pädagogik zu tun? Was um Gottes Willen meint Hundt mit seinen Kampfbegriffen? Und was wäre denn deren Gegenteil? Zurück zum Rohrstock und zur Ohrfeige, die Hundt ja auch nicht geschadet haben? Zum Fünfziger-Jahre-Nürnberger-Trichter? Den will Hundt offensichtlich auch nicht, denn der Lehrplan soll ja entschlackt werden. Welche Inhalte da rausfallen, wenn es nach Hundt geht, kann man sich denken. Ausbildung statt Bildung heißt die Devise. Schaffung von Humankapital für seine Klientel.

Die Vermutung, dass ein Blick über den Tellerrand, ein breiter Horizont und womöglich die Weckung von Interessen, die über die Lern- und Lebensziele "Spaß und wirtschaftlicher Erfolg" hinausgehen, nicht nur überflüssig, sondern sogar unerwünscht sind, liegt nahe. Und dass Hundt, wenn er von Bildung spricht, nicht in erster Linie an Kinder, Jugendliche oder Menschen denkt, sondern an Statistiken, Effektivität und Profit, macht seine Forderung deutlich, es solle ein "Bildungspass für jedes Kind, in dem Talente und Defizite vermerkt sind", eingeführt werden. Die brave new world des Dieter Hundt. Kinder möglichst früh katalogisieren, stigmatisieren und insgesamt hart anfassen, damit sie wissen, was ihnen bevorsteht, wenn ihnen der raue Wind der Wirtschaft ins Gesicht bläst. Spinnt man den Gedanken weiter, könnte man wieder verpflichtende Jugendorganisationen einführen, in denen man allerdings nicht wie früher in der "schweren Zeit" den Leib wehrtüchtig, sondern den ganzen Kerl wirtschaftstüchtig macht. Börsenspiele statt Räuber- und Gendarm.

Doch ich muss mich zügeln, denn schon schießt mein Adrenalin so wild, dass ich ins Terrain der NS-Zeit-Vergleiche abzurutschen beginne. Und damit stellt man sich auf eine Stufe mit Helmut "Staatsmann" Kohl und Walter Schmierer.

An Kohls Gorbatschow-Göbbels-Gleichsetzung erinnern sich vermutlich nur noch die Älteren unter uns. Der Aufschrei, der durch die Presse ging, als der Ehrenvorsitzende des Bauernverbands Enzkreis Walter Schmierer beim Kreisbauerntag in Mühlacker sagte: "Wenn ich Frau Künast reden höre, fällt mir Adolf Hitler ein", ist einem noch frischer in Erinnerung. Halten wir einen Moment lang inne.

Ab und zu gibt es Situationen und Sätze, die man sich schöner nicht hätte ausdenken können. Hier stimmt einfach alles: Setting (Mühlacker), Name (Schmierer), Profession (Ehrenvorsitzender eines regionalen Bauernverbandes) und die steindumme Äußerung. In einem sozialkritischen Fernsehspiel über die beklemmende Atmosphäre auf dem schwäbischen Land hätte die Szene nicht besser gewählt sein können.

Dass die Nennung Hitler/Künast in einem Atemzug, von der Medienmaschinerie nicht unbemerkt bleiben würde, hätte selbst Bauer Schmierer klar sein müssen. Was veranlasste ihn also dazu, mit dem Stammtischspruch an die Öffentlichkeit zu treten? Schmierer selbst sagte dazu lt. Badischen Neusten Nachrichten (BNN): "Wir haben in den vergangenen Monaten so viele verbale Prügel von Frau Künast bekommen, jetzt habe ich vielleicht überreagiert." Wenn Weihnachten wäre, würde ich Frau Künast einen ordentlich großen Knüppel schenken, damit sie es nicht beim verbalen belassen muss.

Jedenfalls ist Schmierers Rechtfertigung ein ebensolcher Stuss ist wie sein Originalsatz.

Inwiefern überreagiert? Worauf denn genau? Muss ich mir das so vorstellen, dass Frau Künast mit falschem Schnauz, Seitenscheitel und Reiterstiefeln monatelang vor Schmierer und anderen Landsern auf und ab getanzt ist und sie mit rollenden Rs bombardiert hat, bis dem Oberlandwirt der Kragen geplatzt ist?

Was Bauer Schmierer vermutlich tatsächlich zu seiner Äußerung veranlasst hat, war, dass er Frau Künast nicht leiden kann und sich über sie schon ziemlich lange aufregt. Und weil Schmierer kein 15-jähriger Hauptschüler ist, der vor lauter Kuscheln kotzen könnte und seinen Lehrer daher als "Arschloch" oder noch schlimmeres bezeichnet, sondern in der guten alten Zeit Halbbildung a la Hundt oder zu viel Guido Knopp auf dem zweiten Bildungsweg - man verzeihe mir die kabarettistische Doppeldeutigkeit - genossen hat, weiß er: Hitler=sehr böse. Daher hat er den Hitler zum Schimpfwort gemacht. Er ist nicht der erste. Hitlers sind sie alle, die Milosevics, Saddams und Bin Ladens, und im privaten vielleicht auch mal der Vermieter, der Chef oder die lahmarschige Kassiererin im Supermarkt. Für Schmierer ist es Renate Künast, für Dieter Hundt sind es vielleicht alle Lehrer, die mit ihm schmusen wollen. Das Schlimme ist nicht die Gleichsetzung Hitler/Künast durch einen unbedarften Provinzler. Auf solche Äußerungen stürzen sich die Medien ohnehin reflexartig. Bedenklich ist eher die Banalisierung der Person Hitlers, die damit einhergeht.

Muss denn ausgerechnet "Adolf Hitler" zum Schimpfwort werden? Sobald irgendwo auf der Welt ein böser Politiker oder Diktator auftaucht, wird er als Balkan- oder Russenhitler tituliert. Schwarz-weiß-Denken ist einfach, aber eben nicht unbedingt sinnvoll. Deshalb sollte Herr Schmierer nicht für seine Künast/Hitler-Gleichsetzung (natürlich nur verbal) geprügelt werden, sondern für seinen unbeschwerten Umgang mit dem Namen Hitler. Dass es auch anders geht macht BNN-Mitarbeiter Edmund Gruber deutlich, der in einem Artikel über den Besuch Jörg Haiders bei Saddam Hussein letzteren eben nicht als den "Hitler von Bagdad", sondern als "Terrorpaten", "Kurdenschlächter" und "Blutherrscher vom Tigris" bezeichnet. Es geht also auch anders.

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