Samstag, 13. September 2008

Weiter auf der Eins

Erdmöbel im Karlstorbahnhof in Heidelberg (ein Text vom Dezember 2007)


Eine der großen musikalischen Fragen des Jahres 2007 ist, ob das No.1-Hits-Album der Band Erdmöbel (im Weiteren „Erdis“ genannt) eine gute Idee war. Das letztjährige „Last Christmas“-Cover ließ Schlimmes befürchten. Als dann über den Newsletter “Was geht Muschikatz” zum Pre-Listening bei mir eintraf, schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. Allerdings war die Methode geschickt gewählt, alle zwei bis drei Tage den Newsletter-Abonennten Stück um Stück inklusive Interview-Erklärung, wie es dazu kommen konnte, zuzuschicken. Denn zunehmend gewöhnte ich mich an das Konzept und konnte somit schließlich nicht nur der offensichtlichen Songs wie Kylie Minogues „Out of my Head“ oder Nirvanas „Teen Spirit“ etwas abgewinnen, sondern auch obskureren Covers wie „Einer wie wir“ (Joan Osbournes „One of us“) oder „Weil du fortgehst“ (alias „Porque tu vas“). Die dann sofort bei Erscheinen gekaufte CD hat es allerdings nie in die Heavy Rotation geschafft, ebenso wie ich zwei mögliche Konzerttermine in Frankfurt und Karlsruhe habe verstreichen lassen – so sehr hat es dann doch nicht gedrängt.

Das gestrige Konzert in Heidelberg war eines der letzten der Tour. Im für einen Samstag schwach besuchten Karlstorbahnhof traf eine sichtlich gut gelaunte Band auf ein reserviertes, teilweise recht geriatrisch wirkendes Publikum. Zwei Tage vor dem eigenen 36ten fand ich es aber eher tröstlich vergleichsweise wie ein junger Wilder zu wirken.

Zwei Jahre sind seit den großartigen Konzerten im Frankfurter Dreikönigskeller und der Kölner Kulturkirche vergangen, und als erstes fällt auf, dass Ekimas es sich in dieser Zeit hat gut gehen lassen. Entsprechend schlecht sitzt sein Anzug, den der Kugelbuch mit jeder Bewegung zum Verrutschen bringt. Fiese Krawatte, der altbekannte Topfschnitt, der allerdings schon länger nicht mehr nachgebessert wurde, und ein grauer Dreitagebart geben dem Produktions-Mastermind der Band ein sympathisch-verlassiertes Aussehen, das seine Gesichtsakrobatik, mit der er die am Bass gezupften Töne visuell unterstützt, noch besser zur Geltung bringt. Auch die anderen Bandmitglieder tragen Anzug, wobei Texter & Sänger Markus Berges wirkt, als wäre er mit einem solchen auf die Welt gekommen. Lange habe ich überlegt, warum Berges auf mich am gestrigen Abend noch eine Spur cooler gewirkt hat als sonst, und in der Mitte des Sets fiel mir dann seine Brille auf, deren Gestell von der Form her an bevorzugte Modelle tschechoslowakischer Dissidenten der frühen 70er-Jahre erinnerte, auf der Nase des Erdmöbel-Sängers aber den gepflegten Bohemien-Look gekonnt abrundete. Eine gelungene Ergänzung stellte zudem der neue, aus Düsseldorf stammende Posaunist dar, der nicht nur ein schön verschrammtes Instrument spielte, sondern Spielpausen auch zu gekonntem Mitswingen nutzte.

Geht es hier eigentlich auch um Musik? Natürlich. Nur leider war der erste Teil des Konzertes ein bisschen wie erwartet. Meine im Vorfeld gehegten Bedenken waren leider nicht ganz unbegründet, ich zitiere aus einer E-Mail:

„Erdmöbel werden es schwer haben, denn deren aktuelles Album hat mich ja nicht so 100%ig gepackt (nette Idee, alle möglichen Songs zu covern und die Texte ins Deutsche zu übertragen, aber wenn man schon das Original doof findet bedarf es nicht auch noch eines Covers). Na ja, ich werde mich am Charisma der Jungs erfreuen & sehe es als Zwischenstopp auf dem Weg zur neuen Platte, die im kommenden Jahr aufgenommen werden soll.“

So nimmt man erneut bewundernd zur Kenntnis, wie gut Markus Berges’ Übertragungen der Originale ins Deutsche eigentlich sind, man erfreut sich an den auf den ersten Blick unmöglich erscheinenden Umsetzungen von „Smells Like Teenspirit“ oder des Vengaboys-Songs „Up and Down“, aber so richtig mitreißend war das bei allem Charisma nicht. Höhepunkt war eindeutig Ekimas’ Bassspiel im Kylie-Minogue-Cover „Kopf“, das den Song grooven ließ wie Sau.

Vielleicht lag es aber auch am Publikum, das bis auf ein paar Gute-Laune-Gröhler in den hinteren Reihen recht teilnahmslos wirkte und sich dem Dialog mit der Band entzog sowie deren Handlungsanweisungen nur widerwillig Folge leistete. Der Aufforderung zum Stehblues bei „Fahler noch als fahl“ kamen nur sehr wenige Menschen nach. Ein junges Pärchen neben mir, das die meiste Zeit ohnehin mit filmen und fotografieren verbrachte, nutzte den Song immerhin dazu, die elektronischen Gerätschaften wegzupacken und zusammen zu tanzten, verlaberten das Lied dann aber mit belanglosem Geschwätz (Ich war leider in Hörweite). Bindungsunfähigkeit? Übersättigung? Einfach nur Doofheit? Die Erfahrungen bei Jeans Team und den Türen haben gezeigt, dass sich diese Sorte Mensch inzwischen auf jedem Konzert findet und dass sie immer in der ersten Reihe stehen müssen.

Aber ich schweife ab. Interessant war die Reaktion der Erdis auf das zurückhaltende Publikum. Dass Ekimas gerne mal die eine oder andere Schote zum besten gibt, konnte man schon auf anderen Konzerten erleben. Beeindruckend war allerdings die Wirkung des Energy-Drinks „Pep“ auf Sänger Berges. Der Texter von „Tätowiert von innen“ und „Wette unter Models“ gab sich gelöst und angenehm aufgekratzt, gestand dem Publikum, dass er an sich zu hibbelig sei, um „Einer wie wir“ zu spielen, oder dass er „Genau wie ich mir es wünsche“ einmal als Liebeslied für eine Frau geschrieben habe, die er dann doch nicht geheiratet hat, wobei er über dieses Geständnis dann selbst verblüfft war, da er das Lied so wohl noch nie angekündigt hatte. Ob die gute Laune der Band ab einem gewissen Punkt eher Galgenhumor war, mit dem der reservierten Haltung des Publikums begegnet wurde, ist mir nicht klar. Eine echte Interaktion fand jedenfalls erst mit dem letzten Song des No.1-Hits-Sets „Nah bei dir“ statt, den Berges mit der Drohung einleitete, dass der weitere Verlauf des Abends von der Mitarbeit des Publikums bei diesem Song abhänge.

Dass „Nah bei mir“ funktionieren würde, lehrt die Erfahrung des Jahres 2005. Ein schöneres Liebeslied als dieses Carpenters-Stück in Berges’ deutscher Übertragung kann es eigentlich kaum geben, und so singt man am Ende gerne inbrünstig mit dem Gedanken an die Liebste das „Aaaahhh-ha-ha-haa-haa, nah bei dir“ mit und lässt es sich warm ums Herz werden.

Die erfolgreiche Interaktion belohnten die Erdis mit einem ausgedehnten Zugabenteil, den man fast schon als zweites Konzert ansehen konnte. Zwar spielte die Band nicht wie von Ekimas angekündig „alle Greatest Hits aus sieben Alben“, aber immerhin neun mit Bedacht ausgewählte Songs. Hier taute dann auch das Publikum auf, und ich vermute daher, dass ich mit meinen Bedenken den No.1-Hits gegenüber nicht alleine bin. Bereits „Audrey Hepburn“ wurde begeistert aufgenommen, und bei „Genau wie ich mir es wünsche“ (mit Ekimas’ enthusiastischem Lalala-Backgroundgesang) und „Die Devise der Sterne“ war das 2005er-Niveau wieder erreicht. Auch wenn die Interaktion bei „Dreierbahn“ (Stichwort „Yippieh“, von einem weniger textsicheren Fan mit „Juchee“ variiert) und „Lied über gar nichts“ nicht auf höchsten Niveau war, stellte sich doch das spezielle Gefühl des Glücklichseins ein, das mir Erdmöbel-Konzerte bisher immer beschert haben. Und so nahm ich glücklich lächelnd die aktuelle Gratis-Single „Der letzte deutsche Schnee“ zur Kenntnis und freute mich sehr über den ruhigen Ausklang mit „Au-Pair-Girl“.

Die No.1-Hits-Tour neigt sich ihrem Ende entgegen, nächstes Jahr soll an einer neuen Platte gearbeitet werden. Ob es tatsächlich die von Markus Berges angekündigte Porno-Platte wird oder doch etwas ganz anderes, wird sich zeigen. Schön jedenfalls, dass es diese Band gibt.



Und so ein Akkordeon hatte ich auch mal. Allerdings in schwarz.

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