Freitag, 17. Oktober 2008

The Master of Muttering

Tricky in der Alten Feuerwache in Mannheim

Genie oder Blender? Diese Frage stellt sich zwangsläufig, wenn man sich mit dem Godfather of Triphop Tricky beschäftigt. Oh nein, ich habe das böse T-Wort geschrieben, das man im Zusammenhang mit Tricky auf keinen Fall mehr äußern darf.
Aber der Reihe nach. Adrian Thaws alias Tricky hat in 1994 an Massive Attacks Album “Protection” mitgewirkt und im Jahr darauf mit “Maxinquaye” einen absoluten Geniestreich hingelegt, den der nicht gerade unkritische NME in der Hochphase des Britpop zum Album des Jahres kürte. Es folgten Größenwahn und Orientierungslosigkeit, die in den überwiegend unhörbaren Werken “Nearly God”, “Pre-Millenium Tension” und “Angels With Dirty Faces” ihren Ausdruck fanden. Danach begann das, was ich den Frank-Black-Teil seiner Karriere nennen möchte. Alben, die nicht mehr an den Glanz vergangener Jahre anknüpfen konnten, in denen aber zumindest ab und an das Genie durchschimmerte und für die sich der Meister nicht schämen muss. Genannt seien vor allem “Juxtapose” und “Blowback”. Nach fünf Jahren Pause passt auch “Knowle West Boy” in die letztgenannte Kategorie, und entsprechend ist meine Erwartungshaltung vor dem Konzert in der Feuerwache: entweder genial oder Schrott, Mittelmaß ist kaum zu erwarten.
Nicht erwartet hatte ich dann gleich mehrere Dinge. Dass ich direkt gegenüber der Feuerwache einen Parkplatz finde. Dass Mr. Thaws ohne Vorgruppe um viertel nach neun pünktlich wie ein C4-Professor sein Konzert bgeginnt. Oder dass seine Band zu den Klängen von Phil Collins “In The Air Tonight” auf die Bühne kommen wird. Aha. Eklektizismus ist angesagt. Folgerichtig wärmt der Meister dann in den ersten zwanzig Minuten gleich zwei 80er-Jahre-Fetenhits auf: The Cure’s “Lovecats” und Eurythmics “Sweet Dreams”, letzteres allerdings in seiner verfremdeten Version “You Don’t Wanna” vom “Blowback“-Album. Und eigentlich wärmt auch weniger der Meister als seine Band da auf.
Als die klassische Bandbesetzung Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier im Hapbdunkel erscheint, glaube ich noch an eine Vorband. Drei unauffällige Mates aus dem Pub gegenüber und eine sympathische, aber unglamoröse Dame. Erst als “You Don’t Wanna” losgeht, wird klar, dass die vier wohl zum Meister gehören. Der bemüht sich dann während des Liedes zusammen mit Sängerin Veronica Coassolo auch vor‘s Publikum und bietet erst mal das, was er im ersten Teil des Konzertes des öfteren bietet. Die Ansicht seines Rückens. „Black Steel“ nutzt er beispielsweise dazu in Ruhe eine zu rauchen und das Haarstyling mit etwa einem Liter Wasser zu überarbeiten. Die Präsenz des Meisters reicht, ab einem gewissen Stadium kann man andere für sich arbeiten lassen.
Aber wenn Tricky am Geschehen teilnimmt, hat er die volle Aufmerksamkeit. Wie bei einem ADH-Kind scheint die Energie aus ihm raus zu wollen. Es zuckt in ihm, doch er muss sich beherrschen. Murmelt Worte, stößt einzelne Sätze hervor, erzählt unverständliche Geschichten. Manchmal bricht es aus ihm heraus, die Musik wird laut und die Energie kann sich ihren Weg bahnen. Der Laut-Leise-Kontrast funktioniert hervorragend, und gerade der Einsatz von Gitarre und Schlagzeug sind mehr der Rockmusik verpflichtet, als dem bösen Pfui-Trip-Hop, den Tricky ja tatsächlich schon früh auf dessen Weg zum Chillout-Produkt für Kaffeehäuser und Wellness-Buden verlassen hat.
Noch besser wird es, wenn Tricky und Veronica Coassolo gemeinsam Songs performen. Veronica Coassolo beherrscht ihr Handwerk, kommt sympathisch rüber und könnte bestimmt jede Fernsehjury von sich überzeugen. Die Kombination der straighten Sängerin mit dem exzentrischen Performer ist reizvoll, und folgerichtig stellt „Pumpkin“ für mich den eindeutigen Höhepunkt des Abends dar. Ich traue mich kaum, es zu sagen, weil es inzwischen so abgedroschen klingt - aber es war Gänsehaut am ganzen Körper. Sehr wohlig. Hier kommt der Genius des Meisters am stärksten zum Ausdruck, dafür kann man ihm alles vergeben. Auch die lieblos hingeschluderte Version von „Overcome“. Oder war‘s „Karma Coma“?
Jedenfalls war danach erst mal Schluss. Nach etwa 50 Minuten. So sind sie halt die coolen Briten. Keine Zweieinhalb-Stunden-Exzesse, sondern Feierabend, wenn das Publikum gerade warm gelaufen ist. Dachte ich zumindest, doch ein weiteres Mal wurde meine Erwartungshaltung unterlaufen. Die folgenden drei Songs dauerten noch mal 30 Minuten. Mindestens. Und plötzlich schien auch der Meister warm gelaufen. Keine Kippchen mehr, keine Rückenansicht, sondern ein Mann der die komplette Bühne braucht. Der seinen Körper biegt, mit dem Mikrophon zu einer Einheit verschmilzt, die Bassdrum umstürzt. Die geballte Körperlichkeit ist in der Feuerwache plötzlich entfesselt und performt. „Past Mistake“, einer der besten Songs des neuen Albums, sprengt die Songgrenzen und wird zu einer einzigartigen Livererfahrung. Und die Frage nach Genie oder Blender kann nun endlich abschließend beantwortet werden: Tricky ist einfach der Meister. Wovon auch immer.

Wenn man das idiotische Intro überstanden hat, gibt dieser Livermitschnitt einen ganz guten Eindruck vom Zugabenteil des Konzerts.



Etwas bessere Qualität und eine andere Sängerin, zeigt aber schön, wie das mit den Duetten funktioniert.

Keine Kommentare: