Freitag, 27. Dezember 2013

Bücher 2013

Sechs Empfehlungen und eine Warnung 

 

Lesen unter optimalen Bedingungen


Die Empfehlungen

Matthias Keidtel: Ein Mann wie Holm

Mein Lieblingsbuch in diesem Jahr. 

Titelfigur Holm ist eine Mischung aus unsicherem Kind und erstarrtem Rentner, der sich in der Mitte des Lebens in jeder Beziehung zurechtfinden muss. Eine Mischung aus Westberliner Insulaner, Asperger-Autist und Mork vom Ork, der alle Aussagen seiner Mitmenschen wörtlich nimmt, sich ständig größten Peinlichkeiten ausgesetzt sieht und der ein klares Weltbild hat – zu dem nur leider die Welt, in der er lebt, nicht passt. Das ist natürlich anstrengend, weshalb Holm auch immer mal wieder gerne eine Pause vom Leben hätte. Diese bekommt er aber nicht, da ihn die Eltern mit zarten 37 Jahren vor die Tür setzen. Die Tante, bei der er einzieht, stellt ihn vor einige Herausforderungen. Plötzlich muss Holm selbst in den Supermarkt (problematisch besonders der peinliche Klopapierkauf), anfangen zu arbeiten (das geringste Problem, da Holm in einem Zigarrenladen eine übersichtliche Stelle mit wenig Kundenkontakt findet) und, auf Geheiß der Tante, eine Freundin finden. Diese findet er in Ulrike, eine Art Monika Mustermann, mit Hilfe derer Autor Keidtel alle Absurditäten des Kennenlernens (Date, Geburtstagsfeier, Discobesuch) und Zusammenlebens (Ausflug ins Grüne, Sonntagnachmittage mit Familienbesuchen) aus der verschobenen Perspektive seines Protagonisten durchexerziert. Es spricht dabei sehr für Keidtel, dass er immer das richtige Maß findet: die Nebenfiguren sind alle so weit Klischee und Holm ist so wenig normal,
dass man es gerade noch glaubt. Die Situationen sind realistisch und werden nie zu lange oder zu exzessiv ausgeschlachtet. Potentielle Peinlichkeiten finden meist nur in Holms Kopf statt und werden nicht, wie etwa in der Fernsehserie „Pastewka“, genüsslich bis ins Letzte ausgeschlachtet. Überhaupt verkommt das Buch nie zur Nummernrevue, der Roman ist tatsächlich einer, und zwar eine Art Entwicklungsroman, denn ACHTUNG SPOILER - am Ende rebelliert Holm – zwar ohne dass es wirklich jemand merkt, aber in seinem Bewusstsein macht er einen gewaltigen Schritt. Versinnbildlicht wird dieser auf der letzten Seite anhand eines verwirrten Mannes, der, wie einem Faden folgend eine Straße entlangläuft und jede Laterne und jeden Hydranten mit Tunnelblick umrundet, bis er vor einer großen, offenen Kreuzung zum Stehen kommt. An diesem Punkt ist auch Holm am Ende des Buches. Kein Happy End, keine dramatische Trennung von Ulrike, ein offenes Ende mit Potential für weitere Romane mit Holm.
„Ein Mann wie Holm“ ist ein Buch, wie ich es liebe. Witzig und doch nicht platt; satirisch und doch eine echte Geschichte erzählend; ironisch und dennoch nicht unverbindlich. Man mag Holm, und man versteht ihn letztlich auch, wenn man sich auf seine Logik und Weltsicht einlässt. Und mehr noch: wer ehrlich zu sich selbst ist, entdeckt vielleicht in abgeschwächter Form auch die eine oder andere Marotte Holms bei sich und kann daher auch herzhaft über sich selbst lachen. Oder kräftig schlucken und versuchen, es in Zukunft anders zu machen.
P.S.: wie treffsicher Keidtel schreibt, kann man daran erkennen, wenn er Nebenfiguren  in nur einem Satz so charakterisiert, dass man sie direkt bildlich vor Augen hat. Zu Ulrikes Schwester Anne schreibt er: "Dunkelhaarig und von einer krummen Nase entstellt, hatte sie die Selbstdemütigung bereits derart verinnerlicht, dass es nur noch zu einem schwachen Händedruck reichte“, zu ihrem Mann Sven „ein Hühne mit Pausbacken, man hatte vergessen, ihm ein seiner Körpergröße angemessenes Gesicht mitzugeben, schien dagegen mit sich selbst im Reinen". 


 
Almut Klotz / Rev. Christian Dabeler: Aus dem Leben des Manuel Zorn
  
Manuel klingt feminin, Zorn aggressiv – so die These der Autoren. Eine gespaltene Persönlichkeit also, ebenso wie das Buch von zwei Autoren, die aus der Sicht von zwei Personen eine Geschichte erzählen. Da ist zum einen der passive und zurückgezogene Langzeitstudent Peter, der durch einen Zufall für Manuel Zorn gehalten wird und sich fürderhin zunächst einmal für diesen ausgibt, zum anderen ein unberechenbarer und aggressiver Ich-Erzähler, über den wir erst sehr allmählich erfahren, dass er Hagen heißt und aus einer reichen Bürgerfamilie kommt. Letzterer kommt einem durch die Ich-Perspektive unangenehm nah, der erste bleibt, nicht zuletzt durch die eingeschobene Instanz eines personalen Erzählers, zum Leser zunächst ebenso auf Distanz wie zum Rest der Welt.
Man merkt schon: das ist nicht einfach Popkultur zum Wegschlürfen und sich Wiederfinden. Im Gegenteil: als Setting wurde das ins Groteske verzerrte Berlin einer nahen Zukunft gewählt, das geschickt vertraute Anknüpfungspunkte schafft, die aber gerne ins Überzogene oder Bizarre gesteigert werden. Stichworte: mysteriöse Riesenbaustellen, „janz Berlin iss untergullit“, Trash-Vernissagen. Jetzt noch einen unzuverlässigen Erzähler (Hagen), bei dem man oft nicht weiß, ob seine Wahrnehmung drogen- und alkoholvernebelt ist oder eine seiner Psychosen zuschlägt.
Klingt anstrengend? Hm, ist es vielleicht für die ersten zehn Seiten. Dann aber ist man drin und lässt sich – mal mehr, mal weniger gerne – von der Geschichte mitnehmen. Denn es gibt eine Geschichte, nicht nur Alltagsbeobachtungen. Eine recht solide Mystery-Thriller-Geschichte sogar, die handwerklich funktioniert, in der Auflösung aber (erwartungsgemäß) etwas enttäuscht. Innerhalb dieses Handlungsgerüsts gibt es dann doch die Alltagsbeobachtungen der Popkultur, nicht selten fast schon perfide dadurch gebrochen, dass die wahren Worte von einem Soziopathen gesprochen werden (etwa zum Thema Schule und Erziehung, wozu es Gedanken gibt, zu denen man nur zustimmend nicken kann, die dann aber in einer unangenehmen Gewaltphantasie enden, die man so nun auch nicht wollen kann)
Dass dabei nicht jede Wendung funktioniert, nicht jede gedankliche Spielerei zündet, schadet nicht, wenn ein Buch so voller Ideen ist. Deprimierend ist das Ganze natürlich teilweise schon, gleichzeitig aber auch verdammt unterhaltsam, stimulierend und nachhaltig. Wer seinen eigenen Zynismus also kennt und die nötige Distanz dazu hat, hat hier ein gewinnbringendes Buch vor sich.


Kai Havaii: Hart wie Marmelade

Ich bin erstaunt und erfreut. Kai Havaiis autobiographischer „Rock’n’Roll Roman aus der Provinz“ ist nicht einfach ein weiteres Stückchen Popliteratur, sondern ein komplett unprätentiöser und daher so für sich einnehmender Rückblick auf eine Rock’n’Roller-Karriere. Anders als Stuckrad-Barre, Goosen oder auch Rocko Schamoni nimmt der Extrabreit-Sänger vor allem dadurch für sich ein, dass er frei von Profilneurosen ist. Bzw. hat er die natürlich schon, aber er kennt sie und geht reflektiert mit ihnen um. Und so hat man Spaß mit mehr oder weniger erwartbaren Showgeschäft-Anekdoten, freut sich über die realisitsche Sicht des eigenen Schaffens einer Band, die zwar Punk-Wurzeln hat, aber auch zu jeder möglichen Kommerzialisierung ja sagt, und ist beeindruckt von dem nüchternen Darstellung der Heroinabhängigkeit des Sängers. Der scheinbar beiläufige Stil und die kurzen, episodenhaften Kapitel stehen der Bindung des Lesers an den Autor oder eben Romanhelden erstaunlicherweise nicht im Weg. Man amüsiert sich mit ihm über pubertäre Späßchen und ist emotional ergriffen, wenn er vom Selbstmord einer seiner Freundinnen berichtet. Vermutlich ist es die Ehrlichkeit und – schluck – Authentizität, mit der Kai Havaii die Leser auf seine Seite zieht und die für ihn einnimmt.
Ein großer Genuss und das beste Buch dieser Art seit sehr langer Zeit.

 

Valerio Varesi: Die Pension in der Via Saffi


Ach Gott, ein Krimi. Braucht's das?
Ich gebe zu, ich bin kein Freund dieses abgenutzten Genres, mache hier aber eine Ausnahme. "Die Pension in der Via Saffi" ist bereits der dritte Roman mit Commisario Soneri, den ich lese. Varesi greift auch hier Motive auf, die in seinen anderen Romanen vorkommen: der nur scheinbar begrabene Konflikt zwischen Faschisten und Kommunisten in Italien, der Gegensatz von Stadt und Land sowie das Motiv der sich verändernden Zeiten und Sitten. Anders als in den anderen Romanen ist sein Kommissar dieses Mal aber nicht nur durch seine Einstellung oder Herkunft involviert, dieses Mal gibt es persönliche Verbindungen zum Mordfall in der titelgebenden Pension, die den an sich fatalistisch und existentialistisch gestählten Commissario in seinen Grundfesten erschüttern. Wenn man andere Romane mit ihm kennt, ist das Buch ein Genuss. Der sympathische, wenn auch misanthrophe Soneri, den man bereits ins Herz geschlossen hat, steht stärker im Mittelpunkt, das existentialistische Weltbild wird vertieft, die düstere Atmosphäre, von der ich mir ja nach dem zweiten Buch gewünscht hatte, sie würde im dritten Buch strahlendem Sonnenschein weichen, wird ein weiteres Mal variiert (und zwar gekonnt, denn dieses mal ist mit Parma eine Gro0ßstadt Schauplatz), und liebgewonnene Nebenfiguren wie Soneris Freundin Angela und der prosaische Gegenpol Inspektor Juvara spielen auch wieder eine Rolle. Auch wenn Varesi hier schneller in die Vollen der Ermittlungsarbeit geht und das Buch vielleicht an manchen Stellen mit seiner Vielzahl an Namen und Nebenschauplätzen etwas überkonstruiert wirkt, bleibt man dennoch mit Spannung dabei. Das liegt an den fabelhaften Dialogen, die Varesi schreiben kann, am begrenzten Schauplatz (ein Stadtviertel in Parma), dem er überzeugend Leben einhaucht, und an der gelungenen Mischung von Krimihandlung und existentialistischer Lebensbetrachtung. Die nur schwer auszuhaltende Welt und Weltsicht wird dabei durch ironische Kommentare, anrührende zwischenmaenschliche Begegnungen sowie dem noch stärker als im letzten Roman entwickelten Motiv der Wichtigkeit des guten Essens angenehm konterkariert. Ein sehr schönes Buch, das man mit Gewinn liest; ein Krimi, wie man ihm nach meinem Geschmack nicht besser schreiben kann.


Benjamin Maack: Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland

Ex-"Ohrensessel"-Podcaster Benjamin Maack arbeitet ja jetzt Vollzeit für den „Spiegel“ und schreibt Literatur. Das vorliegende Bändchen enthält 11 Erzählungen aus dem Jahr 2007, da war Maack noch keine 30 – und das merkt man den Geschichten auch an.
Seine Protagonisten sind Kinder, Teenager, Mittzwanziger; seine Settings die bürgerliche Vorstadtmittelklasse. Und natürlich geht es um deren Abgründe. Tod, Krankheit, Messietum, Perversion und Depression, die in der Normalität allerorten lauern. Klingt aber zum Glück schlimmer als es ist, denn Maack lässt den didaktischen Zeigefinger unten und beschreibt einfach. Das Scheidungskind mit dem Messievater, das diesen Vater als gar nicht so unnormal ansieht; den Jungen mit den perfekten Eltern, der so gerne etwas für sich selbst hätte und bei einer Rast auf der Fahrt in den Urlaub einen toten alten Mann entdeckt, der sein Geheimnis bleibt; den Jungen, der sein Leben entrümpeln will und daher nicht mehr aus seinem Zimmer kommt. Dabei trifft er den richtigen Tonfall zwischen lakonisch und ernsthaft, schreibt unprätentiös und auf den Punkt, literarisch und doch leicht.
Drei Geschichten finde ich herausragend: die erwähnte „Ich führe nämlich ein Doppelleben“ mit dem toten alten Mann. Dann „Manuel“, in dem Maack aus der Sicht eines homophoben Riesenbabies dessen Begegnung mit einem jugendlichen, großbürgerlichen Feingeist (= Schwuchtel) beschreibt, die Geschichte mit dem auf angenehme Art seltsamsten Ende, wenn - ACHTUNG SPOILER - der schöne Manuel dem Riesenbaby unbedingt ein Gemälde zeigen will und der Prolo dieses nur durch Ergreifen (= Anpatschen) im Ansatz zu begreifen erscheint. Und schließlich „Es muss so einfach sein, Stephen Hawking zu töten“, eine politisch kaum korrekte Initiationsgeschichte über einen Jugendlichen, der meint einen ihm anvertrauten Säugling getötet zu haben. Gerade in dieser Geschichte gewinnen zwei Figuren deutlichere Konturen, mit denen Maack beweist, dass er auch das Zeug zum Roman hat.
Da soll er mal loslegen, denn ich bin und bleibe der Gattung der Erzählung gegenüber zurückhaltend. Acht bis 15 Seiten bieten einfach nicht viel Raum, außer man will à la Roald Dahl nur auf eine Pointe hinaus. Aber andererseits sehe ich auch schon ein, dass die Erzählung als Fingerübung für ernsthafte Autoren notwendig ist, und jeder Gang in den örtlichen Thalia zeigt ja auf den ersten Blick, dass es viel zu viele Autoren gibt, die es nicht mehr unter 400 Seiten machen.
Nein, gut Ding soll Weile haben. Insofern eine schöne erste Begegnung mit dem Autor Benjamin Maack, bei der ich mir nur gewünscht hätte, ein etwas größeres thematisches Spektrum vorzufinden. Wenn die elf Geschichten die Visitenkarte des Autors sein sollen, geht es ein wenig zu sehr um spätpubertäre Nöte, Schuldgefühle und Tod. Wenn dies als thematische Klammer Absicht gewesen sein sollte, nehme ich alles zurück.



Jörg Fündling: Marc Aurel

Mein Sachbuch des Jahres.
Nach dem großen Genuss der Lektüre seines Bandes zu Sulla am Strand von La Grande Motte ist die Neuauflage des historischen Lektüregenusses unter südlicher Sonne am Pool mit Meerblick im spanischen Teulada voll gelungen. Einmal mehr gelingt es Jörg Fündling eine historische Persönlichkeit von allen Seiten her zu beleuchten, einmal mehr genügt das Buch allen wissenschaftlichen Ansprüchen und ist dabei doch inhaltlich spannend und sprachlich ansprechend. Fündling gelingt es scheinbar mühelos, die richtigen Worte zu finden. Er schreibt prägnant und auf den Punkt und schafft es mittels Wort- oder Zitatewahl auch immer mal wieder ein ironisches Augenzwinkern oder sogar einen satirischen Seitenhieb zu landen. Bei allem Bemühen um Ausgewogenheit und Objektivität (soweit diese möglich ist), ist dennoch eine Haltung zur Person Marc Aurel erkennbar. Dessen Körperfeindlichkeit und schädlichem Perfektionismus zum Beispiel steht der Autor skeptisch gegenüber. Dieses Ergreifen einer Position, ohne für deren Vertreten die Sachlichkeit und den Facettenreichtum der Darstellung aufzugeben, nimmt mich besonders für das Buch ein. Denn es sind diese Momente, in denen das Engagement des Autors besonders durchschimmert und die dem Skelett der Fakten Fleisch verleihen. Wie schon bei Sulla arbeitet sich der Autor engagiert an einer widersprüchlichen Persönlichkeit ab, zu der er einen wie auch immer gearteten Bezug zu haben scheint. Und dieses Engagement springt auf den Leser über. Ich weiß bei so einer Lektüre wieder, warum ich einmal dieses Fach studieren wollte (was man vor lauter Kompetenzorientierung und Basisnarrativen schon mal aus dem Blick verlieren kann). Bekanntes wurde mit dieser Lektüre reaktiviert, vorhandenes Wissen vertieft, Lücken geschlossen und Zusammenhänge klarer erkennbar. Auch die Bezüge zu aktuellen Phänomenen, wie die These, dass Marc Aurel unter Essstörungen litt, was plausibel nachgewiesen wird, überzeugen.
Ein kleiner Abzug für ein paar Passagen, die für mich über das Ziel hinausschießen. Hier wird etwas wild assoziiert, etwas zuviel vorausgesetzt und zu sehr für den eigenen Elfenbeinklüngel geschrieben, was in einem Buch aus einer WBG-Reihe, die sich an sich an ein breiteres Publikum richtet, etwas unpassend erscheint.


Die Warnung: 

Tom Rob Smith: Kolyma 

Dass man von Tom Rob Smith keine subtile Auseinandersetzung mit Stalinismus, KGB und Gulagsystem erwarten darf, wurde schon in „Child 44“ klar. Dennoch funktionierte dieses Buch als temporeicher, düsterer Thriller mit Polithintergrund. Überzeichnet und reißerisch, aber auch verdammt unterhaltsam. Dazu kam der Kunstgriff des Antihelden, der ein – zunächst auch überzeugter – KGB-Agent ist, mit dem der Leser aber dennoch mitfiebert.
Im Nachfolgebuch „Kolyma“ gibt es so manches Problem. Dass Protagonist Leo eigentlich ein Guter ist, wissen wir ja inzwischen, also muss neues Ungemach über ihn von außen hereinbrechen, namentlich durch seine pubertierende Adoptivtochter und eine rachelüsterne Dame aus seiner Vergangenheit. Eine Grundkonstellation, in der sich Charaktere nicht entwickeln können, und dass das Teenie-Mädel am Ende zu ihrem Daddy zurückfinden wird, ist selbst in der düsteren Welt des Tom Rob Smith von Anfang an relativ klar.
Auch in seiner Kernkompetenz des Spannungsromans tut sich Smith dieses Mal schwer. Zwar sorgt am Anfang des Buches die berühmte Parteitagsrede Chruschtschows, in der dieser die Auswüchse des Stalinismus anprangert, für Spannung, da dieses Eingeständnis von Fehlern die bis dahin zum Schweigen gebrachte Opposition mobilisiert und die herrschende Elite in Gefahr bringt. Zugespitzt bei Smith in Lebensgefahr, da eine auf Rache sinnende Bande beginnt, stalintreue Führungskader zu ermorden. Doch nach dem originellen Einstieg gehen dem Autor recht bald die Ideen aus. Die renitente Adoptivtochter unseres Helden Leo wird gekidnappt, und, um sie wiedersehen zu können, soll er aus einem sibirischen Gulag einen von ihm selbst dorthin beförderten politischen Gefangenen befreien. Oh ja. Man sieht den Zaunpfahl in Richtung Hollywood winken. „Für das Leben seiner Tochter muss er alles riskieren. Undercover im härtesten Arbeitslager der Welt.“ Etc, etc. Und so geht man mit Leo auf die actionreiche, aber überraschungsarme Reise nach Sibirien. Wobei die Action auch wirklich nicht gut ist. Im typischen Bestreben eines zweiten Teils, die Superlative des ersten noch zu toppen, gerät unser Held in etwa ein Dutzend ausweglose Situationen und überlebt Attacken und Verwundungen, die niemand überleben kann. Leider ist das selten spannend und temporeich, sondern häufig hektisch und vorhersehbar erzählt. Zu verraten, dass Leo dem Gulag entrinnt, ist sicherlich kein Spoiler, und Tom Rob Smith hätte gut daran getan, seinen Roman dann einfach enden zu lassen. Stattdessen schließt er einen dritten Teil an, der den Ungarnraufstand 1956 behandelt und dem Buch den Todesstoß gibt. Denn hier greifen die handelnden Figuren in historische Abläufe ein, und das Buch verliert damit seinen letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Es mag ja noch angehen, alle möglichen grausamen Gulaggeschichten zu bündeln und diese als historischen Hintergrund für ein Ausbruchsdrama zu verwenden (man mag das geschmacklos finden und Exploitation nennen, aber als Story funktioniert so etwas häufig gut), aber Reißbrettcharaktere als Strippenzieher hinter dem Ungarnaufstand zu verkaufen, ist ein Schlag ins Gesicht für alle an diesem Aufstand Beteiligten. Mich würde mal interessieren, wie sich dieser Roman in Ungarn verkauft hat. Als Ungar wäre ich jedenfalls not amused. Nein, Teil drei der Trilogie werde ich mir schenken. Und was den Autoren-Shooting-Star betrifft, bin ich gespannt, ob da noch etwas nachkommt.



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