Freitag, 19. Januar 2018

Fantasy Filmfest Highlights 2017

Inzwischen wird man von den Machern des Fantasy Filmfests ja eigentlich das ganze Jahr über gut betreut. Zwei Wochenenden im Januar bzw. April verkürzen die Wartezeit auf das große Festival im Sommer, das inzwischen 11 Tage dauert. Da sind selbst in eher schwachen Jahren immer einige Entdeckungen dabei, von denen die meisten nicht den Weg ins Kino finden. Um diese schönen Filme soll es hier gehen.

Bereits im Winter bzw. Frühling liefen bei den White Nights bzw. Nights jeweils zwei Filme, die es sich lohnt hervorzuheben.

The Invisible Guest
Oriol Paulo, Regisseur des nicht minder zum Miträtseln einladenden Films "The Body", hat hier einen temporeichen Krimi inszeniert, den selbst Tatort-Hasser wie ich lieben können. Exzellentes Timing, zahlreiche Drehungen und Wendungen, die aber nie zu weit hergeholt sind. Ich habe auch beim zweiten Gucken keine Logiklöcher entdecken können und damit gleich hatte zweimal großen Spaß an diesem spannenden und intelligenten Film.



The Transfiguration
Weniger zugänglich, aber sehr faszinierend fand ich diesen Vampirfilm im Stile eines britischen Sozialdramas. Oder war es ein Sozialdrama im Stil eines Vampirfilms? Egal, „Vampir“ ist hier einmal mehr die passende Metapher für einen Außenseiter, und der Film ist so britisch, dass der geneigte Englischlehrer jubelt.



Sweet Sweet Lonely Girl
Sehr stimmungsvoller Low-Budget-Gruselfilm mit dezenten Dario-Argento-Anleihen. Weit weniger aufdringlich als Filme wie "Amer" - und damit auf die Dauer auch weit weniger nervig: Denn der Film will nicht nur ein Stilfeuerwerk sein, sondern erzählt auch gekonnt eine Geschichte von Einsamkeit und der Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe. Jump-Scare-Freunde waren enttäuscht, Arthouse-Fans (wie ich) nicht.



Going to Brazil
A propos Arthouse. Von nichts ist diese letzte Empfehlung weiter entfernt. "Going to Brazil" ist eine französische, weibliche „Hangover“-Variante mit ein wenig Pulp-Fiction-Gewalt und vier extrem gutaussehenden Damen. Popcorn-Kino wie es sein soll.




Das sommerliche Filmfest fand für mich dann zwar mit Dauerkarte, aber unter erschwerten Bedingen statt: laufender Schulbetrieb, davon drei volle Tage Prüflesen für‘s Landesabitur in Wiesbaden, und an einem der Wochenenden auch noch das Golden Leaves Festival in Darmstadt, das zu besuchen inzwischen praktisch Familientradition geworden ist.
Insofern war der Blick ins Programmheft nun, einige Monate danach, interessant, denn so schwach wie ich ihn in Erinnerung hatte war der 2017er-Jahrgang gar nicht. Vielmehr war die Ablenkung so vielfältig, dass offensichtlich einfach meine Erinnerung schwach war. Daher hier, mit aufgefrischter Erinnerung, noch die Highlights.

Raw
Eigentlich mein Lieblingsfilm dieses Jahrgangs. Eine radikale Coming-of-Age-Geschichte, die Kannibalismus als Metapher nutzt und nicht davor zurückschreckt, ihn zu zeigen, wenn es der Geschichte und ihrer Atmosphäre dient. Über die individuelle Ebene hinaus bietet der Film auch einige Seitenhiebe auf Leistungsorientierung und Normierung im Bildungssystem. Eine ziemlich rohe Welt, die Raw da zeigt (*Tusch* für‘s Wortspiel), und leider eine ziemlich reale.



A Sicilian Ghost Story
Pure Poesie bietet diese italienische Geister-, Mafia- und erneut Coming-of-Age-Geschichte. Sehr stimmungsvoll, sehr metaphysisch und doch nie in die Kitschfalle tapsend. Eine große Geschichte für die große Leinwand und einer dieser Genrehybride für die ich das Filmfest nach wie vor liebe.




Land of the Little People
Die Referenz "Lord of the Flies" wurde in Programmheft und Gesprächen im Kino oft bemüht und sie ist unübersehbar. Nur dass die Jugendlichen in diesem israelischen Film nicht auf einer Insel auf sich selbst gestellt sind, sondern in einem zivilisierten, aber von fortwährenden kriegerischen Auseinandersetzungen ausgezehrten Land des 21. Jahrhunderts. "Land of the Little People" zeigt unaufdringlich inszeniert, aber eindringlich in seiner Wirkung die psychologischen Folgen dieses Zustandes. Sehr spannend, beeindruckend und bei mir lange nachwirkend.




Fashionista
Noch so ein Genre-Hybrid. Das als Psychothriller getarnte Charakterdrama einer mit sich selbst unzufriedenen Frau, der es an Liebe, Anerkennung und Selbstachtung fehlt und die das durch einen Kleidungsfetisch kompensiert. Clever erzählt (mit zahlreichen Vorblenden – statt Rückblenden, die dem Zuschauer an passender Stelle stets ein paar Informationsbröckchen zuwerfen, um ihn über den weiteren Verlauf der Story spekulieren zu lassen) und schauspielerisch in der weiblichen Hauptrolle herausragend. Ein unerwartetes Highlight.



My Friend Dahmer
Ich mag eigentlich keine Filme über reale Serienkiller. Denn oft werden hier Deppen bzw. Verbrecher glorifiziert und mystifiziert. Meine Vorbehalte gegen "My Friend Dahmer" waren jedoch unbegründet, denn der Film zeichnet lediglich das Abschlussjahr Jeffrey Dahmers an seiner Highschool nach und ist damit eher eine Highschool-Geschichte mit den üblichen Typen, und zwar eher im Stil von "American Graffiti" als von "American Pie". Insofern geht es viel um Rollengefüge und das Streben nach Akzeptanz und Anerkennung in einem Mikrokosmos, der nur wenig Abweichungen zulässt. Und da wir ja auf dem Fantasy Filmfest und nicht beim „Kleinen Fernsehspiel“ sind wird das alles sehr unterhaltsam, mitunter spannend und vor allem mit viel Liebe zum 70er-Jahre-Detail inszeniert.



Hounds of Love
Am letzten Tag am Nachmittag versteckte sich dieser Schlag in die Magengrube. Menschliche Abgründe, wie sie auf dem FFF alle Jahre wieder serviert werden. Am ehesten musste ich an den unvergesslichen "An American Crime" aus dem Jahr 2007 denken, der selbst hartgesottene Dauerkartenbesitzer zum Weinen brachte. Wobei dieser Film in Australien spielt und zeigt, dass die Abgründe universell sind.



Killing Ground
Für mich der beste Thriller des Festivals. Ein Pärchen will sich ein schönes Wochenende machen und zeltet in der freien Natur. Kann ja nur schiefgehen. Kennt man, wird hier aber extrem spannend einmal mehr durchgespielt.



Marlina the Murderer in four Acts
Das hingegen kannte ich noch nicht: ein feminsitischer, philippinischer Rachefilm in Stile eines Italowesterns. Langsam erzählt, weshalb man die exquisiten Bildern so richtig in sich aufsaugen kann, mit lakonischem Humor und toller Musik. Konsequent bis zum Ende, überzeugender als jede Me-too-Kampagne und damit im Jahr 2017 brandaktuell. Läuft seit gestern übrigens im Kino.




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