Mittwoch, 17. Januar 2018

Das Filmjahr 2017

Lieblingsfilme:

Dunkirk
Ich gebe zu, ich hatte den Film nicht auf dem Zettel. Warum weiß ich gar nicht, denn Christopher Nolan hat mich bisher eigentlich noch nie enttäuscht. Vermutlich weil ich keine Lust auf Kriegsfilm und WW II hatte. Ich Narr. Denn "Dunkirk" funktioniert als durchaus auch als Anti-Kriegsfilm, weil er die Strapazen, Verzweiflung und Sinnlosigkeit von Kriegen en passant schildert. Zugleich ist er ein unglaublich spannender Film zum Thema Überleben. Das Tempo ist atemberaubend und Nolan gönnt dem Zuschauer nur wenig Ruhepausen, der Score von Hans Zimmer tut sein Übriges um zu verhindern, dass man im Kinosessel entspannt. Unglaublich intensiv, packend und zugleich klar in der Aussage. Ein echtes Meisterwerk.



Jackie
Vor ein paar Jahren bin ich über den Film "No!" des chilenischen Regisseurs Pablo Larrain gestolpert. Im Jahr 2017 hatte der Mann gleich zwei Filme in den deutschen Kino. Einer war "Jackie", in dem es um die Tage nach der Ermordung John F. Kennedys aus der Sicht seiner Witwe Jackie geht. Wer hier ein Melodram à la Hollywood erwartet hat, wurde vermutlich bitter enttäuscht. Larrain stellt vielmehr den Antagonismus von Privatem und Öffentlichen am Beispiel Jackie Kennedys heraus und feiert sie in ihrem souveränen Umgang mit der Situation. Die Mischung aus politischen Film mit universeller Aussage und persönlicher Geschichte mit emotionalen Momenten (an dieser Stelle muss Natalie Portmans feine Darstellung in höchsten Tönen gelobt werden) hat den Film für mich zu einem extrem spannenden gemacht. Und einmal mehr ist Larrain ein Meister der Bildgestaltung. War es in „No!“ die verwackelt unscharfe VHS-Ästhetik sind es hier die vielen Close Ups Natalie Portmans, die dem Zuschauer fast schon eine Komplizenschaft mit Jackie Kennedy aufzwingen. Ein intellektuell wie visuell stimulierender Film. Kino für Fortgeschrittene.




Wilde Maus
Ich bin ein Fan von Josef Hader, ich gebe es zu. Und ich habe mich sehr gefreut, ihn einmal nicht als Ex-Polizist Brenner im Kino zu sehen. Zwar ist auch die Hauptfigur in "Wilde Maus" ein Verlierer, aber einer, der es einem schwer macht, ihn sympathisch zu finden. Der heilige Zorn des entlassenen Kulturkritikers, den Hader darstellt, ist zu Beginn noch nachvollziehbar, doch im Laufe des Films kann einem das Selbstmitleid des Anti-Helden schon auf den Nerv gehen, zumal sein Rachefeldzug ziemlich stümperhaft ausgeführt wird. Insofern ist "Wilde Maus" etwas sperriger als die Brenner-Verfilmungen, aber wer Hader kennt, weiß, dass er sein Publikum gerne fordert. Ich habe die Herausforderung gerne angenommen und mein diebisches Vergnügen an dem Film gehabt.



Personal Shopper
Alle Jahre wieder gibt es einen Film, der mich in der richtigen Stimmung erwischt. Kristen Stewart spielt eine Amerikanerin in Paris, die für eine Diva die titelgebende persönliche Shopperin ist, ihren Job nicht mag und außerdem versucht, mit ihrem verstorbenen Bruder spirituellen Kontakt herzustellen. Klingt furchtbar? Mag sein. Aber Olivier Assayas weiß, was er tut, und ich fand den Film, ähnlich wie "The Neon Demon" im vergangenen Jahr einen gelungenen Beitrag zum Thema Sinnsuche in einer Welt der Oberflächlichkeiten. Definitiv keine Empfehlung für den entspannten Videoabend, sondern Arthouse-Kino im besten Sinne, das einen offenen Zuschauer fordert und zugleich belohnt.



Neruda
Larrains zweiter Film im Jahr 2017 schildert das Katz- und Maus-Spiel zwischen dem Dichter Pablo Neruda und einen ihn verfolgenden, verkniffenen chilenischen Staatsbeamten. Einmal mehr nicht sehr linear, einmal mehr wählt Larrain den schweren Weg und baut allerlei surreale und retardierende Momente in die an sich geradlinige Handlung ein. Denn es geht ihm hier um zwei archetypische Antagonisten, den Apparatschik und den Revolutionär, den Biedermann und den Bohemien. Die beiden können nicht miteinander, aber letztlich auch nicht ohneeinander, weil sie füreinander sinnstiftend sind. Und auch hier treffen Politisches und Privates wieder aufeinander, und zwar in einem bildgewaltigen und visuell ausgeklügelten Film.




Hunt for the Wilder People
Ach, all dieser verkopfte Arthouse-Mist. Kann der König nicht mal was Unterhaltsames empfehlen? Klar! "Wo die wilden Menschen wohnen" oder, wie er auf den White Nights des Fantasy Filmfests hieß und im Original heißt „Hunt for the Wilderpeople“. Die Story: ein übergewichtiger Waisenknabe mit Gangsterallüren wird vom Jugendamt an eine gutherzige Frau und ihren knorrigen Gatten in der neuseeländischen Wildnis in Pflege gegeben. Die Frau stirbt und das ungleiche Gespann aus Alm-Öhi und dauerlaberndem Teenie muss fürderhin alleine klarkommen. Regisseur Taika Waititti, der in dem Film auch einen genialen Auftritt als Priester hat, bescherte und bereits „What We Do in the Shadows“ („5 Zimmer, Küche, Sarg“), und sein trockener, skurriler Humor durchzieht auch dieses Film, der aber gleichzeitig an jeder Stelle ein Herz für Freaks hat und gerade in seinem zweiten Teil, wenn die titelgebende Jagd eigentlich erst beginnt, wohlige 80er-Jahre-Reminiszenzen hervorruft. Ein Film, den man einfach lieb haben muss.


Und der Trailer hinterher, denn der allein ist schon ein Riesenspaß:


Hitlers Hollywood
Rüdiger Suchsland Film zum Kino der Nationalsozialisten ist weniger Dokumentation und mehr Essay. Er sucht nach den typischen Elementen der NS-Filme und versucht so den Kern des Nazikinos zu finden. Die gewählten Filmausschnitte sind faszinierend, die Fülle an Material überbordend – und Suchslands Kommentar fast immer auf den Punkt (und nicht ohne Humor, wenn er Marika Rökk als „Brummkreisel mit Gummigelenken“ beschreibt). Kein Doku-Kino für Lesefaule, sondern anregende Gedanken und grandios ausgewählte Filmbeispiele.



Das fünfte Element
Der einzige Film, den ich in diesem Jahr im Kino gesehen habe und den ich in meiner Liste mit voller Punktzahl bewertet habe, ist, wie ich gerade feststelle, „Das fünfte Element“, der zu seinem 20jährigen Jubiläum eine kurze Wiederbelebung auf der großen Leinwand erfuhr. Ist zwar 100% 90er ist, hat mich aber dennoch über seine gesamte Laufzeit blenden unterhalten. Oder vielleicht ja gerade deshalb.



Weitere gute Filme:

Room
Wollte ich ewig nicht sehen, möchte ich bitte nicht noch mal sehen. Ist aber wirklich ein unglaublich intensiver und berührender Film über Elternliebe in einer Situation, die nicht extremer sein könnte. Für Mutige.




T2 – Trainspotting 2
Konnte nicht so gut werden wie das Original, aber das war wohl allen Beteiligten klar. Und mir auch. Und so genoss ich dieses guilty pleasure, erfreute mich am Wiedersehen mit allen fünf Überlebenden und nahm erfreut zur Kenntis, dass die Geschichte ganz gut funktioniert. Well done, Danny Boyle.




Die Taschendiebin
High-End Kostümschinken von meinem Lieblingskoreaner Chan-wook Park. Erstaunlich freizügig, bisweilen etwas schwülstig, ansonsten aber vor allem gepflegte Unterhaltung mit feinster Optik, guter Story und furchtlosen Darstellerinnen.



Der Stern von Indien
Geschichtskino für Lesefaule wie mich, das ein unrühmliches Kapitel aus der Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert beleuchtet. Wo "Ghandi" in einem Happy End mündet, setzt dieser Film an und zeigt die Schwierigkeiten und politische Verwerfungen im Zuge der Entkolonialisierung und damit einhergehenden Teilung Indiens. Nicht ganz frei von simplifizierender Personalisierung, und damit besonders gegen Ende zunehmender Melodramatik, ist der Film über weite Strecken vor allem ein spannender Politkrimi, der im Kino zu Unrecht ziemlich unbeachtet geblieben ist.



It
Der Hit vom diesjährigen Fantasy Filmfest. Da war sogar der große Saal Nummer 6 im Frankfurter Platzhirschkino mal wieder ausverkauft. Nicht zu unrecht, denn die Neuverfilmung von Stephen Kings Megaschinken aus den Achtzigern ist sehr gelungenes Horrorkino (und machen wir uns nichts vor: bei allen „Stand By Me“-Referenzen steht der Horror hier immer klar im Vordergrund). Und zwar durchaus moderndes Horrorkino mit Jump Scares und einigen Härten. Vielleicht will der Film am Ende etwas zu viel, aber andererseits gelingt es ihm, das Buch so einzudampfen, dass dessen Geist erhalten bleibt, der Film aber dennoch seinen eigenen Weg geht.




The Limehouse Golem
Und noch ein Film vom Fantasy Filmfest mit einem kleinen Kinostart. Bill Nighy in einer erfreulich großen Rolle in diesem mit Liebe zum Detail gemachten Murder Mystery aus dem England des 19. Jahrhundert. So mancher Gewaltexzess stört etwas in diesem historischen Ambiente, aber insgesamt ein erfrischend altmodischer Unterhaltungsfilm mit einigen Schauwerten und toller Musik, für den man gerne ins Kino geht.




Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Hier hatte ich bereits Anfang Dezember das Glück einer Preview. Frances McDormand, Sam Rockwell und Woody Harrelson in einem Film, der allen dreien hervorragende Rollen gibt. Großes Schauspielerkino mit viel schrägem Humor, das sich am Ende zwar etwas in seiner Story verheddert, über weite Strecken aber wirklich sehr viel Spaß macht.




Blade Runner 2049
Denis Villeneuve geht die Blade-Runner-Fortsetzung ziemlich elegisch an. Wenn man sich an das nicht gerade hohe Tempo im ausführlichen Mittelteil gewöhnt hat, kann man sich aber dem optischen und akustischen Genuss, der diesem Regisseur einmal mehr gelingt, voll hingeben. Okay, die Botschaft ist die alte und die Frage, was das Menschsein eigentlich ausmacht, fand ich in "Arrival" interessanter bearbeitet, aber manchmal kann man sich ja auch nur der Ästhetik hingeben.





Enttäuschungen und überschätzte Filme:

Mother
Darren Aronofskys neuester Film beginnt interessant als Kammerspiel, das an "Who‘s Afraid of Virginia Woolf?" erinnert, läuft dann aber im letzten Drittel dermaßen aus dem Ruder, dass es nur noch unfreiwillig komisch wirkt. Eine ganz eitle Nummer ohne Substanz und mit viel Getöse. Da habe ich mich echt geärgert.

The Killing of a Sacred Deer
Okay, der Regisseur ist Grieche und die rituelle Tötung des heiligen Hirsches stammt aus einer griechischen Tragödie. Aber dass es Regisseur Yorgos Lanthimos darum ging, eine moderne Tragödie um einen Mann zu schaffen, der Schuld auf sich geladen hat und dafür büßen muss, kann ich irgendwie nicht glauben. Dafür agieren alle Beteiligten – außer Nicole Kidman an einzelnen Stellen – zu artifiziell, dafür gibt es zu viele skurril komische Momente (okay, ich habe als einziger gelacht als der Sohn aus dem Krankenhausbett fällt, weil er zum Fenster gehen möchte, aber an sich ja seine Beine nicht bewegen kann. Das war komisch, auch wenn ihr euch alle nicht getraut habt zu lachen, ihr Karlsruher Arthouse-Kinogänger, die ihr vom deutschen Feuilleton eingeschüchtert wart). Nein, sorry, wenn das ernst gemeint war, ist es eine Luftnummer. Optisch super, das stimmt, aber inhaltlich hätte ich mir - gerade nach "the Lobster" - mehr erwartet.

Get Out
Voll auf der Höhe der Zeit mit seiner Rassismus-Thematik, noch dazu weil er sich so elegant und amüsant verpackt, dieser nette, kleine Film mit ironischem Augenzwinkern. Aber ganz ehrlich: am Ende will "Get Out" ein Horrorfilm sein. Das ist er, solide und unterhaltsam ist er auch. Aber weder ist er ein großes Meisterwerk noch so intelligent wie allerorts zu lesen war.

Planet der Affen – Survival
Überwältigungskino mit dem üblichen Problem einer zu langen Laufzeit, zahlreichen Redundanzen und einer etwas sehr geradlinigen Handlung. Trotzdem war die Kritik voll des Lobes, nicht nur über die tolle Technik, sondern auch über die tolle Botschaft. „Der Mensch ist das schlimmste Raubtier von allen“. Ah ja. Kalenderblatt lässt grüßen.

Atomic Blonde
Spielt im Berlin der 80er. Cool. Bzw. hätte cool werden können, wenn man sich ansatzweise ein bisschen Mühe gegeben hätte und nicht die ganze Energie auf ermüdende Kampfsequenzen der Superlative gerichtet hätte. Ja ja, die ungeschnittene Kampfszene im Treppenhaus. Beeindruckend. Aber Jahre nach Brian de Palma und "The Raid" eben auch nicht mehr wirklich neu. Und wenn der Rest des Films darum sowohl belanglos als auch schlampig bis lieblos ist, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig. Ich verweise nur mal auf den Soundtrack, der wirkt, als habe jemand in der Mittagspause mal kurz den „Best of 80s“-Sampler vom Wühltisch zufallsmäßig durchgeskippt und fertig war die Laube. Ein Film als Produkt, insgesamt ziemlich unsympathisch.

Girl on the Train
Vermutlich hätte ich das Buch nicht vorher lesen sollen. Denn von Paula Hawkins' abgründigem Roman mit einer unzuverlässigen Erzählerin, der der Leser irgendwann auch nur noch schwer vertrauen kann, ist in dieser straighten Krimiverfilmung nicht mehr viel übrig. Konventionell und entbehrlich.

Der junge Karl Marx
Don‘t get me started. Da kann auch August Diehl nichts mehr retten. Der arme Marx als Kostümschinken für lesefaule Schüler und tüttelige Rentnerinnen. Gut gemeint, aber so typisch deutsch gemacht, dass man nur die Hände vor's Gesicht schlagen kann, wenn man nicht schon auf der Hälfte dieses überlangen Lehrstücks eingeschlafen ist. Öde, langweilig, überflüssig.


DVD-Entdeckungen:

Midnight Special
Wie "E.T." ohne diesen hässlichen, kleinen Außerirdischen. Oder wie dieses Jugendbuch "Die Kinder vom anderen Stern" aus den Siebzigern, falls das noch einer kennt. Hat mich damals schwer beeindruckt. Immer noch nicht überzeugt? Na gut: Michael Shannon in einem Jeff-Nichols-Film. Muss ich noch mehr sagen?


A Hijacking
Tobias Lindholm - ein Name, den man sich merken sollte. Extrem spannend und sehr realistisch erzählt der Film des besagten Herrn, wie ein dänischer Frachter von somalischen Piraten gekapert und um das Lösegeld gepokert wird. Dabei werden alle Perspektiven beleuchtet, die Beweggründe aller Beteiligten nachvollziehbar – und somit die ganze Tragweite von etwas deutlich, das man aus den Nachrichten seit Jahren kennt, ohne sich vermutlich jemals darüber Gedanken gemacht zu haben, was es für die Betroffenen bedeutet.


A Serious Man
Da meine Liebe für die Coen-Brüder über die Jahre mehr und mehr abgekühlt ist, ist mir dieses Juwel im Kino durch die Lappen gegangen. Dabei ist "A Serious Man" Coen-Brüder in Reinform. Düsterer, lakonischer Humor, schräge und oft wenig sympathische Typen in der Provinz und eine Hauptfigur, für die alles schiefgeht. Jerry Lundegaard lässt grüßen. Wobei hier an sich die biblische Hiob-Geschichte erzählt wird, aus Religionslehrersicht durchaus ernstzunehmend, aber zugleich als Fest für den Coen-Brüder-Freund. Ich hatte wirklich sehr viel Spaß.


Höhere Gewalt
Ein Familienvater ruiniert seine Ehe, als er im Moment einer scheinbaren Lawinenkatastrophe nicht zuerst an seine Familie denkt, sondern an sich selbst. Interessante Prämisse, die in der Geschichte zum Glück zunehmend skurril durchgespielt wird, so dass bis zum Ende keine Langeweile aufkommt.


Side Effects
Steven Soderbergh kann's noch. Es beginnt wie eine Satire auf den Medikamentenwahn unserer Zeit, in der es für jeden stressbedingten Tick ein Mittelchen gibt, und wendet sich dann zu einem Mystery-Thriller im Hitchcock-Stil. Spannende, gehobene Unterhaltung für Erwachsene mit exzellenten Darstellern.



Wiedersehen machte Freude:

El Cuerpo - The Body




Mörderland – La Isla Minima





Fanden alle super, habe ich endlich nachgeholt und war sehr begeistert:

Searching for Sugarman




Prisoners




Spotlight




Rush




Audition


Und dann gab es ja auch noch das Fantasy Filmfest, doch dazu beim nächsten Mal mehr.

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