01 Lusts: Mouthwash
Wie ich auf Lusts
gekommen bin, kann ich nicht mehr sagen. „Quelle: Internet“, ist alles, was ich
noch weiß. Und „Mouthwash“ war der erste Song, den ich von diesem Duo hörte. Es
folgte ein feines Album, von dessen Existenz so wenige Leute etwas mitbekommen
haben, dass eines von zwei in Deutschland geplanten Konzerten gar nicht erst
stattfand. Mich begeistert die Mischung aus 80er-Wave-Sound, Britpop-Euphorie
und unverschämter Eingängigkeit. In einer besseren Welt ein echter Top-10-Hit.
Hier eine
Liveversion vom Reeperbahnfestval:
02 Motorama: Red Drop
Mir nahestehende Menschen
litten im ersten Halbjahr 2015 vermutlich schwer unter meinen unablässigen
Lobpreisungen Motoramas. Totale Verblendung vermutlich, da auch mir mit etwas
zeitlicher Distanz klar wurde, dass das 2015er-Album „Poverty“ nicht an die
beiden Vorgänger heranreichen konnte. „Red Drop“ ist dennoch ein weiterer Song,
der alles beinhaltet, was ich an dieser Band liebe: den klaren, dominanten
Gitarrensound, den melancholischen Gesang, das Spannungsverhältnis von
Rastlosigkeit und Harmonie, die bewusst unperfekte Schönheit dieser Musik.
03 Other Lives: 2
Pyramides
Da streben Other
Lives schon eher nach Perfektion und betreiben ein entsprechend kalkuliertes
Songwriting. Mit Erfolg, denn meinen anfänglichen Widerwillen, das Lied zu
mögen (zu kalkuliert), habe ich inzwischen abgelegt. Dazu hat eventuell der
Auftritt der Band auf dem letzten Phonopop-Festival beigetragen, denn live klingt
das Ganze noch besser, wie man hier sehen kann:
04 Balthazar: Bunker
Uneingeschränkter
liebe ich aber Balthazar. Auch das „schwierige dritte Album“ hatte mal wieder
so viele Hits, dass meine einzige Schwierigkeit darin bestand, einen Song für
diese Zusammenstellung auszuwählen. „Nightclub“, „Decency“, „Then What“ oder „I
Looked For You“ hätten problemlos auch ihren Weg hierher finden können, „Bunker“
wurde es letztlich, da der Song die Stärken der Band voll ausspielt: den
mehrstimmigen Gesang, das Vermischen von klassischer Indie-Instrumentierung und
Synthesizer-Sounds (im Live-Arrangement um eine Violine ergänzt), die
scheinbare musikalische Leichtfüßigkeit mit ihren düsteren Untertönen. Mir
nahestehende Menschen litten im zweiten Halbjahr 2015 vermutlich schwer unter
meinen unablässigen Lobpreisungen Balthazars. Aber wenn eine Band ein
100-Minuten-Konzert spielt und ich nur bei einem Lied kurz denke, dass sie das
auch gut und gerne hätten sein lassen können, dann kann man da schon von einer
Lieblingsband sprechen.
05 Von Spar: V.S.O.P.
Das vielgelobte
Von-Spar-Album „Streetlife“ aus dem vergangenen Jahr habe ich mir erst dieses Jahr
im Spätprogramm des Mannheimer Maifeld Derbys erhören können. 10 Jahre sind
seit dem wunderbar krawalligen „Ist das noch populär?“ vergangen, und die Musik
der Band ist nicht wiederzuerkennen. 80er-Elektronik ist der rote Faden, mal
eher im Hintergrund, wie bei dem fast schon als Discohit bezeichenbaren „Chain
of Command“, mal dominierend, wie in dem verspielt-abstrakten „Hearts Fear“. „V.S.O.P.”
verbindet die beiden Pole und beginnt zugänglich wie ein Popsong, nur um sich
in seinem weiteren Verlauf zu einem Instrumentaltrack zu entwickeln, der an die
guten John-Carpenter-Soundtracks erinnert. Das war übrigens auch live ganz
toll, auch wenn den angeschickerten Partypeople des Festivals definitiv der
Abgehbums gefehlt hat. Wohl dem der hormonell gefestigt ist.
06 Mike Simonetti: The
Magician (from the motion picture “The Guest”)
Wo wir doch gerade
bei Soundtracks waren. Der an sich recht simple Horrorthriller „The Guest“ lebt
vor allem von Setdesign und Soundtrack. In „The Magician“ hört man das Böse
förmlich langsam, aber unaufhaltsam auf einen zumarschieren. Fans von Old-School-Zombies
bis „It Follws“ wissen, wovon ich rede, und Mike Simonetti weiß es auch. Ich verstehe
alle, die hier die Nase rümpfen und mit erhobener Augenbraue darauf verweisen,
dass „Drive“ jetzt auch schon ein paar Jährchen her und es mit dem 80er-Jahre-Retroschick
auch mal wieder gut ist. Mag sein. Ich habe dennoch nichts gegen diesen Nachschlag.
07 Bilderbuch: Maschin
Muss ich zu
Bilderbuch noch etwas sagen? Ich verweise einfach nur auf Linus Volkmann, der, wie so oft, Recht hat. Und wenn ich mich festlegen müsste, wäre das hier mein
Song des Jahres.
08 Francis: Horses
Kleines
Kontrastprogramm zum dick aufgetragenen Bilderbuch-Sound und der letzte Song,
der es auf die Jahrescharts geschafft hat. Francis habe ich vor Jahren mal im Offenbacher
Hafen 2 gesehen, eine schwedische Band, die ihr Ding macht und ihre Musik mit
Herzblut produziert und spielt. 2016 kommen sie wieder, mit neuem Album; ich
plane, dabei zu sein und freue mich an dieser Stelle schon mal vor.
09 Zoot Woman: Silhouette
Bei Zoot Woman
wusste ich ja jahrelang nicht so recht, was ich von ihnen halten soll. Jedes
Album enthält ein paar Überhits und viel Leerlauf. So ist es sicherlich auch
mit dem aktuellen Album „Star Climbing“, und „Silhouette“ ist nicht einmal so
ein großer Wurf wie „Grey Day“ oder „We Won’t Break“. Aber Zoot Woman haben im Frankfurter
Zoom eines der für mich nachhaltigsten Konzerte des Jahres 2015 gespielt. Große
Sounds auf kleiner Bühne, auch hier wieder gelungene 80er-Jahre-Referenzen (ja,
sorry…) und eine Setlist vom Feinsten. Gäbe es eine LiveLieblinge-CD, wären
Zoot Woman garantiert dabei; gibt es aber nicht, daher eben an dieser Stelle.
10 Erlend Øye: La prima estate
Erlend Øye habe ich
nach 2012 aus den Augen verloren, da ich ihn in diesem Jahr mit The Whitest Boy
Alive einmal zu oft als unsympathischen Großkotz auf einer Bühne erleben
musste. Bezeichnenderweise wurde dieses Projekt wohl auch kurz darauf auf Eis
gelegt und bereits 2013 entstand „La prima estate“, ein wunderbar entspanntes Stück
Sommermusik, das ich auf dem wunderbar entspannten sommerlichen Phonopop Festival
erstmal zu hören bekam. Hier konnte ich meinen Frieden mit dem Mann machen, dem
der Umzug von Berlin nach Sizilien sichtlich gut getan hat. Dass keiner der
Songs seines letzten Albums „Legao“, das ich mir nach dem positiven
Livererlebnis zugelegte, hier gelandet ist, sondern „La prima etsate“, liegt an
meiner lieben Tochter Luise, die das Video zu dem Lied zu ihrem Lieblingsvideo
erklärt hat und es mehrmals die Woche mit dem Schlachtruf „Manmi-briehlle!“ (meint:
„Mann mit Brille“) einfordert. Also dann: „Vai, vai, vai, vai“ und „Günther!
Windrad!!“ (Nein, das muss man nicht verstehen).
11 Thomas Dutronc: Allongés dans l’herbe
2015 gab es den
ersten Sommerurlaub in Frankreich seit 2011 und insofern viel schöne, neue
französische Musik. Ein Dreierpack findet sich hier wieder, und den Anfang
macht Thomas Dutroncs dynamischer Sommersong zum Thema Heiraten. Wie passend im
Jahr 2015.
12 Marc Lavoine: J’ai vue la lumière
Französischer als
Marc Lavoine geht es kaum. Bereits 2012 entstand „J’ai vue la lumière“, ein
Lied, bei dem ich, wie bei vielen Liedern Lavoines, gar nicht sagen kann, warum
es mir so gefällt. Ich vermeide bewusst das Wort Song, denn Chanson trifft es
hier eher, und Marc Lavoines Chansons werde ich vermutlich für immer mit
Autofahren bei offenem Fenster in Südfrankreich verbinden; mit Sommer, Sonne
und Sorglosigkeit.
13 Dieselle: Magic Key (version française)
Und da kann ich doch
gleich noch mal den peinlichen Lieblingssong des Jahres nachschieben.
Chartmusik, bei der ich im deutschen Kommerzradio und auf Englisch vorgetragen
vermutlich die Nase rümpfen würde. Aber wenn man den Song jeden Morgen im
Urlaub bei Croissant und Milchkaffee hört, dann ist er positiv konnotiert und
gesellt sich im Gehirn schamlos als schön zu der Musik, für die man sich nicht
zu schämen braucht.
14 Ghostpoet: X Marks the Spot
Nein, nicht nur zur
Rettung des Renommees, sondern weil mir Ghostpoets Album „Shedding Skin“
(Mercury Prize – Albums of the Year 2015, soviel zum Thema Rennomee (zwinkersmiley))
tatsächlich extrem gut gefällt. Auch hier mal wieder ein Künstler, dessen Musik
sich mir über ein Konzert erschlossen hat. „Komplett Aggressions- und
Machismo-freie HipHop-Blues-Poesie“ schreibt der SPEX-Fachmann und bringt auf
den Punkt, warum ich diese Musik mag.
15 Diagrams: Gentle
Morning Song
Zack, da ist wieder
so ein lässiger Superhit von Sam Genders alias Diagrams. Waren es 2012 „Ghost
Lit“ und „Tall Buildings“, ist es dieses Jahr „Gentle Morning Song“, bei dem man
sich fragt, wo so ein perfekt harmonischer Song herkommt. Wurde mir auch nach
zahllosem Hören nicht überdrüssig.
16 Get Well Soon: Careless Whisper
Ein weiterer Geniestreich
des Herrn Gropper. Einer der schlimmsten, schleimigsten und schmierigsten Songs
der 80er-Jahre wird von Get Well Soon als Paranoia-Pop neu interpretiert. Tempo
raus, neurotischen Gesang und düstere Melodramatik-Instrumentierung rein und
schon ist das Lied gut hörbar, und im Wissen um das schwer erträgliche Original
eben besagter Geniestreich.
17 Wanda: Bleib wo du warst
Die dürfen im Jahr
2015 natürlich auch nicht fehlen. Und bei Wanda hätte es auch noch einige
andere passende Songs gegeben: „Meine beiden Schwestern“, „Stehengelassene
Weinflaschen“, „Auseinandergehen ist schwer“ oder eben gleich direkt „Bologna“.
Da mir Wanda im vergangenen Jahr durchgegangen sind, hatte ich im Jahr 2015
gleich die große Auswahl aus zwei Alben. „Bleib wo du warst“ bringt für mich
das Faszinosum der Band auf den Punkt: handgemachte Rockmusik, die einen nicht
peinlich berührt, und alkoholgeschwängerte Mitgröhltexte, die so abstrakt bleiben,
dass einen der Verstand nicht am Mitgröhlen hindert. Ein Hype des Jahres, dessen
Teil ich gerne war (so wieder Typ, der im untenstehenden Video bei 1:05 Min. die Bühne erklimmt).
18 Deichkind: Denken Sie groß
Diese Herren hatte
ich in den letzten Jahren ja etwas abgeschrieben, nachdem nur noch die Buddel
peng machte und Offensichtliches wie die Tatsache, dass Arbeit nervt festgestellt
wurde. Aber sie haben schon recht: wenn man nach einiger Zeit mal wieder „So ´ne
Musik“ hört und diese noch dazu textlich zu alter, ironischer Hochform aufläuft,
dann kann man Deichkind auch wieder mögen.
19 Fink: Pilgrim
Neben Von Spar und Ghostpoet
meine dritte große musikalische Entdeckung des diesjährigen Maifeld Derbys. Der
aus der elektronischen Ecke stammende Herr Fink überträgt Trackstukturen in die
musikalische Ecke Folk/Blues/ Songwritertum, in der er sich heutzutage bewegt, und
lässt grandiose, dramatische Stücke, wie dieses entstehen. „From small
beginnings to big endings“ eben.
20 – Die Sonne: Kriege (live at Hamburger
Küchensessions)
Die Zusammenstellung
von 2015 endet da, wo die von 2014 begann. Ein bisher unveröffentlichtes Stück
der Wolke-Nachfolge-Band Die Sonne, das einmal mehr die grandiosen Qualitäten
von Sänger und Texter Oliver Minck offenbart. Worte und Musik kommen so harmlos
daher, konfrontieren einen Zuhörer, der wirklich zuhört, aber eigentlich mit der
Frage, ob er lieber Wutbürger oder Biedermeier sein will, ob er die Augen
lieber auf macht oder den Rolladen runter. Und bei so einer Frage kann man am
Ende des Jahres 2015 eigentlich nur schwer schlucken.
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