Dienstag, 3. Januar 2012

Das war 2011 - Die Konzerte


I. Frühjahr

Die Konzertsaison 2011 begann eher gemächlich. Schon im Januar gab es allerdings mit dem unverwüstlichen – aber leider nach wie vor nicht sonderlich erfolgreichen – Nils Koppruch einen echten Höhepunkt. In einem gut versteckten Darmstädter Kellerloch spielte der Mann mit Band sein exzellentes Solomaterial. „Caruso“ fand den Weg auf die Konzertlieblinge, ein anderes Lied, für das man ihn lieben muss, ist dieses:

Und wo wir gerade bei den deutschen Songwritern sind: Erdmöbel überzeugten auch vor – dank des Feuilleton-Hypes um die „Krokus“-Platte – (etwas) größerem Publikum, das sie mit dem Rythmusinstrument Streichholzschachtel auf sympathische Weise ins Geschehen einbanden. Das spirituelle Erweckungserlebnis des Liedes „Das Leben ist schön“ erwähnte ich ja schon an anderer Stelle. Bewährt schön.

Weniger erfreulich war das Wiedersehen mit Sven Regner und Element of Crime. Im völlig überfüllten Mannheimer Capitol musste man sich erst einmal durch das Jungmädchengeklampfe einer Dame mit dem passenden Namen Maike Rosa Vogel quälen, bevor die älteren Herren ihre routinierte Show boten. Alles wie immer, nur dass das Publikum plötzlich zu 75% aus Idioten zu bestehen schien. Und das in meinem geliebten Mannheim! So stand direkt hinter mir etwa ein Mittdreißiger, der eine mitgebrachte Dame Anfang 20 von der Qualität der Truppe auf der Bühne zu überzeugen versuchte, in dem er jedes Lied als das beste der Band anpries und dann auch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, text- aber nicht tonsicher mitsang. Ob die Dame die Inbrunst mitbekam, ist unklar, da sie nur selten von ihrem I-Phone aufblickte.

The Go!Team hingegen bestätigten im März in der Frankfurter Brotfabrik meinen guten Eindruck vom Bootboohook-Festival 2010. Auf Platte ist die musikalische Endorphinexplosion quasi unhörbar, aber live kann man sich dem Charme der überdrehten Combo nicht überziehen. Ein Konzert, auf dem sich alle bewegten, und die, die das nicht taten, persönlich von Sängerin Ninja zu mehr Aktivität angehalten wurden. Ach, und weil ich sie so liebe, hier noch mal das entzückende Video, mit dem alles begann:

Andere Sympathieträger des ersten Halbjahres waren Tahiti 80, die im Heidelberger Karlstorbahnhof eine engagierte Show boten – und bei denen ich mich immer frage, was zu einem Erfolg à la Phoenix fehlt, I Like Trains, die an gleicher Stelle eher klassischen Britpop spielten, Ginger Ninja, die an anderer Stelle schon Erwähnung fanden und die Band mit dem spitzenmäßigen Namen The Horror The Horror.

Zu ihnen schrieb ich bei TwoTickets Folgendes:

„Skandinavische Band, erschienen bei Tapete-Records und fantastischer Bandname. Da konnte ja eigentlich nichts schiefgehen. Ging es auch nicht. The Horror The Horror, eine Rockband, die die schlimmsten Rockbandklischees - posenden Sänger und nervende Soli - gekonnt umschifft und Songs zu bieten hat, die zwar meist eingängig, aber nie eindimensional sind. Soundmäßig gelingt es der Band zudem ein Retro-Gefühl zu erzeugen (man denkt an Gitarrenbands der 60er), ohne angestaubt oder abgeschmackt zu klingen. Laut meiner (weiblichen) Begleitung sahen die Jungs auch noch gut aus. Na also. Dann war ja für jede(n) was dabei.“

Der größte Sympathieträger des ersten Halbjahres war aber sicherlich Gruff Rhys, der mit seinem lässigen Auftritt einen Kurztrip nach Wien veredelte. Humor und Musik gehen einfach doch zusammen. Wie man auch hier sieht:

Und zum Mitsingen auf Walisisch wurde ich bisher auch noch nie angehalten. Geht aber, zu diesem Lied nämlich:

Eher unsympathisch waren dagegen die sich sehr wichtig nehmenden Musiker der Band Archive, die ihren Progressive-Rock im schick renovierten Karlsruher Substage professionell, aber humorlos und recht wichtigtuerisch zum Besten gaben. Noch unsympathischer waren da nur die blöden Soli auf dem Bonobo-Konzert in Darmstadt. Aah! Ein mehrminütiges Schlagzeugsolo? Ja, bin ich hier bei Kiss gelandet?!

Und komplett vergessen habe ich ja eine andere Band, die ich im Jahr 2011 ganz toll fand und die ich gerade auf meinem Kalender wieder entdecke. Samba, über die ich Folgendes schrieb:

„15 Jahre gibt es Samba schon, 15 Zuschauer waren auf dem Konzert der Band im Frankfurter Bett. Dass die Band trotzdem Spielfreude verströmte und sich zu zwei Zugabenblöcken herausklatschen ließ, spricht für sie. Die Musik klang super, die Songauswahl war exquisit. Songs des neuen Albums wurden mit "Klassikern" gemischt. "Aus den Kolonien" klingt auch live fantastisch und ist einfach einer der schönsten Indiepoposongs ever; "FCKW" habe ich zum ersten Mal seit 10 Jahren gehört, und der Song packt mich immer noch. Ein großartiges Konzert einer großartigen Band, die wohl ein ewiger Geheimtipp bleiben wird.“

Und weil ich sie an anderer Stelle vergessen habe, hier noch ein Klassiker:


Auf der CD sieht das erste Halbjahr dann so aus:

01 Nils Koppruch – Caruso

02 Tahiti 80 – Big Day

03 The Horror The Horror – Wilderness

04 Gruff Rhys – Shark In The Water

05 I Like Trains – A Father’s Son


II. Festivalsommer

Der Auftakt des Festivalsommers geriet etwas zahnlos, da die Hipster von Who Made Who an einem Sonntagnachmittag auf dem Mainzer Alt-Hippie-Festival “Open Ohr” etwas fehl am Platz waren. Die anwesenden Halbtagsjongleure und Stelzenläufer konnten sich eher mit den im Anschluss aufspielenden französischen Multikulti-Percussionisten anfreunden als mit den seltsam agierenden Dänen.

Wesentlich ergiebiger war da das Rüsselsheimer Phonopop-Festival, an dem eine Sensation die nächste jagte. Hier gaben sich die bereits gewürdigten Hundreds, Bodi Bill, Junip und Future Islands die Ehre.

Ein angenehmes Wiedersehen gab es mit Kante, die wohl im Interesse eines geregelteren Musikerdaseins inzwischen vor allem an Theaterinszenierungen mitwirken. So gab es eine Art Best-Of-Konzert, von dem mir vor allem „Warmer Abend“ im Gedächtnis blieb, vermutlich weil es... nun ja... ein warmer Abend war.

Der Partyact schlechthin waren The World Friendship Inferno Society, die bestimmt mehr als einmal die Rocky Horror Picture Show gesehen haben und, adrett gekleidet, eine Mischung aus Ska, Punk und Rock spielten. Sympathisch auch die Isländer Who Knew und der deutsche Indie-Act Herrenmagazin, die vermutlich bei einem schwächeren Line-Up stärker herausgestochen hätten.

Schwer beeindruckend, wenn auch musikalisch nicht unbedingt auf meiner Straßenseite unterwegs, waren die mir bis dahin völlig unbekannten Two Gallants. Da sie auf keiner meiner CDs vertreten sind, sollen sie an dieser Stelle gebührend gewürdigt werden:

Familiär und entspannt war’s wieder auf dem Phonopop, dessen Charme trotz des Ortswechsels ins alte Opel-Fabrikgelände erhalten blieb. Hier geht’s um Musik und nicht darum lustig verkleidet und alkoholbenebelt die eigene Langweilerexistenz etwas aufzuwerten. Ein Festival meines Vertrauens, das Blinde-Kuh-Ticket für 2012 ist bereits gekauft.


Ein unerwartetes Glück folgte dann in Südfrankreich. Mit den Chemical Brothers unterstützt von Metronomy, Crystal Castles und The Do hatten die Arènes de Nîmes das perfekte Line-Up für ein Sommer-Open-Air.

The Do (sprich: ze dou) wussten mit Indie-Charme zu gefallen, auch wenn die alten Songs leider die besseren sind. Crystal Castles hinterließen den Eindruck, als würden sie sich auf kleinen Bühnen wohler fühlen. Und als hätten sie ein anderes Wärmeempfinden, denn der dicke Kapuzenpulli wirkte an einem lauen Sommerabend in Südfrankreich dann doch etwas... naja... affig.

Metronomy sind in Frankreich ja fast schon so was wie Stars. Kaum zu glauben, dass sie sich – trotz Muttersprachler-Quote – in die beschränkte Clip-Auswahl des französischen Musikfernsehens eingeschlichen haben und man sie kennt. Entsprechend euphorisch wurde das Konzert begleitet, und die Euphorie war verdient, lieferte die Band doch ein perfektes Konzert. Hier ein Foto aus eigener Hand. Man beachte die leuchtenden Herzen:














Es folgte die totale Überwältigung. Anderthalb Stunden Chemical Brothers fühlen sich an wie anderthalb Stunden Zirkeltraining für die Sinne. Optisch wie akustisch vehement und mitreißend. Das Set war eine ausgewogene Mischung aus Klassikern wie „Block Rockin’ Beats“, „Hey Boy Hey Girl“ oder „It Began In Africa“ und dem Besten aus „Further“, und die perfekte Kulisse für kaum zu übertreffende Visuals. Eine sauber gefilmte Kostprobe:




Mein zweites Lieblingsfestival ist ja seit letztem Jahr das Bootboohook-Festival in Hannover.

Zentral in Hannovers Innenstadt gelegen (ab nächstem Jahr leider nicht mehr wegen ein paar unvermeidlicher Wut-Nachbarn), auf einem überschaubaren Gelände und musikalisch stark vom geschmackssicheren Tapetelabel beeinflusst – was kann da schiefgehen? Nichts.

Auch wenn mit Wir sind Helden und Frittenbude zwei Headliner gewählt wurden, auf die ich gut hätte verzichten können. Erstere gehen mir durch Judith Holofernes Mädchengetue seit je her auf den Keks, letztere bestätigten meine Vorbehalte, dass es sich bei der Combo um die Atzen für linksdenkende Menschen handelt.

Überhaupt war es von den großen Namen vor allem Sophie Hunger, die beeindruckte. Die ansonsten eher unter Jazz gehandelte Sängerin freute sich wie Bolle, auf einem Rockfestival zu spielen. Ihre Begeisterung war ansteckend, ihre Songs und ihre Stimme können ohnehin nur begeistern.

Ob man Art Brut noch zu den großen Namen zählen darf, muss leider bezweifelt werden Zwar versammelte sich zum Konzert vor der Bühne allerlei Partyvolk, doch als bei „My Little Brother“ nur ca. 5 Menschen in den ersten Reihen textsicher mitgröhlten, während der Rest der meist noch schulpflichtigen Partymäuse verdattert auf die hemmungslos schmetternden Rock-Opas (30+) starrte, offenbarte sich, dass das Haltbarkeitsdatum dieser Band vermutlich bald erreicht ist.

Ansonsten tummelten sich auf der großen Bühne die bewährten Junip (ein weiteres Mal verzaubernd), die etwas eingerostet und unsicher wirkenden Get Well Soon und eine Hype-Band namens New Young Pony Club, die als das Go!Team anno 2011 gehandelt wurden, sich aber als modische Luftnummer entpuppte, nach der im Jahr 2012 kein Hahn mehr krähen wird.

Ach, und dann gab’s ja noch Thees Uhlmann. Na klar. Ne sympathische Type. Aber diese Songs! Nun waren ja schon Tomte mit keiner großen musikalischen Bandbreite gesegnet und dass Uhlmann diesen Stiefel auch unter neuem Namen weiterfährt, sei ihm nachgesehen. Never change a winning concept. Die Texte, in denen das Glück einer Jugend in der Provinz besungen wird, jedoch nicht. Diese treiben jedem Bausparer Tränen der Rührung in die Augen und sind an Miefigkeit kaum zu übertreffen. Hilfe, schnell weg.

Am besten zu den kleineren Bühnen in den beiden Hallen. Hier konnte z. B. man die bereits gelobten Samba noch mal sehen und die schrägen Schwefelgelb neu kennenlernen. Ein weiterer Live-Höhepunkt war die schwedische Gitarrencomco Ef, die epischen Progressiverock spielte und ihre Zugabe mit den Worten einläuteten: „They allowed us to play one more song. They don’t know that our songs are fifteen minutes long”.

Ebenfalls erwähnenswert war das Kontrastprogramm zu Wir sind Helden. Transmitter kamen so hübsch prollig und street-style-mäßig rüber, dass ich erst dachte, hier hätte sich ein frisches Londoner Undergroundprojekt eingefunden. Dass die Jungs aus Hannover kommen und schon seit ein paar Jährchen unterwegs sind, spricht entweder für sie oder gegen mich. Egal wie, ein top Partyact.

Ruhiger ging es bei The Grand Opening (Minibühne am späten Samstagnachmittag) und Christian Kjellvander (große Bühne am Sonntagnachmittag) zu. Zwei Herren, die mit ihren Gitarren verwachsen erscheinen und wissen, was sie machen. Schöne Musik nämlich, die einen nach solchen Party-Hibbeln wie Schwefelgelb oder Transmitter wieder etwas erden.

Bleiben noch ein paar Elektronik-Opas zu erwähnen. Während der Pyrolator mit seinen sphärischen Bewegungen, die eher an Tai Chi zum Mitmachen erinnerten, nur hartgesottene Kenner beeindrucken konnte, gelang es den Elektro-Urgesteinen von Kreidler in Bandbestzung ein bleibendes Konzert hinzulegen. Ich erwähnte es bereits.

Sehr schön war’s wieder. Lauter nette Menschen aller Altersgruppen, die perfekte Größe und – er sollte nicht unerwähnt bleiben – ein Moderator, der gute Laune versprühte. Tele-Sänger Francesco Wilking sagte (solange er konnte) jeden Act auf die ihm eigene charmante Weise an, was ihm vor Sophie Hunger ein paar gezischte „Schwätzer“-Zurufe einbrachte, mich aber stets erheiterte. Er allein ist schon ein Grund 2012 wiederzukommen.


Das Destillat auf der CD:

06 The Grand Opening – In The Midst Of Your Drama

07 EF – Sons Of Ghosts

08 Art Brut – Lost Weekend

09 Christian Kjellvander – Transatlantic

10 Transmitter – Pull The Trigger

11 The Chemical Brothers – Horse Power

12 Kante – Warmer Abend

13 Sophie Hunger – 1983


III. Konzertherbst

Was soll das heißen, „da war ich aber auf vielen Konzerten“?

Jetzt geht’s doch erst los! Nicht zuletzt der Kooperation von TwoTickets mit dem Offenbacher Hafen 2 und dem Frankfurter Bett ist es zu verdanken, dass der Konzertherbst 2011 extrem ergiebig war.

Das Frankfurter Bett hat sich dabei zu meinem Lieblingsclub gemausert, und warum hatte ich auch mal bei TwoTickets gepostet, so dass ich mich an dieser Stelle mal wieder selbst zitiere:

"Ich möchte mal ein paar positive Aspekte hervorheben: 1.) Die Konzertauswahl ist vielfältig und meist geschmackssicher. Die Wahrscheinlichkeit, eine außergewöhnliche Band zu sehen und den eigenen Musikgeschmack zu erweitern, ist bei einem Besuch des "Bettes" ziemlich groß. 2.) Der Sound ist stets optimal und auf den jeweiligen Musikstil angepasst. 3.) Die Leute sind ausgesprochen angenehm. Die Barfrau schenkt einem stets ein entzückendes Lächeln; der Chef bittet das Publikum persönlich herein, wenn's losgeht und sagt nach dem Konzert auch schon mal durch's Mikro, dass man doch noch ein wenig weiter applaudieren solle, damit es noch eine (weitere) Zugabe gibt."

Zu sehen gab es so unterschiedliche Bands wie die bereits gerühmten Talking To Turtles, Austra und Kellermensch. Locas In Love sorgten für ein etwas volleres Haus, ebenso wie Turbostaat und Kreidler.

Ganz außergewöhnlich ging es bei den ziemlich übermüdeten Mr Meeble zu (man war wohl per Kleinbus aus Portugal angereist und hatte schlechte Erfahrungen mit dem Couchsurfing gemacht). Nach holprigem Beginn, bei dem die Technik versagte, gab es eine Licht- und Lasershow, die das trippige der Musik der Band hervorragend unterstrich. So sah das dann aus:

Außergewöhnlich war auch der Auftritt der britischen Waver Vendemmian. Zwei betrunkene ältere Herren hangeln sich durch einen Dreiviertel-Playback-Gig und fahren den letzten Rest von Karriere an die Wand. Das war schon so übel, dass sie sich einen Platz auf der Souvenir-CD verdient haben.

Nicht ganz so schlimm lief es bei Josh Ottum, der aber als Ein-Mann-Band am eigenen Anspruch scheiterte und live seinen eigenen Arrangements hinterherlief, wie man leider vor allem beim bereits erwähnten, an sich grandiosen „Fool In The Night“ feststellen musste.


Im Hafen 2 waren die Junior Boys selbst grippegeplagt noch Premier League. Ganz im Gegensatz zu Console, deren Kopf Martin Gretschmann natürlich ein echter Sympathieträger ist und der als DJ überzeugend sein eigenes Vorprogramm bestritt. Sein aktueller Hang zur Ambient-Musik nahm mich allerdings nicht mit auf die Reise, sondern ließ mich etwas gelangweilt stehen. Da konnten mich die auch eher entspannt elektronisch musizierenden Electric Ocean People mehr für sich einnehmen, so sehr, dass ich sie hier noch mal explizit feature und auf das schöne Artwork zu Beginn des Videos verweise:

Wesentlich dynamischer hätte es bei Der Tante Renate zugehen können, wenn da mal mehr als 20 Besucher gewesen wären. Dachte ich zu Beginn noch, die überwiegend jungen Menschen würden schon abgehen, wenn’s drauf ankommt, erwies sich gerade ein Überfan im Audiolith-T-Shirt als doofer Klugscheißer und Partypooper, der mit Kommentaren wie „Ey, das kenn’ ich, das hast du schon mal in Berlin gespielt“ (Replik des Künstlers: „Nein, das kannst du nicht kennen, das ist neu.“) für ordentlich beklemmende Atmosphäre sorgte. Nichtsdestotrotz muss man den elektronischen Alleinunterhalter lieben, der seine gute Laune nicht verlor und auch ein Komplettversagen seiner Gerätschaften mit norddeutscher Gelassenheit nahm (ordentlich drauf klopfen hilft immer). Und so hatte ich es mir eigentlich vorgestellt:

Und schließlich gab es ja noch so ein Event mit elektronischer Musik. Roedelius und Schneider, zu denen ich mich mal wieder selbst zitiere:

„Ein Konzert der anderen Art. Zwei reifere Herren; der eine schraubte ausschließlich an Knöpfen, der andere pendelte zwischen Piano und I-Pad. In guten Momenten verdichteten sich die Sounds zu atmosphärischen Elektro-Tracks, dazwischen gab es aber auch - für meinen Geschmack zu lange - Phasen mit Toncollagen, bei denen es vor allem knisterte, rauschte und fiepte. Der eine Teil des Publikums lauschte in Bewunderung, dem anderen stand die Langeweile ins Gesicht geschrieben. Als Zugaben gab's einen von Hans-Joachim Roedelius vorgetragenen apokalyptischen Kirchenliedtext aus dem Jahr 1666 sowie einen Song den Roedelius nach eigener Aussage mit Brian Eno geschrieben hat und der sich als 2-minütige Klavierimprovisation entpuppte. Außergewöhnlich.“


An anderen Orten gab es dann noch

die Bundesvision-Songcontest-Teilnehmer Auletta, zu deren „Zünd dein Leben an“ man im alkoholisierten Zustand hervorragend mitgröhlen kann;

die US-Rocker Blue October, auf deren Konzert mich besonders ein Schnurrbart- und Dauerwellenmattenträger mit dem T-Shirt „Uffbasse, Monnemer“ beeindruckte (stand schräg hinter mir, kein Musiker);

die bereits erwähnten The Rapture, bei denen ich zu meiner großen Freude einen Karlsruher Autor und Szenetycoon wiedertraf (der auch den wunderbaren, an anderer Stelle verlinkten Text zu dem Konzert geschrieben hat);

die alternden dEUS, die ich jetzt langsam nicht mehr vor ihren Kritikern in Schutz nehmen kann, da dieser dunkelhaarige Gitarrist so ein idiotischer Rockstar-Poser ist und sie jetzt auch „Suds & Soda“ nicht mehr spielen;

die Mediengruppe Telekommander, die Bewährtes boten und leider eher ein männliches Publikum mit Testosteronüberschuss und Wut auf die politischen Umstände anziehen;

den Britpopper Steve Craddock, der seinem Britpopper-Publikum das bot, was es wollte: Britpop;

eine Band namens Retro Stefson, die man getrost als die isländische Variante Kakkmaddafakkas bezeichnen kann und die live für beste Stimmung sorgen;

den Überhipster Gold Panda, der so überhip ist, dass sich 80% des Publikums mit dem Hipster im Hintergrund fotografieren lassen musste.

Das war im Wiesbadener Schlachthof, wo ich auch Nils Koppruch noch einmal sah – leider wieder nicht vor mehr Publikum – und wo mir – vor vollem Haus – Kakkmaddafakka wiederbegegneten. Und die sind einfach nur toll. Großartige Musik, großartige Show, die Gogo-Tänzer in ihren Turnhöschen wieder dabei. Da wurde problemlos der Kontakt zum Publikum hergestellt, da sprühte jugendliche Energie nur so durch den Raum. Immer immer wieder gerne!


Bleiben wir bei den Superlativen.

Peterlicht im Frankfurter Mousonturm – der Mann wird immer besser.

Julien Doré in der Laiterie – der Mann ist einfach nur gut (ein Sänger in allen möglichen Stilrichtungen, ein Selbstdarsteller par excellence und ein Performer, an den man sich erinnert).

Metronomy im Cocoon-Club. Ach ja: nie wieder Cocoon-Club! Es ist vermutlich der Eitelkeit der Veranstalter geschuldet, dass die ganz angesagten Indiesachen im Frankfurter Raum immer in diesem architektonisch reizvollen, aber für Konzerte komplett ungeeigneten Club landen. Die Bühne ist klein, der Boden nicht eben, so dass man Pech haben kann und die Person VOR einem eine Stufe höher steht. Es war erwartbar voll, entsprechend früh sicherte sich der erfahrene Konzertgänger sein Plätzchen, was aber diverse Szeneulknudeln nicht davon abhielt, sich im letzten Moment vor den erfahrenen Konzertgänger zu drängeln. Gönnen wir den jungen Dingern doch den Spaß, möchte man altväterlich meinen. Aber die wissen halt nicht so recht, wie Spaß geht. Da sie offenbar zuviel Blubberbrause geschlürft hatten, mussten sie während des Konzerts öfter mal Pippi, was ob des Andrangs ein schwieriges Unterfangen war, zumal ja jeder frei werdende Platz sofort gierig von einem Unglückswurm, der bisher vor einer der erwähnten Stufen stand, eingenommen wurde. Da wurde es dann eng, wenn ein Ulknüdelchen wiederkam und sich auf ihren angestammten, aber de facto nicht mehr vorhandenen Platz stellte. Und besonders doof, wenn man dann noch mal los musste, um neue Blubberbrause zu kaufen. Ach ja, und dann musste ja auch noch für eine absente andere Ulknudel per Mobilgerät deren Lieblingslied mitgefilmt werden, um es dann stante pede auf ein soziales Netzwerk zu stellen, auf dass das unpässliche Nüdelchen zeitnah auch in den Genuss des Konzerterlebnisses komme.

Ja, das war wirklich das idiotischste Publikum des Jahres.

Doch dank jahrelangen Antrainierens von stoischer Ruhe im Angesicht rumspackender Teenager gelang es mir nichstdestotrotz die Qualitäten dieser Band zu genießen. Und daher hier auch noch mal das Video des Jahres von... na, sag’ ich’s mal... der Band des Jahres.

Ganz außergewöhnlich wurde es noch einmal im Dezember, als Talking To Turtles das Rhein-Main-Gebiet ein weiteres Mal beehrten und gemeinsam mit Björn Kleinhenz und dem Duo Sir Simon ein Konzert im Spiegelsaal der Wiesbadener Walhalla spielten. Fünf Leute, drei Bands, ein Auftritt, abwechselnd Songs von allen. Tolles Konzept, tolles Konzert.

Und dann gab es noch ein Konzert, dem ich 12 von 10 möglichen Punkten geben muss. Und, es tut mir ja leid, dass ich immer wieder bei ihnen lande, aber es waren wieder mal Erdmöbel, die im Dezember mit ihrer Retrospektive-Platte noch einmal tourten. Ein letztes Mal zitiere ich mich selbst:

„17 Jahre Erdmöbel, seit der letzten Platte geliebt von den Feuilletons - und doch verliefen sich gerade mal etwa 40 Leute ins Ludwigshafener "Haus", um den musikalischen Querschnitt durch das Schaffen der Band live zu erleben. Doch schon beim ersten Song wurde klar, dass sich hier Fans versammelt hatten, die die Band schon seit Jahren begleiten. Entsprechend gelöst war die Stimmung, bei "Lied über gar nichts" und "Nah bei dir" wurde kräftig mitgesungen, der Zugabenblock viel üppig aus und die Band war sichtlich gut gelaunt.
Viele Songs waren unauffällig umarrangiert und neu instrumentiert, was das Konzert über eine reine Nostalgieveranstaltung heraushob. Ein hervorragender Sound und Markus Berges' vielschichtige Texte, die so weit von radiotauglichem Deutschpop entfernt sind wie Gustav Mahler von André Rieu, taten ihr Übriges um den Abend zu einem der besten Konzertbesuche des Jahres 2011 zu machen.“

Ich korrigiere rückblickend: zu DEM besten Konzertbesuch des Jahres 2011.


Und hier der Rest der CD:

14 Mr. Meeble – I Fell Through

15 Kellermensch – Army Ants

16 Retro Stefson – Kimba

17 Vendemmian – Shine On

18 Metronomy – She Wants


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