Samstag, 29. Januar 2011

Ein Leben

Walter Sittler spielt Erich Kästner im Bürgerhaus Sprendlingen

Ein Hauch von Tosca weht durch das Bürgerhaus Sprendlingen. Nein, ich meine nicht die Oper, sondern das Duftwässerchen aus dem Hause 4711, das ich in den 80ern regelmäßig meiner seligen Großmutter zu Weihnachten schenkte. Der olfaktorische Ausnahmezustand hat einen Grund, und der heißt Walter Sittler.

Der Fernsehmime und jahrelange TV-Partner von Mariele Millowitsch gibt sich die Ehre mit einem Kästner-Programm. Da wird es Kultursnobs wie mir Angst und Bange: literarisches Kabarett, warnt eine Stimme im Hinterkopf. Erinnerungen an Amateurtheater-Revuen mit Klavierbegleitung, in denen heiße Eisen wie die Doppelmoral der Kirche und des Kleinbürgers angeprangert werden, freudigst beklatscht von SPD-Wählern und Gewerkschaftsmitgliedern, die sich auf diese Weise in ihrer einzig wahren Gesinnung bestätigen lassen.

Ich leiste Abbitte.

Nichts dergleichen.

Walter Sittler ist Erich Kästner, heißt es auf dem Plakat, und diese Ankündigung ist wörtlich zu nehmen. Sittler spielt Erich Kästner und Kästner erzählt sein Leben von 1919, als er als junger Mann erst nach Leipzig und dann nach Berlin zieht, bis zu seinem Tod 1974. Der Abend ist in zwei Teile geteilt. Im ersten Teil geht es um Kästners Leben und Schreiben im Berlin der Weimarer Republik. Hier wird eine große Anzahl von Gedichten, Liedern, Briefen und Auszügen aus Kurzgeschichten zu einer Collage verarbeitet, deren Klammer die Biographie des Autors ist. Beeindruckend ist dabei, wie Sittler immer den richtigen Ton trifft und Stimmungen variiert. Der Wechsel von einem satirischen Text mit Berliner Mundart zum ergreifenden Antikriegs-Gedicht „Sergeant Waurich“ gelingt ihm mühelos, und als Zuschauer ist man gefangen von der Ausdruckskraft der Texte und dem Vortrag des Schauspielers. Da Sittler offensichtlich genau weiß, was er kann und was nicht, verzichtet er darauf, Lieder zu singen. Er beschränkt sich allenfalls auf Sprechgesang und kann sich dabei auf die dezente musikalische Untermalung eines Jazz-Sextetts verlassen. Die Musik dient darüber hinaus dazu, die Übergänge zwischen den einzelnen Texten zu verdeutlichen, und im Laufe der Zeit merkt man als Zuschauer, dass dieser Kästner-Abend nicht nur eine lose Folge von Texten, sondern im besten Sinne inszeniert ist.

Dies wird auch im zweiten Teil deutlich, der sich überwiegend mit Kästners Leben zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Da der Autor von den Nazis Schreibverbot erhalten hat, fehlen jetzt auch in der Inszenierung die schnellen Übergänge zwischen verschiedenen Textarten. Statt Gedicht oder Lied dominieren nun erzählte Erinnerungen, wie an die Bücherverbrennung in Berlin 1933, bei der Kästner miterlebte, wie seine Schriften verbrannt wurden, oder an das Weihnachtsfest 1945, das er, aufgrund des Verbots, die Besatzungszone zu verlassen, erstmals ohne seine Eltern verbringen musste.

Im Jahr 1974 stirbt Kästner, und im Stück folgt ein Epilog, der sein Leben zusammenfasst und dem Zuschauer noch einmal deutlich vor Augen führt, was dieser Abend eigentlich ist. Eine Liebeserklärung an Erich Kästner, den Autor, den viele vor allem für seine Kinderbücher kennen, der aber als Schriftsteller noch viele andere Facetten hatte, und den Mensch, der stets integer und authentisch geblieben ist.

Dass Walter Sittler nicht den Fehler macht, seine Prominenz auszunutzen und selbst in Erscheinung zu treten, ist ihm hoch anzurechnen. Seine schauspielerische Leistung an diesem Abend steht außer Zweifel. Er nimmt die Zuschauer mit auf die Reise durch das Leben Kästners. Er vermittelt jedem Zuschauer das Gefühl, mit ihm persönlich zu sprechen, ohne sich dabei aufzudrängen oder anzubiedern. Es gelingt ihm, neues Interesse an Erich Kästner zu wecken, und er stellt dafür sein eigenes Ego hinten an.

Hut ab, Herr Sittler. Ich danke für diesen schönen und inspirierenden Abend.


Und weil ich es so beeindruckend finde:

Sergeant Waurich

Das ist nun ein Dutzend Jahre her,
da war er unser Sergeant.
Wir lernten bei ihm: “Präsentiert das Gewehr!”
Wenn einer umfiel, lachte er
und spuckte vor ihm in den Sand.

“Die Knie beugt!” war sein liebster Satz.
Den schrie er gleich zweihundert mal.
Da standen wir dann auf dem öden Platz
und beugten die Knie wie die Goliaths
und lernten den Haß pauschal.

Und wer schon auf allen Vieren kroch,
dem riß er die Jacke auf
und brüllte: “Du Luder, du frierst ja noch!”
Und weiter gings. Man machte noch
in Jugend Ausverkauf.

Er hat mich zum Spaß durch den Sand gehetzt
und hinterher lauernd gefragt:
“Wenn du nun meinen Revolver hätt’st -
brächst du mich um, gleich hier und gleich jetzt?”
Da hab’ ich ‘Ja’ gesagt!

Wer ihn gekannt hat, vergißt ihn nie.
Den legt man sich auf Eis!
Er war ein Tier. Und er spie und schrie.
Und Sergeant Waurich hieß das Vieh,
damit es jeder weiß.

Der Mann hat mir das Herz versaut.
Das wird ihm nie verziehn.
Es sticht und schmerzt und hämmert laut.
Und wenn mir nachts vor’m Schlafen graut,
dann denke ich an ihn.

Sonntag, 2. Januar 2011

Lieblinge - Pt.4 - Konzerte, Alben und der Rest

Konzerte des Jahres:

Delphic (Heidelberg – Songs, Sounds, Nebel, Lichter – ein Konzert als Gesamtkunstwerk)

Gaeton Roussel (Strasbourg)

The Notwist (Bootboohook & Darmstadt & Mannheim)

Mickey 3D / Cécile Hercule (Strasbourg)

Caribou (Strasbourg)

Die Sterne (Heidelberg & Offenbach)

Erdmöbel (Frankfurt)

Ian Brown (Mannheim)

Suede (Berlin)

The Go!Team (Bootboohook)

Urlaub in Polen (Bootboohook)

Tindersticks (Frankfurt – trotz dauerlabernder Menschen, die so selbstverliebt und innerlich leer sind, dass der Klang von Stuart Staples Stimme sie nicht in Ehrfurcht erstarren lässt)

Get Well Soon & Grand Ensemble (Heidelberg)

Bernd Begemann & Dirk Darmstädter (Mainz)

Hot Chip (Bootboohook)

Benjamin Biolay (Strasbourg)

The Tiger Lilies (Mainz)

Nom de Guerre (Bootboohook)

Hadouken! (Frankfurt)


größte Enttäuschung:

Shout Out Lods (Frankfurt)


Alben des Jahres:

Delphic: Acolyte

Die Sterne: 24/7

Gaeton Roussel: Ginger

Mickey 3D: La Grande Évasion

Erdmöbel: Krokus

...und bereits im 2. Jahr: Miike Snow


Höhepunkte des Jahres:

Wandern in England und im Schwarzwald

Schnee in Wien und Berlin

das entspannte Bootboohook-Festival in Hannover

All Inclusive am Gardasee

das FFF-Nachschlag-Wochenende in Stuttgart

die Entdeckung von TwoTickets.de

das Meer in Südfrankreich

das T-Shirt zur Kursfahrt des Geschi-LKs (zuviel der Ehre)


Unwort des Jahres:

Vertretungsplan