Samstag, 25. Dezember 2010

Lieblinge Zehn – die Linernotes

01 Ian Brown – Stellify
Über 40 sein und in einem Adidas-Trainingsanzug trotzdem nicht aussehen wie ein Hartz-4-Empfänger, das schafft nur Ian Brown. Dass sein neues Album nach eigener Auskunft nur Hits enthält und er damit den King of Pop ablöst, entspricht zwar nicht den Tatsachen – dafür hätte er schon mal das Covern des Hippie-Liedchens “In the Year 2525” lassen sollen – aber zumindest “Just Like You” und vor allem “Stellify” haben Klassikerqualitäten. Ein Opener nach Maß.

02 Nom de Guerre – Run Run Run
Hannover im August. Junge Menschen warten geduldig vor einer viel zu kleinen Halle, um Bratze zu sehen. Parallel spielen in der noch kleineren Halle vor ca. 25 Zuhörern Nom de Guerre. Es ist der zweite Festivaltag, die Menschen sind müde und müffeln, aber Nom de Guerre haben sich in Schale geworfen und stellen ihr... schluck... Konzeptalbum vor. Es geht wohl irgendwie um Mord und Totschlag, aber es klingt einfach nur perfekt poppig.

03 Miike Snow – The Rabbit
Kein neues Album, kein Konzert in meiner Nähe – aber immerhin mit dem Prä-Album-Stück “The Rabbit” ein – für mich – neuer Song, der die Flamme am Köcheln hält.

04 Delphic – Halcyon
Das Album voller Hits. Die besondere Qualität der Band zeigt sich in „Halcyon“, wenn nach dreieinhalb Minuten Elektropop die Indiegitarre zum Solo anhebt. Hier wächst zusammen, was zusammen gehört. Energie, Enthusiasmus – und live extrem viel Kunstnebel.

05 Urlaub in Polen – Theodore Flames
Hannover im August. Junge Menschen schwoofen zu Superpunk in der kleinen Halle. In der noch kleineren Halle beenden Urlaub in Polen den Freitagabend mit einem etwa 30minütigen Gig. Nach dem ersten Lied pfeift es in den Ohren, und der Sänger fordert mehr Sound auf seinem Monitor und überhaupt „könnte das alles noch lauter sein“. Jawoll. Rock'n'Roll will never die. Auch wenn's Progressive Rock ist.

06 Bratze – Ohne das ist es nur noch laut
Ohne die wäre das Audiolith-Label intellektuellenfrei. Während Egotronics „Raven gegen Deutschland“ die Dosenbierseligkeit der Atzen heraufbeschwört, nur eben mit linker Gesinnung, lassen es Bratze mit intelligenten und witzigen Texten krachen. Das Video im Stil einer volkstümlichen Hitparade ist definitiv eines der amüsantesten des Jahres.

07 Herpes – Very Berlin
Dieses Shö-hört – in dieser Fa-harbe - Very Berlin, very Berlin! Schön hektisch, frisch und jugendlich.

08 Marc Lavoine – Rue des acacias
Der Gegenpol zu Herpes. Le roi de Schmaltz et Schnultz mit dick aufgetragener Schweineorgel. Love it or hate it.

09 M – Est-ce que c’est ca ?
Bernd Begemann hasst ihn, eine führende Botschafterin der französischen Popmusik kann ihm nichts abgewinnen. Mir gefallen seine Songs, und schweren Atem als Sound einzufangen mag man prätentiös finden, ich find's originell.

10 Caribou – Odessa
Der Song ein Meisterwerk, der Mann dahinter ein Genie. Vielleicht der Song des Jahres.

11 Chromeo – Night by Night
Mir bleibt jedes Mal die Spucke weg. Diese Sounds! Whatever happened to the Eighties? Chromeo haben sie komplett in sich aufgesogen und in neue Songs destilliert.

12 Die Sterne – Convenience Shop
Munich Pop statt Indierock. Richard von Schulenburg hat die Band verlassen, zahlreiche Fans sind mitgegangen und im Intro wurde “24/7” ordentlich gedisst. Allerdings hatten die auch Hurts auf einem ihrer Cover. Soviel zum guten Geschmack. Ich mag die neue Richtung. Disco für Enddreißiger, die nicht erwachsen werden wollen. Dazu passt auch die textliche Eindeutigkeit in “Stadt der Reichen” oder eben in “Convenience Shop”. Auch 2010 meine deutsche Lieblingsband.

13 Get Well Soon – Werner Herzog Gets Shot
Selbst wenn “Vexations” mich nicht ganz überzeugt und ich dieses Jahr eher das Vorgängeralbum für mich entdeckt habe, gehören Get Well Soon schon auf die Jahrescharts. “Werner Herzog...” blieb mir nach dem Konzert im Kopf hängen. Schön melancholisch.

14 Gaeton Roussel – Help Myself
Mit Mickey 3D mein Franzose des Jahres. Ein alter Hase, der weiß, was er tut und mit Help Myself einen echten Hit produziert hat.

15 Dirk Darmstädter & Bernd Begemann – Sputnik Rock
Letzter Platz beim Bundesvision Songcontest. Auch die Idee mit den 50er-Jahre-B-Seiten deutscher Rock'n'Roller bringt Bernd Begemann nicht den verdienten Erfolg. Trotzdem bleibt er mein Gott. Vielleicht nicht als Musiker, aber als Entertainer und Filmconaisseur. Und der „Sputnik Rock“ war live ein großer Spaß.

16 Gonzales – I Am Europe
Noch ein echter Entertainer. Als reiner Pianist war er für meinen Geschmack in den letzten Jahren zwar etwas zu sehr als musikalischer Leistungssportler unterwegs (Stichwort “Klavierduelle”), aber mit dem Film “Ivory Tower” und dessen Titelsong “I Am Europe” knüpft er für mich an die gute alte Chilly-Gonzo-Zeit an.

17 Tindersticks – Black Smoke
Das hat gedauert, bis ich mich an den Muppet-Show-artigen Chrous von “Black Smoke” gewöhnt hatte. Inzwischen singe ich mit und kann akzeptieren, dass wir es nicht mehr 1995 haben. Und dass diese Band noch da ist, ist genug Grund zur Freude.

18 The Late Call – Fribourg
Ich kann mich nur wiederholen: ab und an mal ein Blick auf die Tapete-Records-Website und man findet atemberaubend schöne Musik. Nach Nom de Guerre meine zweite Pop/Folk-Entdeckung des Jahres.

19 Mickey 3D – Personne n’est parfait
Ich kann einen französischen Witz: «Qu'es-ce que c'est un Alsacien? - C'est un Belge qui n'a pas trouvé la Suisse.». Erzählt von Mickey 3D in Straßburg. Auch sonst zeichnet sich der Mann durch trockenen Humor aus, und sein pathosfreies Auftreten auf der Bühne macht ihn eigentlich zum Chansonier des Jahres. In «Personne n'est parfait» geht's um's Sterben. Mais c'est pas grave. Pas si grave.

20 Erdmöbel – Erster, erster
Leben statt Tod. Erdmöbels Neujahrslied strotzt vor Enthusiasmus und positiver Energie, und dass die Band mit dem nicht gerade eingängigen Album « Krokus » endlich zumindest Kritikerlieblinge geworden sind, gönne ich ihnen von Herzen.

Keine Kommentare: