Sonntag, 1. Februar 2015

Lieblinge 2014 - Track by Track


01 Die Sonne – Neu erfunden
2014 – alles neu, alles anders? Vermutlich nicht. Aber da Profilbildung und Optimierungswahn aller Orten anzutreffen sind, trifft die aus dem Duo Wolke hervorgegangene Band Die Sonne mit dem Song den Nagel auf den Kopf: „Du schaffst es“-Parolen mit verunsicherter Stimme so wenig überzeugend vorzutragen schafft vermutlich nur Oliver Minck. Ja, es ist die totgesagte Ironie, die auch im Video zum Song so wunderbar zum Tragen kommt.   


02 Future Islands – Seasons Change
Nicht wegen, sondern trotz des Letterman-Auftritts. Ob dieser nur perfektes Kalkül war, um Future Islands vom ewigen Geheimtipp zur Band der Stunde zu machen, ist mir eigentlich egal. Mir ist die Band seit ihrem Auftritt auf dem Phonopop 2011 ans Herz gewachsen, bei dem Samuel T. Herring schon ähnlich überzogen extrovertiert auftrat. Musikalisch elektronisch-artifiziell und an sich leicht verdaulich, gesanglich immer eins drüber und hart an der Grenze zum Pathos – an sich machen Future Islands einfach gute Popmusik, und noch dazu einfach ihr Ding. 

03 Motorama – To the South
Meine Entdeckung des Jahres. Joy Division trifft die frühen Editors, aber ohne sich um Szenecodes zu scheren. „Alps“ und „Calender“ sind zwei so wunderbare Alben, dass es fast unmöglich ist, nur einen Song auszuwählen. „To the South“ ist fast schon unverschämt eingängig und daher die passende Wahl für diese Hitparade. 


04 Balthazar – Leipzig
Zweimal haben sie mich in diesem Jahr live überzeugt, und einmal mehr erschließt sich mir ihre Musik so ganz erst nach den Konzerten. Die Single „Leipzig“ hatte ich zunächst etwas abgetan, doch mit jedem Hören ist mir der Song mehr ans Herz gewachsen,so dass er am Ende hier landen musste.
 

05 Die Sterne – Ihr wollt mich töten
Nach ihrem Disco-Ausflug rudern die Sterne zurück in bekannteres Fahrwasser. Nicht immer überzeugend wie ich finde, doch „Ihr wollt mich töten“, das Duett mit Axel Hacke, hat so einen wunderbaren Italo-Western-Charme und einen so verständlich/unverständlichen Text, dass es nicht nur wegen meiner Anhänglichkeit an diese Band auf dieser Zusammenstellung landen musste. 

06 Metronomy – Reservoir
Das Rosa-Wölkchen-Album Metronomys ist nicht meine Platte des Jahres geworden. Zwar stand das Vinyl einige Monate dekorativ auf dem Präsentierteller im heimischen Wohnzimmer, aber musikalisch ist allein „Reservoir“ ein echtes Lieblingslied geworden.

07 Talking to Turtles – Passenger Seat
Hurra, die Sympathieträger können mich zum ersten Mal auch musikalisch komplett überzeugen. „Split“ ist ein wunderbares Album, das Qualitäten des Duos wie musikalische Zurückhaltung und Intimität beibehält, ohne bei längerem Hören in Langeweile zu münden. Wohldosierte Dynamik und Poppigkeit tragen das Album als Ganzes und machen es zu meiner Lieblingsplatte der Band, und „Passenger Seat“ bringt die genannten Eigenschaften in einem Song auf den Punkt.  

08 Anna Aaron – Stellarling
Mein erstes Hörerlebnis mit Anna Aarons zweitem Album “Neuro” kann man am ehesten als Befremden bezeichnen. Sperriger, lauter, elektronischer ging es da zu. Entsprechend neugierig war ich auf ihren Auftritt auf dem Maifeld Derby, der dann einer der wenigen richtig guten war. Die Emanzipation von der mädchenhaften kleinen Schwester von Sophie Hunger (als die sie mit ihrem ersten Album vor zwei Jahren noch kategorisiert worden war) zur eigenständigen Künstlerin ist ihr hier auf beeindruckende Weise gelungen. Nach dem Konzert hatte ich richtig Lust auf das Album, das dann zu einem der meistgehörten des Jahres wurde. Auch hier fiel die Wahl wieder schwer, doch „Stellaring“ bringt den Spagat zwischen Eingängig- und Sperrigkeit, zwischen Pop und Bloß-kein-Pop!, auf den Punkt. 


09 Indochine – Le fond de l’air est rouge
Bei Indochine bin ich ja immer ein wenig hintendran. „Black City Parade“, das Album aus dem Jahr 2013, hatte ich mir erst nach dem Konzertbesuch im Dezember 2013 zugelegt. Allerdings wurde es dann nach und nach zu einem der meistgehörten des Jahres, denn es vereint die Qualitäten der Band – große Geste im Arrangement, unverschämte Eingängigkeit in der Melodie – ohne es wie der Vorgänger „La République des Météors“ auf die Dauer zu übertreiben. „Le fond de l’air est rouge“ bringt diesen Eindruck auf den Punkt. 

10 WhoMadeWho – The Morning
WhoMadeWho werden wohl auf alle Zeiten mit dem Partykracher „Satisfaction“ in Verbindung gebracht werden. Dieser ist zweifelsohne auch jedes Mal ein Höhepunkt ihrer Konzerte, nur reduziert er die Band auf eine Karnevalscombo, die sie nicht ist. Ihr 2014er-Album „Dreams“ zeigt jedenfalls weitaus größere musikalische Substanz, und „The Morning“ weist eine wohlig melancholische Stimmung auf, deren Charme ich mich nicht entziehen kann.


11 And the Golden Choir – My Brother’s Home
Der Mann mit dem Plattenspieler, erstmals gesehen im Vorprogramm von Slut, überzeugte mich zunächst mit dem originellen Ansatz, live seine Songs statt von einer Band von einer jeweils eigens produzierten Schallplatte spielen zu lassen und dazu selbst ein ausgewähltes Instrument zu spielen und zu singen. Tobias Siebert ist eben auch und vielleicht vor allem Produzent. Dass seine Songs auch ohne den Orginalitätsfaktor sehr gut funktionieren, wurde mir erst allmählich beim heimischen Nachhören klar.  


12 Kreidler – Alphabet
Die Elektronik-Avantgarde der 1990er hat es im von Vollbartträgern mit Klampfe und authentischen Texten dominierten Jahr 2014 nicht so leicht. Wohl dem, dem der Zeitgeist wurscht ist und der Ohren hat zu hören. Wie schon auf „Tank“ und „Den“ entfalten auch die Tracks auf „ABC“ eine sogartige Wirkung. „Da passiert ja nix“, ruft da der songgewöhnte Radiohörer. „Wohl! Hör halt mal hin“, mag man erwidern. Da wird verschoben, variiert, hinzugefügt und weggenommen. Tanzbar ist das Ganze auch, und wenn man dann noch eines der Videos von Heinz Emigholz dazu sieht, ist das Glück perfekt.

Nicht das Video zum Song "Alphabet", dafür aber ein Video zum Album im typischen Emigholz-Stil.

13 The Notwist – Run Run Run
Ein neues Album, ein neues Album! Da kann ich The Notwist ja endlich mal wieder auf die eigentliche Jahrescharts-CD packen und nicht nur auf die Live-Lieblinge. „Close to the Glass“ knüpft recht nahtlos an „The Devil, You & Me“, und das ist auch gut so. Denn die wunderbare Mischung aus Frickeleletronik und Gitarrenhärte, aus Anspruch und wohligster Hörbarkeit ist auch hier wieder da. Wieder eine schwierige Wahl, die auf „Run Run Run“ fiel, denn der Song bringt auf den Punkt, dass Notwist-Songs meist nicht da enden, wo sie begonnen haben.

14 We Have Band – Modulate
Irgendwie mein Song des Jahres. Warum kann ich gar nicht sagen. Ich mag die Band, auch wenn ich praktisch nie ihre Alben höre; ich mag das Video, auch wenn es so gar nicht mein momentanes Leben widerspiegelt; ich mag den Song, obwohl es objektiv gesehen dieses Jahr sicher besser gegeben hat. Trotzdem. 
 

15 Breton – Envy
Was für ein Hochgefühl, als ich Bretons „War Room Stories“ erstmals gehört habe. Energiegeladen wie der Vorgänger, spannende Songs, dazu ein großartiges Artwork. Allerdings ist das Album dann einen Monat später im Regal verschwunden und blieb dort bis zur Zusammenstellung dieses Jahresrückblicks. Hat ein bisschen was von Strohfeuer, auch wenn „Envy“ mich im Dezember wieder daran erinnert hat, was ich im Februar so toll fand.

16 Kreisky – Wir machen uns Sorgen um dich
Meine zweite Entdeckung des Jahres. Laut, anstrengend, schlecht gelaunt – Kreisky sind ein wunderbarer Gegenpol zu den Wohlfühlbands und –barden, die momentan unter dem Label Indie laufen. Arrogant kommen sie rüber, besserwisserisch und so gar nicht gefällig. Ihr Album „Blick auf die Alpen“ enthält teilweise unhörbare Stücke, und ich kann nur sagen: gut so. „Wir machen uns Sorgen um dich“ betrifft mich zudem persönlich, da ich davon ausgehe, das in dem Text dargestellte Gespräch zwischen Eltern und Kind ungefähr so in 12 bis 14 Jahren zu führen. 


17 Jens Friebe – Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus
Zwar kann ich nur mit der A-Seite seines neuen Albums etwas anfangen, doch hat Jens Friebe einfach als Künstler, der ganz und gar sein Ding macht, auf ewig einen Platz in meinem Herzen, und daher mit dem Song mit diesem wunderbaren Titel auch einen Platz auf meinen Jahrescharts


18 Christian Kjellvander – The Woods
Na gut, ganz frei von einer Vorliebe für eher folkig angehauchte Vollbartträger konnte ich mich dann doch nicht machen im Jahre 2014. Nur dass Christian Kjellvander auf seinem Album „The Pitcher“ eben immer dieses unterschwellig düstere und neurotische Element in seinen Songs hat, das sie für mich reizvoll und anziehend machen. Wer mag, kann ja mal die allerseits gehypten Mighty Oaks zum Vergleich hören. Bei denen kann ich nur an den bekannten Satz aus dem Film „Blues Brothers“ denken: „Wir haben beides, Country und Western“, bei Kjellvander hingegen fließt Blut. Siehe hier:


19 Arthur Beatrice – Ornaments & Safeguard
Meine Entdeckung des Jahres 2013 hat dann mit „Working Out“ 2014 tatsächlich ein Album herausgebracht – das in Deutschland praktisch komplett unbemerkt geblieben ist. Mir egal. Man könnte Arthur Beatrice einen übertriebenen Hang zum Perfektionismus vorwerfen, der das Album manchen kalt oder gar klinisch erscheinen lässt. Ich tue das nicht. Ich ziehe einfach nur meinen Hut vor den perfekten Popsongs, liebe diese Platte und werde „Ornaments & Safeguards“ auf ewig mit einem Nordseeurlaub und meiner kleinen Luise auf dem Arm verbinden. 



Alle Videos sind nach rein subjektiven ästhetischen Kritierien ausgesucht, alle Live-Videos finden sich auf folgendem You-Tube-Kanal: 
https://www.youtube.com/channel/UCkRi9gG0Wy68dRPsDQ4Pyng
und wurden von einem Herrn aufgenommen, den man auf Facebook als Kulturonkel findet.

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