Montag, 28. Dezember 2015

Das Konzertjahr 2015





10/10 – perfekte Konzerte
Es gibt kaum etwas Subjektiveres als einen Konzertbesuch. Wenn es blöd läuft, hat man Karten für Matthew E. White, wäre aber eher in der Stimmung für Deichkind. Mal hätte man sich mehr Zuschauer für Band oder Künstler gewünscht und fühlt sich in einem großen Saal verloren, mal verflucht man den Hype, da man nur den Stiernacken des Vordermanns sieht und bei jedem mit hochgerissenen Armen skandierten „Ja, Mann!!“ seinen Begeisterungsschweiß riecht.
Aber gar nicht so selten stimmt alles, oder es spielt eine Band, die einen alle widrigen Umstände vergessen macht. Motorama konnten mich im ersten Halbjahr 2015 gleich dreimal vollkommen entzücken, Balthazar gelang es im Dezember, das komplette Glück hervorzurufen. Wandas Rockzirkus funktionierte sowohl im Festival-Kontext auf dem Maifeld Derby als auch in der ausverkauften Halle 02 in Heidelberg. Ähnlich verschwitzt verließ ich das Konzert nur beim alljährlichen sommerlichen Gastspiel der kolumbianischen Stadionrocker Doctor Krápula im beschaulichen Frankfurter Bett. Musikalisch haben mich Austra und Von Spar komplett mitgerissen, wobei hier vermutlich eine Rolle spielte, dass ich beide Konzerte neugierig, aber ohne große Erwartungen besucht habe.  Und schließlich ist es manchmal einfach die Person, die den Zauber ausmacht. Das Konzert mit dem größten Sympathiefaktor spielte der entspannte und gut gelaunte Erlend Øye auf dem leider letzten Rüsselsheimer Phonopop Festival, und auch Anna Aaron fand ich im Rahmen des „Vereinsheims“, in dem sie zusammen mit Stefan Honig und David Lemaitre auftrat, einmal mehr vollkommen entzückend.


Hier die Liste:

Motorama (Café Central Weinheim / Schlachthof, Wiesbaden / Maifeld Derby, Mannheim)


Balthazar (Alte Feuerwache, Mannheim)       

Wanda (Maifeld Derby, Mannheim / Halle 02, Heidelberg)

Doctor Krápula (Das Bett, Frankfurt) 

Austra (Halle 02, Heidelberg)


Von Spar (Maifeld Derby, Mannheim)

Erlend Øye & The Rainbows (Phonopop Festival, Rüsselsheim)



Anna Aaron (im Rahmen von "Das Vereinsheim", Alte Feuerwache, Mannheim)




9/10 – herausragende Konzerte
Wie subjektiv Konzerterlebnisse sein können, zeigt auch die zweite Liste. Empfand ich Archive vor ein paar Jahren im Karlsruher Substage noch als leicht nervige und aufgeplusterte Krachcombo, überzeugte mich ihr druckvoller Postrock im großen Zirkuszelt des Mannheimer Maifeld Derbys komplett. Zoot Woman, die ich als leicht langweilige Hipster abgespeichert hatte, nahmen mich im für ihre Art von Musik und Show viel zu klein geratenen Frankfurter Zoom vollständig für sich ein.

Ansonsten finden sich mit Róisín Murphy, Gabby Young und Joachim Witt in dieser Liste drei begnadete Rampensäue, deren Musik ich zu Hause nicht unbedingt (ach, ehrlich gesagt eigentlich gar nicht) höre, denen ich aber jederzeit gerne wieder zujuble, wenn sie eine Bühne betreten. Ghostpoet und Fink waren echte musikalische Entdeckungen, The Notwist bewährte Qualität, wobei ich das Ambiente des Sitzkonzertes im Ludwigshafener Theatersaal nicht optimal fand. Und Get Well Soon spielten in der ausverkauften Frankfurter Brotfabrik drei Konzerte in einem einem. Sehr speziell und sehr, sehr gut.

Hier die Liste:

Get Well Soon (Brotfabrik, Frankfurt)

Zoot Woman (Zoom, Frankfurt)
(hier auf ungleich größerer Bühne)

Róisín Murphy (Maifeld Derby, Mannheim)

Gabby Young & Other Animals (Centralstation, Darmstadt)
das einzige Konzert des Jahres 2015, bei dem ich zum Smartphone griff und fotografierte

Joachim Witt (Batschkapp, Frankfurt)

Fink (Maifeld Derby, Mannheim)


Ghostpoet (Maifeld Derby Mannheim)

Archive (Maifeld Derby, Mannheim)

The Notwist (Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen)


8/10 - sehr gute Konzerte
Was sonst noch im Gedächtnis bleibt, sind Konzerte, die auf die eine oder andere Weise besonders waren. Kraftwerks 3D-Show in der Frankfurter Jahrhunderthalle war erwartungsgemäß überwältigend, Alt-Js bombastische Lightshow hatte ich so nicht erwartet, fand sie aber eine geschmackssichere und passende Ergänzung zur Musik, die mich leider nach wie vor nicht auf Dauer elektrisiert. Die Sterne und Element of Crime sind mir in inzwischen zwei Jahrzehnten (*schluck*) so ans Herz gewachsen, dass ich ihre Konzerte auch dann genießen kann, wenn mich das gerade aktuelle Album wenig berührt. Auch Jacques Palminger ist mir musikalisch mit den Kings of Dubrock zwar näher, konnte mich aber selbst mit einer Jazzcombo im Gepäck faszinieren und begeistern. Ähnlich verhält es sich mit dem Rapper Astronautalis, der das Zirkuszelt des Maifeld Derbys am Sonntagnachmittag so zum Toben brachte, dass er es selbst kaum glauben konnte; ein Charismatiker, dessen Musik ich im heimischen Wohnzimmer aber vermutlich nicht lange ertragen könnte. Musikalische Entdeckungen gab es für mich hingegen mit Okta Logue, Other Lives, Battles und Lars Bygden, und bei José Gonzalez, Station 17 und Ulrich Schnauss die erhoffte und erwartete Qualität. Ein besonderes Konzert war das von Mia im spärlich besuchten Musiktheater Rex in Bensheim. Hatte diese Band nicht vor ein paar Jahren noch die Stadthalle Offenbach gefüllt? Büßt Sängerin Mieze jetzt für ihre Teilnahme in einer Castingshow-Jury? Wollte man den Erfolg zu sehr und hat den damit Bogen überspannt? Oder sitzt der Mia-Fan von vor fünf Jahren inzwischen stressgeplagt zwischen Kleinkindern und Karriere im lange noch nicht abbezahlten Eigenheim und kann es sich daher nicht mehr erlauben, unter der Woche auszugehen? Wie immer die Antwort auch ausfällt, ich hatte das Glück eine energiegeladene, spielfreudige Band zu sehen, die erfreulich oft wie in ihren neongelben Anfangstagen klang. 

Hier die Liste: 

Jacques Palminger & 440Hz Trio (Literaturhaus, Frankfurt)

Element of Crime (Jahrhunderthalle, Frankfurt)

Station 17 (Schlachthof, Wiesbaden)

Die Sterne (Café Central, Weinheim)

José Gonzalez (Maifeld Derby, Mannheim)

Astroanautalis (Maifeld Derby, Mannheim)


Other Lives (Phonopop Festival, Rüsselsheim)

Okta Logue (Phonopop Festival, Rüsselsheim)

Battles (Zoom, Frankfurt)

Lars Bygden (Kulturbahnhof, Bad Homburg)

Mia (Musiktheater Rex, Bensheim)

Alt-J (Maimarkthalle, Mannheim)


Ulrich Schnauss (Das Bett, Frankfurt)

Kraftwerk (Jahrhunderthalle, Frankfurt)
erwachsene Männer mit albernen Brillen beim Boing Bum Tschak


Und sonst so?
Auch in diesem Jahr gab es wieder Konzerte, die ich gerne noch mehr gemocht hätte. Talking to Turtles oder auch Stefan Honig sind für mich echte Sympathieträger, aber auf ihren Konzerten gibt es immer mal wieder Songs, auf die ich mich nur schwer konzentrieren kann. Bei Sophie Hunger warte ich immer darauf, dass noch einmal der Zauber ihres Konzertes auf dem Hannoveraner Bootboohook Festival von 2011 entsteht, doch auch in diesem Jahr wirkte die Dame auf mich eine Spur zu professionell und routiniert. Bei Public Service Broadcasting im Foyer des Mannheimer Nationaltheaters war es eindeutig das kleine und überdies auch recht distanzierte Publikum, das das Konzert kein großes werden ließ. Und das Wortspiel, dass mir Die Nerven nach einer Weile auf die Nerven gingen, obwohl ich sie doch so gerne mögen wollte, lasse ich mal aus.

Ansonsten habe ich in diesem Jahr gelernt, dass originelle Bandnamen noch lange nicht originelle Musik bedeuten (The Allah-lahsFoxygenKäptn Peng und die Tenktakel von Delphi) und dass süßen Indiemädchen mit akustischen Gitarren und kleinen Keyboards offenbar niemand mehr sagt, dass man erst mal ein paar interessante Songs schreiben und ein Instrument einigermaßen erlernen sollte, bevor man sich auf eine Bühne setzt (LuísaValentine).

Unbeliebt mache ich mich jetzt noch kurz damit, dass ich sage, dass ich Love A auf dem Mannheimer Maifeld Derby total langweilig und überschätzt fand.  

Zum Abschluss nun noch ein Song aus dem durchwachsensten Konzert des Jahres 2015, über das ich nach dem Besuch schrieb: „Licht und Schatten lagen selten so dicht beieinander. Gestern gastierten The Waterboys in der Frankfurter Batschkapp. Während todernst gemeinte Coverversionen von "Roll Over Beethoven" und "Purple Rain" eher an eine alternde Muckercombo auf dem Mannheimer Stadtfest erinnerten, klang "We Will Not Be Lovers" so dicht, energisch und verzweifelt, wie ich es nie zu hoffen gewagt hätte“. Und das sind die Konzertmomente, die ich mir für 2016 auch wieder wünsche.


Alle Fotocredits siehe Fotos; Fotos ohne Credits sind private Bilder.

Keine Kommentare: