Samstag, 7. Januar 2017

Die Alben des Jahres 2016

Hmm. Eigentlich müsste es eher heißen: die Alben, die von den 2016 erschienen meine liebsten sind. Denn weder handelt es sich hier um die objektiv besten, relevantesten oder angesagtesten Alben - dafür hätte ich viel mehr auf die Musikpresse hören sollen und in all die relevanten und angesagten Alben des Jahres überhaupt erst einmal reinhören müssen. Noch handelt es sich unbedingt um die Alben, die ich am häufigsten gehört habe. Denn es ist ja nicht so, dass mit der Jahreswende alle Tonträger, die vor 2016 erschienen sind, plötzlich in den Keller gepackt worden und dem süßen Vergessen anheim gefallen wären.
Und, ja, ich höre Musik auch weiterhin vom Tonträger. Ich liebe es eine Schallplatte aufzulegen und nach Ende der ersten Seite umzudrehen, den Staub aus den Rillen zu pusten, ein schönes Cover länger zu betrachten. Und auch für das allgemein gedisste Medium CD möchte ich hier mal eine Lanze brechen. Denn auch diese kann man bewusst einlegen und auch bei ihr kann man sich oft genug an einer schönen Verpackung oder einem liebevoll gemachten Booklet erfreuen. Wenn man so Musik hört, ergibt auch das seit Jahren totgesagte, aber nach wie vor nicht tot zu kriegenden Konzept des Albums wieder Sinn. "Everbody wants to be the DJ", sangen Soulwax schon im Jahre 1998 in ihrem Song "Too Many DJs". Mit Spotify und co. ist inzwischen wirklich jeder sein eigener DJ. Das ist toll, es ist aber eine andere Art, Musik zu hören. Denn mit einem Album sagen mir Künstler, Künstlerin oder Band, welche Reihenfolge, Dramatik oder welchen Spannungsaufbau sie sich vorgestellt haben. Und daher hier, um auch weiterhin ganz retro zu bleiben, meine TOP 10 dieser Art aus dem Jahr 2016:

1. Francis: Marathon
Das hatte sich nach den ersten Songs Ende 2015 angedeutet, dass hier ein großes, schönes Popalbum für Erwachsene ins Haus steht. Lange gereifte Songs, sorgfältig arrangiert, und dass Sängerin Petra eine tolle Stimme hat, wusste ich ja schon vorher. Sehr häufig gehört und in neun Monaten nichts von seiner Magie verloren.




2. Oum Shatt: Oum Shatt
Völlig unvorbereitet und unvoreingenommen über ein Konzert auf dem Mannheimer Elektrik Pony Cup entdeckt. Meine ersten Eindrücke damals: 
"Oum Shatt spielen eine Musik, die frisch klingt. Erfreulich unrockig, dafür tanzbar, entspannt und doch auf den Punkt. Präzise Rhythmik mischt sich mit Ricky-King-Gitarre aus den Siebzigern und wird durch feine Elektronik und grundierenden Bass abgerundet. Ja, da ist schon etwas Arabisches, wie man in allen Rezensionen lesen kann, aber eben so, wie diese Musik in den 60ern und 70ern von Europäern und Amerikanern absorbiert und in eigenen Songs verarbeitet wurde. Und da ist dieser Gesang und die Melodielinien, die mich irgendwann an Kissogram erinnern. Womit ich genau richtig liege, denn Oum Shatt ist das neue Bandprojekt von Kissograms Jonas Poppe. Wenn man‘s weiß, eine logische Weiterentwicklung."




3. Arpen: Arpen
Auch auf einem Konzert entdeckt, das für die Band aber wenig glücklich verlief. Desinteressierte Studenten und muffige Südhessen hatten überwiegend kein offenes Ohr für die feine Elektronik des Herrn Arpen. Ich ging interessiert nach Hause, hörte mich intensiver ein, bestellte das Album und bin seitdem hin und weg. Die richtige Balance zwischen klassischem Songwriting und experimenteller Elektronik, in jeder Hinsicht geschmackvoll umgesetzt.




4. Sorry Gilberto: Twisted Animals
Meine Sympathieträger des Jahres. Entdeckt an einem Sonntagnachmittag im Offenbacher Hafen 2. Hier meine nach dem Konzert verfasste Liebeserklärung:
"Sorry Gilberto bestehen aus zwei etwas in die Jahre gekommenen Hipsterberlinern (vermutlich mein Alter), hervorragend schluffig gekleidet und topfrisiert, die mit akustischer Gitarre, Ukulele, Melodica und Mini-Synthisizer ruhige Liedchen spielen. Kennen wir? Ja und nein. Denn was hier so harmlos daherkommt, hat es sowohl textlich als auch musikalisch in sich. Der musikalische Minimalismus ist gewollt und gekonnt. Hier spielt jemand nicht Ukulele, weil er nichts anderes kann, sondern weil es zum Song passt. Hier wird kein Hochleistungsgesang betrieben, sondern auf Englisch mit erkennbarem Akzent liedermacherartig vorgetragen. Kann man nämlich wunderbar machen, wenn man eine schöne Stimme hat. Und das haben beide, so dass Lieder, in denen Jakob und Anne im Wechsel singen, ein besonderer Genuss sind. Textlich werden Loblieder auf den grauen Himmel gesungen. Einmal explizit, aber auch sonst schwingt diese Stimmung oft mit. Miniaturen, Kurzgeschichten, stets etwas verschroben, aber mit Humor. Perfekt. „Anti-Folk“ sagt die Indiepedia. Meinetwegen, wenn Anti-Folk so klingt, ist das genau meine Musik. Denn das trifft so ziemlich alles, was ich mag, und passt so wunderbar zu diesem etwas verschlafenen, aber schönen, entspannten und gelassenen Sonntagnachmittag. Ja, ich bin frisch verliebt. So verliebt, dass ich dem Gefühl misstraue und keine Schallplatte kaufe. Dummheit, denn einige der Songs begleiten mich noch in den Folgetagen. Angefangen bei „Blockbuster“ über „Grey Sky“ und „Into the Woods“ zu „Masterpiece“ und „Chemical Romance“. Ein Kleinod jagt das nächste. Inzwischen wurden eine LP und ein älteres Album auf CD nachgekauft, eine Lücke wird hoffentlich an Weihnachten geschlossen. UPDATE 15 Minuten später: ich kann nicht bis Weihnachten warten und habe mir gerade mal die CD von „Construction Work & Stormy Weather“ gekauft, um die schmerzliche Lücke in der Diskographie zu schließen. Ach, und bevor ich es vergesse: mit „Yellow Sweater“ haben die beiden auch eines meiner Lieblingsvideos dieses Jahres geschaffen."

5. Pelzig: Medium Cool World
Und weil's so schön war, gleich noch ein Konzertbericht hinterher, denn Pelzig kenne ich zwar vom Namen her schon ewig, so richtig gehört habe ich sie aber zum ersten Mal auf dem Darmstädter Golden-Leaves-Festival.
"Der Knaller am frühen Nachmittag. Bei Wolkenhimmel, Tageslicht und auf der an sich viel zu kleinen zweiten Bühne zeigen die Bestager von Pelzig wie Energie und teilweise auch Aggression wirklich gehen. Man nehme Gitarren und Bass aus der Rock-Phase von Slut, lege ein paar Elektronikakzente drüber und mische das ganze schön breit ab, so dass ordentlich Sound entsteht. Dazu einen Sänger, der völlig anders klingt, als der von Slut: tiefer, männlicher, weniger Sänger, sondern mehr Erzähler, der auch mal in Sprechgesang verfällt (das Wort „rappen“ vermeide ich bewusst) und einen seltsam unauthentischen amerikanischen Akzent hat, der aber einen interessanten Fremd-Vertraut-Effekt erzielt. Großartig. Musik, die mich mitnimmt, die mich kickt, die Energie verströmt, die Anknüpfungspunkte bietet und doch eigenständig ist. Und Musik, die im Jahre 2016 zwischen Hochleistungsgeträller à la Adele und bewusster Innerlichkeit vollbärtiger DIY-Folk-Klampfer keinen Platz findet. Alle über 40 sind begeistert, die Eltern aus dem Martinsviertel aber retten ihre Kinder vor Gehörschäden und die gestressten Studenten-Hipster bleiben lieber mal auf der Picknickdecke sitzen. Entsprechend bin ich auch nach dem Konzert ein einsamer Plattenkäufer, der nur von einer wirklich hippen, kurzhaarigen Helferin am Stand damit getröstet wird, dass auch sie die Platte „gleich nach dem Konzert gekauft“ habe."




6. Polica: United Crushers
Bei Polica ist vor allem der Sound besonders. Zwei Schlagzeuge, die der Musik einen gewaltigen Bums verleihen, wenn sie synchron sind, und komplexe Beats kreieren, wenn sie das nicht sind. Dazu ein Bass und, zum Kontrast, eine recht sphärische Elektronik mit der ebensolchen Stimme der wunderbaren Channy Leaneagh. Und gute Musik entsteht einfach aus solchen Kontrasten. Da wird es nicht irgendwann langweilig, weil der Gesang zu elfenhaft ist. Oder eben weil es immer nur rumst. Clevere Songs, noch cleverer instrumentiert. 



7. Romano: Jenseits von Köpenick

Herrn Romano hatte ich ja lange Zeit so ein wenig als Spaßvogel abgetan, aber das stete Bewerben des Herrn durch einen geschmackssicheren Kollegen und Freund ließen mich erst auf Romanos Konzert ins Darmstadt gehen (ein Höhepunkt) und dann über die Show die Musik entdecken. Und die gefiel mir mit jedem Hören besser. Klar, es ist deutschsprachiger Hip Hop mit Augenzwinkern und vermutlich auch Vermarktungsplan. Dennoch ist Romano einfach authentisch und vor allem unglaublich sympathisch, und seine Texte sind witzig, aber nie doof oder prollig. Auch die Musik hat mir bei jedem Hören besser gefallen. Man merkt einfach, dass der Mann schon ein paar andere Genres durch hat und daher ohne Szeneschubladen auskommt. Alles in allem ein Gesamtkunstwerk, das für mich in diesem Jahr bestens funktioniert hat und meine Laune so manches Mal enorm heben konnte.




8. Messer: Jalousie
Auch hier erkläre ich mich am besten mal wieder selbst über Eindrücke von einem Konzert: 
"Krachige, ungestüme Rockmusik, bisweilen hysterisch und wütend, immer energiegeladen und mitreißend. Der Sound ist exquisit: die Gitarre quiekt, der Bass grundiert, den Drummer fand ich auch gut, und die Orgeltöne, die den Sound vor allem auf den neuen Stücken erweitern, sind live auch hervorragend. In einem Interview mit Sänger Hendrik, das ich nach dem Konzert las, fand ich bemerkenswert, dass er gerade froh ist, von seiner Musik nicht leben zu müssen. Denn, so das Argument, wenn er das müsste, müsste er Kompromisse eingehen und hätte Termindruck. So aber könne man ausprobieren, verwerfen, überdenken und am Ende etwas veröffentlichen, hinter dem man hundertprozentig stehe. Beeindruckender Standpunkt, der sich an diesem Abend auf der Bühne zeigt. Wenn man das abgedroschene Wort „authentisch“ mal bemühen möchte, hier trifft es zu. Das ist einfach ein authentischer Auftritt, voller Spielfreude und erkennbar mit Songs, die man mag und gerne spielt. Es ist der Funke, der Isolation Berlin fehlt – die, so Sänger Hendrik in erwähntem Interview, eben von der Musik leben wollen."
Und das folgende Video liebe ich ja auch, als alter Arthouse-Filmfan:




9. Warhaus: We Fucked a Flame Into Being
Balthazar machen Pause, aber an sich klingen Warhaus doch gar nicht so anders, oder? Abgesehen davon der offensivste Plattentitel des Jahres (außerhalb von Idioten-Genres wie Asso-Rap oder Death Metal)




10. Get Well Soon: Love
Und auch wenn ich die Alben dann irgendwie nie am Stück höre und immer mal denke, dass das ein oder andere Stück auch entbehrlich gewesen wäre - Konstantin Gropper ist mir einfach ans Herz gewachsen und macht so viel Dinge richtig, dass ihm weiter die Treue halte. Schon allein für dieses Video, mein Lieblingsmusikvideo des Jahres mit dem wunderbaren und unverwüstlichen Udo Kier:






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