Freitag, 6. Januar 2017

Das Filmjahr 2016

Lieblingsfilme:


Arrival
Ein Film, der auf allen Ebenen herausragend ist. Grandiose Regie, fantastische Hauptdarstellerin, spannende und intelligente Geschichte. Alien-Science-Fiction mit menschlicher Botschaft. Mein Film des Jahres.



Ich, Daniel Blake
Ken Loach meint es weiterhin ernst und hat einen Standpunkt. Britisches Working-Class-Kino der alten Schule, wie es sonst keiner beherrscht. Emotional, aber nie kitschig; politisch, aber nie abstrakt. Das Herz schlägt weiterhin links.



The Neon Demon
War bei Publikum und Kritik nicht gerade beliebt – ich fand ihn super. Viel Oberflächenfetisch mit Kritik an Oberflächlichkeiten und absurd blutigem Finale. Wie kann man das nicht geil finden?!



Vor der Morgenröte
Josef Hader spielt Stefan Zweig und beeindruckte mich sehr. Ein Film über die Ohnmacht eines Intellektuellen in politischen Krisenzeiten, und damit weit mehr als das übliche Biopic für Lesefaule.



The Witch
Paranoia und Okkultismus im wenig besiedelten Nordamerika des 17. Jahrhundert. Inklusive der Sprache der Zeit. Verstörend, visuell faszinierend und ziemlich spannend. Mein Horrorfilm des Jahres.



Wiener Dog
Etwas Angst hatte ich vor dem neuen Film des Gute-Laune-Vermiesers Todd Solondz. „Happiness“ halte ich nach wie vor für den schlimmsten Downer-Film aller Zeiten. In seinem Episodenfilm über Dackel geht es auch um menschliche Abgründe und Abartigkeiten, aber es überwog die Witzigkeit. Zumindest für hartgesottene Titanicleser.



Naher ferner Osten
Ein Tscheche reist in die Ukraine um den dortigen Konflikt besser zu verstehen – und hat so manche ernüchternde Begegnung. Grandioser Dokumentarfilm, dem es gelingt, beiden Seiten gerecht zu werden und dabei doch klar Position zu beziehen. Ein Film, der sein Publikum ernst nimmt und es selbst seine Schlüsse ziehen lässt. In Zeiten ideologisch aufgeplusterter Nachrichtenberichterstattung ein wohltuend unaufgeregter, sachlicher und um Fairness bemühter Zugang zu einem extrem schwierigen Thema. Gesehen auf dem Go-East-Filmfestival in Frankfurt.



Menschen am Sonntag
Ein besonderes Kinoerlebnis im Offenbacher Hafen 2: die isländischen Elektroniker Múm vertonen live den Stummfilmklassiker „Menschen am Sonntag“. Und der ist als solcher schon ein Meisterwerk – sozialer Realismus, Alltag (bzw. ein Sonntag) im Deutschland der 1930er, der zeigt, dass in diesem Land in dieser Zeit ganz normale Menschen mit ganz normalen Träumen, Wünschen und Hoffnungen gelebt haben und nicht nur Hitlers zukünftige Helfer, Opfer und Vollstrecker.




Auch gut:


Green Room
Unangenehmes, aber sehr spannendes und zunehmend gewalttätiges Action-Kammerspiel. Mit vielen Typen, denen man nicht im Dunkeln begegnen will.



The Lobster
Der schönste alternative Liebesfilm des Jahres, mit ein wenig dystopischer Gesellschaftskritik und viel absurdem Humor.



A Bigger Splash
Tilda Swinton als der Stimme beraubte Sängerin wird an ihrem italienischen Rückzugsort von Großmaul Ralph Fiennes be- bzw. heimgesucht. Es geht um Zwischenmenschliches. War ich wohl gerade in der Stimmung für, hätte mich an anderen Tagen vielleicht genervt.



Pelo Malo
Hartes Sozialdrama und ergreifende Initiationsgeschichte aus Venezuala. Ein Land, in dem man nicht unbedingt leben möchte.



Money Monster
Ich habe ein Herz für Filme mit einem klaren Standpunkt. Ja, von mir aus naiv und unrealistisch. Sympathisch altmodische Medien- und Bankenkritik mit zwei Stars von früher (George Clooney und Julia Roberts) unter der Regie eines Stars von früher (Jodie Foster). Spannend und mit Gesinnung.



Meine Brüder und Schwestern im Norden
Die Dame, die uns „Full Metal Village“ beschert hat, hat wieder einen Heimatfilm gedreht. Dieses Mal durfte sie in den isolierten Norden ihrer eigentlichen (oder anderen?) Heimat Korea reisen und dort einfach mal die Kamera draufhalten. Unter Aufsicht, versteht sich. Faszinierende Einblicke in eine bizarre Parallelwelt, geschickt eingefangen, da ohne offensive ideologische Botschaft. Auch hier traute man dem Zuschauer wohl zu, eigene Schlussfolgerungen ziehen zu können.



Nocturnal Animals
Nicht so sensationell wie man mancher Orten lesen kann, aber ein visuelles Prachtstück mit Amy Adams und Michael Shannon, also meiner Schauspielerin und meinem Schauspieler des Jahres. Da kann man schon mal darüber hinwegsehen, dass man diese Art Plot an sich alle Jahre wieder auf dem Fantasy Filmfest sehen kann.



DVD-Entdeckungen:


99 Homes
Michael Shannon und Andrew Garfield in einem sehr spannenden Film über... äh... Zwangsräumungen. Engagiert und energiegeladen, so als würde Ken Loach einen Thriller drehen. Und Michael Shannon tritt den Beweis an, dass man auch skrupellose Finanzhaie als gebrochene Charaktere spielen kann.



Bruchreif – The Maiden Heist
Ja, okay, es sind harte Zeiten. Da hat man sich doch auch mal etwas Entspannung verdient, oder? Hier ist meine Empfehlung: Morgan Freeman, Christopher Walken und William H. Macy als ungeschickte Kunsträuber. Herzerwärmende, leichte Unterhaltung mit drei glänzend aufgelegten Stars alter Schule. Erhältlich an jedem unsortierten Grabbeltisch. Oder bei einem eurer Streaming-Dienste.



The Invitation
Paranoia-Thriller, der mir auf dem letzten Fantasy Filmfest durch die Lappen gegangen ist. Sehr stylish, mit Gespür für Spannungsaufbau und Timing. Sollte man für den vollen Effekt aber unbedingt in einem abgedunkelten Raum sehen.




Fantasy Filmfest Top 5:

Jetzt mache ich es mir selbst mal schwer. Denn der Jahrgang 2016 war für mich ein ziemlich ergiebiger. Das sieht man schon daran, dass sich mit The Witch, Green Room und The Lobster drei Filme in die obigen Listen gemogelt haben, die ich eigentlich ursprünglich auf den Fantasy Filmfest Nights gesehen hatte. Die wahren tollen Tage sind aber natürlich die elf im Sommer, und von den 39 Filmen, die ich da gesehen habe, erkläre ich die folgenden fünf zu meinen Favoriten:

My Big Night
Gleich mal der am wenigsten ins Festival passende Film zu Beginn. Alex de la Iglesias überdrehte Mediensatire ist der erste Film des Herrn, der mir nicht im letzten Drittel begann auf den Zeiger zu gehen. Einfach weil der leicht bis schwer hysterische Humor, der seine Filme meist prägt, hier passte und zudem durch gelungene Musicalnummern unterbrochen war. Ein grellbuntes Vergnügen.



Under the Shadow
Ein Film über Menschen im Krieg und die Rolle der Frau im Iran. Verpackt im Gewand eines Geistergruslers. Intelligent und effektiv.



They Call Me Jeeg Robot
Zu diesem Film notierte ich (Achtung, enthält SPOILER): 

"Der erste Fresh-Blood-Beitrag war für mich ein echter Knaller. Anti-Superheldenfilm, Gangster- und Mafiafilm, schräge Lovestory, ein bisschen Sozialdrama, etwas Action, ein bisserl Trash. Jeeg Robot ist eine Wundertüte, ein wunderbarer Film, zwischen Realismus und Fantasie, mit großen Sympathien für Verlierer und Träumer. Der Film ist ein Antisuperheldenfilm, weil er zwar eine Superhelden hat, dieser aber ein gebrochener Charakter ist. Nichts mit schwarz / weiß hier; alle möglichen Grautöne und tiefstes Schwarz. Ganz toll die geistig etwas eingeschränkte weibliche Hauptfigur, eine junge Frau auf dem geistigen Stadium einer 10 Jährigen, deren kindischen Verhalten, sich aber mehr und mehr als nachvollziehbare Realitätsflucht entpuppt; ebenso toll der Oberfiesling, der im Laufe des Films sein Interesse an Geld und Macht verliert und stattdessen lieber medialen Ruhm und Anerkennung will. Auf amerikanisch hätte das alles recht nervig überdreht werden können, in Händen des italienischen Regisseurs ist es hingegen angenehm geerdet und eher einem magischen Realismus verpflichtet als quietschbuntem Popcornkino."



The Girl with All the Gifts
Glaubt dem Hype. Es ist wirklich der beste Zombiefilm seit Jahren.



Into the Forest
Solche Filme sind der eigentliche Grund, warum ich jedes Jahr wiederkomme. Filme, die in keine Schublade passen. Ist das jetzt Arthouse oder Grusel? Ist das jetzt eine Familiengeschichte, ein Psychodrama oder doch ein kleiner, dezenter Horrorfilm? Alles drei natürlich, deshalb ist er ja so interessant.




Wiedersehen machte Freude:


Über folgende Filme habe ich hier oder anderswo bestimmt schon mal geschwärmt. Das wunderbare Mannheimer Cinema Quadrat ermöglichte es mir sogar, drei der sechs Filme noch mal auf mittelgroßer Leinwand zu sehen. Und fünf von sechs stammen von vergangenen Fantasy Filmfestlichkeiten, was erklären könnte, warum ich auch in diesem Jahr den Großteil meines Taschengeldes wieder zu diesem in die Jahre gekommenen Wanderzirkus tragen werde.

The Babadook




It Follows



Coherence


Boyhood



Der Unbestechliche / La French




New World




Enttäuschungen:

The Revenant
Im Internet las ich, dass Leute die Szene mit dem Bären so toll fanden, dass sie sie sofort noch mal sehen wollten. Die wären im 17. Jahrhundert in London am Sonntagnachmittag auch nicht in Shakespeares Globe Theatre gegangen, sondern in die benachbarte Bear-baiting Arena. Ich will diese Szene bitte NIE wieder sehen. Und die mit dem Pferd auch nicht. Und diesen ganzen überlangen, aufgeplusterten Überwältigungsfilm ohnehin nicht. Ja ja, alles oscarreif. Aber letztlich auch total belanglos.

High-Rise
Mein Liebling Ben Wheatley schießt über‘s Ziel hinaus. Nach einer Dreiviertelstunde optischem Hochgenuss für den 70er-Jahre-Designfreund wurde mir Wheatleys dystopische Klassenkampfallegorie im zweiten Teil allzu unübersichtlich, hysterisch und planlos. Und dabei wollte ich den Film doch so mögen.

Whiplash
Kommt eigentlich ein Jahr zu spät, aber ich wollte an dieser Stelle noch mal kurz sagen, dass ich diesen Film total nervig fand. Jazzmusik nervt per se schon, aber der Film noch mehr. Denn er erzählt mir einmal mehr, dass ich mich eben durchbeißen muss und dann kann ich alles erreichen. Klar, hier tut es mehr weh und der Lehrer ist ein Arsch. Aber am Ende hatte er ja dann doch recht. Pfui deibel.

Knock Knock
Eli Roth versucht einen sexy Psychothriller. Sexy klappt noch einigermaßen, an der Psychologie scheitert der Mann für‘s Grobe leider kläglich.

Snowden
Typischer Oliver-Stone-Film. Hatte aber erwartet, dass mich das so flasht wie weiland 1991 JFK. Nur leider hatten wir 2016 und ich habe inzwischen ein paar Filme mehr gesehen. Schade.



Und übrigens: 

mit der Ausgabe 26/2016 habe ich mein Filmdienst-Abonnement beendet. Nach 24 Jahren (mit einem Jahr Unterbrechung). Im Jahr 2017 stellt diese wunderbare Zeitschrift nämlich ihre Printausgabe ein. Denn wir haben ja jetzt Internet. Und Filmkritik kann ja nun wirklich jeder. Kostprobe gefällig? 

"Passengers ist wie Titanik nur halt im All. Allein schon wo am Ende einer von denen doch Überleben und wieder einschlafen könnte, aber beide nicht eingeschalafen sind, war es sehr Liebevoll. Einerseits war es auch in der Mitte voll Traurig als Sie erfahren hatte das Er Sie aufgeweckt hatte.
Es lohnt sich aufjedenfall anzusehen."  
(http://www.moviepilot.de/users/alpay-topuz)

In diesem Sinne auf schönes neues Kinojahr!

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